Archiv der Kategorie: Berlin

Jetzt oder Nie! – Über den nächsten und vielleicht letzten 1. Mai

der folgende Text ist von Linksunten übernommen:

In wenigen Wochen wiederholt sich in Berlin ein Ritual zum 30. Mal, dass in den letzten Jahren derart unausstehlich wurde, dass die steigenden Zahlen der Teilnehmer*innen nur als logische Konsequenz schlechter Berliner Party (Un)kultur verstanden werden können, die Demonstration zum 1. Mai, fälschlicherweise unter dem Titel „Revolutionär“ beworben.

Waren die Richtungsstreits und Debatten, auch um kleine Details, nach dem ersten großen Knall 1987 und zwei Jahre später absolut notwendig und bis heute immer noch Lehrbeispiele für Aufstandsbekämpfung und Organisierungsfragen, hatten die Konflikte um die RIM oder die ideale Route in den 90er Jahren noch eine über den Tag hinausgehende Bedeutung, ist das Ereignis in den letzten Jahren doch zu einer sehr seichten Angelegenheit verkommen.

Weltweit dürfte keine weitere linksradikale Szene existieren, die ähnlich paradox an einem Ritual der eigenen Konzeptlosigkeit festhält, wie die Berliner am 1. Mai.

Ohne einen Hehl daraus zu machen, dieser Text kommt aus der anarchistischen Ecke, richtet sich aber nicht gegen die linken, kommunistischen, antiimperialistischen oder antifaschistischen Gruppen an sich, die in den letzten Jahren die Vorbereitung der Demonstration übernommen haben, denn ihrer inhaltlichen Armut, die sich auch auf der Straße niederschlägt, hatten wir nichts hinzu zu fügen.

Der 1. Mai in der letzten Phase und auch der Tag davor, waren oft ein kompromisslerisches, legalistisches Buhlen um Einfluss, der an der Anzahl der Beine festgemacht wurde, die hinter irgendwas herlaufen. Die militante Folklore wurde dabei zunehmend bedeutungsloser, während sich Politiker*innen, Presse und Geschäftemacher*innen einen Ast über unsere Beliebigkeit freuten. Unreflektiert wirkt der Paradigmenwechsel der Walpurgisnacht – von „Es muss auf jeden Fall was passieren“ am Boxi, zu „Es darf auf keinen Fall was passieren“ in Wedding.

Inhaltliche Wirrungen begleiteten Vorbereitung und Durchführung dieser Demonstration in einem Ausmaß, das Viele daran zweifeln ließ, auf welchen Ursprung alles zurück geht; als „Revolutionär“ galten dem 1. Mai Bündnis dabei Demos zum Brandenburger Tor, das Aufbrechen leerer Kaufhäuser, Spontis zwischen Bratwurstständen und (Regierungs)Parteien wie Syriza oder DKP, diverse Gewerkschaften oder Stalinoprojekte, die alles andere als eine Revolution = unfreiwilliger Machtverlust der Herrschenden, wollen.

Spätestens seit etwa 2005 lieferten sich der Bezirk Kreuzberg, zusammen mit dem Senat und den Bullen unter dem Label Myfest, einen bizarren Wettlauf mit dem linksradikalen Bündnis, wer die meisten Besoffenen, Touris und Mitläufer*innen mit den hohlsten Parolen durch 36 dirigieren kann. Dabei sind alle Grenzen verschwommen, Jugendliche warfen in dem einen Jahr Steine und halfen im nächsten Jahr als Myfest Ordner den Bullen, Idioten bepöbelten die Spontis weil diese ihr Konzert störten um dann etliche Bier später Flaschen auf Bullen zu werfen. Ehemalige Autonome, Hausbesetzer*innen und Antifas beteiligten sich am Myfest, dass zwar immer rigider mit den Anwohner*innen umspringt, aber trotz seiner gewaltigen Kotze und Pisse Pfützen und diversen Schlägereien immer noch lieber in Kauf genommen wird, als Steine die auf Wannen regnen.

Ist das wirklich so? Scheinbar ja, denn jedes Jahr aufs Neue erklären dir die immer gleichen Aufrufe die böse Welt des Kapitalismus, bei dem dann die „Revolution“ angemeldet wird. Geht halt nicht anders, versuchten uns die Gruppen einzureden, die eigentlich gar keine Gruppen sind, sondern sich als fast einzige Beschäftigung im Jahr dieses Datum ausgesucht haben.

Dabei leben in Berlin einige Hundert, vielleicht einige Tausend Menschen, die bereit sind dem System die Zähne zu zeigen, die nur darauf warten, dass es losgeht. Die dem ganzen Geschwafel vom Proletariat, Prekariat, Insurrektionalismus etc. nichts abgewinnen können.

Die Berliner Gruppen, die Szene, muss sich auch mal entscheiden, es lässt sich nicht etwas im 30. Jahr immer noch „revolutionär“ nennen, was nur reformistisch ist. Diese Demo führt den Klassenkampf ständig im Mund, jedoch die einzigen, die ihn betreiben sind die Eliten. Einmal nur die Angst verlieren, eine revolutionäre 1. Mai Demonstration ohne Anmeldung und das ganze Partytruck-Spektakel zu machen, kann schon etwas revolutionär sein.

Der Trend der letzten Jahre muss jetzt gestoppt werden. Wir dürfen nicht darauf hoffen, dass nochmal ein Trottel wie Werthebach Innensenator wird und die Demonstration verbietet. Wenn der 1. Mai 2017 so wird wie die letzten Jahre, wird es kein 31. Mal mehr geben. Wir sollten uns nichts vormachen, es wird den Kreuzberger Aufstand von 1987 nicht mehr geben, weil die Bevölkerung in diesem Kiez zu großen Teilen ausgewechselt wurde. Trotz Unterstützung durch nicht wenige Menschen, sind wir in Kreuzberg inzwischen marginalisiert, nicht nur durch zugezogene Yuppies sondern auch durch die geschickte Politik der Bullen, denen es gelang Leute im Kiez umzudrehen. So fordert seit Jahren ein Lokalbetreiber und ehemaliges Mitglied von Antifa Genclik mehr Bullen, Kameras und Wachschutz am Kotti und steht damit nicht isoliert da.

Einige Anwohner sind gerne Teil des neuen Überwachungslabors von Bullen und BVG. Auch die Gruppen, die jedes Jahr am 1. Mai den Kiez für sich reklamieren sind dort sonst kaum präsent. Wir sind ebenfalls kaum dort tätig weil uns die Ansätze fehlen und keine Sympathien für den Retro Style, brennende Luxuskarren und hinterhältige Angriffe auf Bullen, sichtbar sind.

Es kann am 1. Mai nur noch darum gehen, jenen Menschen einen Rahmen anzubieten, in dem sie sich zusammenfinden können, die die Notwendigkeit einer Verbindung von lokalen und globalen Kämpfen erkannt haben und daraus einen praktischen Widerstand ableiten. Ob das unbedingt eine Demo sein muss, in der die Hälfte der Leute mit dem Handy filmt oder Fahrräder schiebt, ist zweifelhaft.

Dieser Rahmen kann vielfältig sein, jetzt wo auch die Luft im Reichenberger Kiez dünner wird, sind ja auch erste Ansätze davon erkennbar, die nicht künstlich wirken. Die Fixierung auf das Gebiet von Kreuzberg 36 hat uns in den letzten Jahren sicher nicht die Räume eröffnet, die Notwendig sind um den modernen Arbeitsweisen der Berliner Bullen entgegen halten zu können.

Wenn das im 30. Anlauf nicht möglich ist, braucht die linksradikale oder antiautoritäre Szene dieses Ritual nicht mehr. Das Kokettieren mit Straßenschlachten, die man eigentlich gar nicht will und deren Unfähigkeit ein Teil der Szene und diverse 1. Mai Bündnisse bewiesen haben, schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit sondern ist nicht mehr als eine willkommene Trainingseinheit für die Bullen vor dem G 20 in Hamburg. Der Sommer 2017 könnte eine Phase andauernder Scharmützel mit den Bullen werden, Gelegenheiten wie den 1. Mai oder im Juli in Hamburg gibt es genug. Und sie lassen sich jederzeit selbst schaffen – durch die Verbindung von widerständigen Perspektiven einer sich erneut organisierenden Bewegung mit den Utopien derer, die den Kopf nicht beugen vor den Unerträglichkeiten dieser Gesellschaft. Ein Sommer mit so vielen Überstunden für die Bullen, dass sie mit ihren Stiefeln und ihrer Einsatzunterhose verwachsen und ihre sozialen Beziehungen kaputt gehen, damit sie im Winter als Medikamentensüchtige Frührentner aus dem Dienst ausscheiden.

Aber es kann auch ein Sommer der Schafherden werden, die artig hinter dem Kontakt-zum-Veranstalter-Bullen schleichen. Über diese Fragen wird schon lange in den unruhigen Milieus auf der ganzen Welt geredet, niemand soll sich in Zeiten des Internet hinter Unwissenheit verstecken können, wie es die NAO vor zwei Jahren mit ihrem lächerlichen 1. Mai Aufruf „Berlin, Athen, Kobane: Die letzte Schlacht gewinnen wir“ machte und deren Guru und Demoanmelder sich inzwischen als Verteidiger von Sarah Wagenknecht verdient.

Es wird keine Revolution in Deutschland geben, weder am 1. Mai noch sonst. Uns geht es darum im Fall einer unerwarteten Revolte oder Spannung handlungsfähig zu sein oder eine Krise anzuheizen. Das Bewusstsein für Selbstermächtigung im Alltag durch Momente kollektiver Wutausbrüche zu schärfen. Dafür ist der 1. Mai ein Vehikel. Ohne Wut gibt es keine Aussicht auf Veränderung und die vorherrschende Stimmung der letzten Rituale war eher Selbstzufriedenheit.

Autonome Gruppen

Warum dieser Hass?

Zehn Jahre nach dem 1. Mai 87 kam dieses Agitprop-Video aus dem Antifa Spektrum. Jetzt, sieben Monate vor dem 30. Jahrestag des Kreuzberger Aufstands, wurde eine Kopie in schlechter Qualität erneut hochgeladen.

Alles nur Riot Porn schimpfen die, die noch nie den befreienden Moment und die Ästhetik einer ausufernden Straßenschlacht erlebt haben. Aber wie kann es weitergehen mit dem inzwischen zum poserhaften Ritual reformistischer Gruppen und besoffener Touris verkommenen Tag?
In der Hoffnung zeitgemäße Mobilisierungen für den 1. Mai 2017 hier verbreiten zu können…

Antiautoritäre zur Demonstration „Investor*innenträume Platzen lassen“ am 9. Juli

Der folgende Text wurde von Linksunten übernommen:

Nach einer monatelangen Hetzkampagne, in der die Rigaer 94 wahlweise als linksextremistisch, rechtsextremistisch, terroristisch oder kriminell mit irrationalen Motiven dargestellt wurde, waren am 9. Juli ca. 4000 bis 5000 Menschen bereit für das Hausprojekt und gegen die Mietenpolitik des Senats und seinen Ausnahmezustand Gesicht zu zeigen. Das sich diese Generationen und Spektren übergreifende Demonstration nicht vom Angstklima, dass Henkels Papageien in der Berliner Medienlandschaft täglich verbreiten, beeindrucken ließ, deutet zumindest Ansätze einer Verankerung autonomer Politik in den Kämpfen um Wohnraum in dieser Stadt an. Antiautoritäre zur Demonstration „Investor*innenträume Platzen lassen“ am 9. Juli weiterlesen

Dezentrale Konzepte in Henkels Vietnam

Fünf Jahre sind seit der Räumung der Liebig 14 vergangen, vom damals erprobten dezentralen Konzept ist nicht viel übrig geblieben. Trotzdem glaubt Innensenator Henkel erklären zu müssen, dass Friedrichshain nicht zu seinem Vietnam werde. Was ist seither geschehen?

2. Februar 2011, auf die Räumung der Liebig 14 reagieren autonome Zusammenhänge mit einem dezentralen Aktionskonzept. Der Termin war angekündigt worden und absehbar war auch, dass sich Menschen in dem Haus verbarrikadieren würden und der Widerstand direkt davor auf ein überlegenes Polizeiaufgebot treffen würde. Mehrere Aufrufe bewarben ein dezentrales Vorgehen, um einerseits die Bullenkräfte zu zerstreuen und auch durch einen hohen Sachschaden den politischen Preis für Häuserräumungen in die Höhe zu treiben. Dezentrale Konzepte in Henkels Vietnam weiterlesen

Wir sind dort, wo wir immer waren

Seinen lesenswerten Text über Tumbleweed in Spreetown überschreibt Peter Schaber im lowerclass magazine mit der Frage: Wo seid ihr denn alle hin? Und unsere Antwort darauf ist, wir sind dort wo wir immer waren, vor Rechnern sitzend oder auf der Strasse unterwegs, manchmal tags manchmal nachts.

Die von ihm festgestellte Mobilisierungsschwäche der Hauptstadtlinken ist das Ergebnis einer speziellen Strukturierung der Antifa Szene in Berlin, die in den letzten Jahren durch hierarchische Ausrichtung und träges Mitläufertum gekennzeichnet ist. Wir sind dort, wo wir immer waren weiterlesen

AfD in Berlin – Desaster für die Antifa

Die AfD Demonstration am 7. November offenbarte das ganze Dilemma der Berliner Antifa nach über einem Jahr regelmäßiger Naziaufmärsche. Unter Berliner Antifa verstehen wir die Menschen in dieser Stadt, die sich auf den Anti-Nazi Kampf spezialisiert haben genauso wie die linksradikalen, autonomen und anarchistischen Zusammenhänge, die Hausis, die Antira Gruppen und alle, die entsprechenden Aufrufen zu Protesten folgen. Nicht jedoch die vermeintliche Zivilgesellschaft und die Beschwichtiger aus der Szene der Labelpolitik.

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Bristol und Berlin – Ähnlichkeiten in der Aufstandsbekämpfung

Aufstandsbekämpfung ist nicht nur das Eingreifen der Polizei in Prozesse von sich radikalisierenden Bevölkerungsgruppen, sondern auch eine Vielzahl von Maßnahmen, die auf eine Manipulation der öffentlichen Meinung oder gesellschaftlichen Stimmung abzielen.

Auffällig sind uns dabei die Ähnlichkeiten in Berichten von TV Sendern in Bristol und Berlin geworden, die über Aktionen von „Anarchisten“ und „Linksextremisten“ berichten. Zum Vergleich, ein RBB Bericht vom 19.09.2014 und ein BBC Beitrag vom 22.09.2014.

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Einige Gedanken zur antifaschistischen „Vollversammlung“ am 01.09. im SO36

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An erster Stelle: Der folgende Text ist eine Gedankensammlung, geboren aus Diskussionen. Insofern ein Diskussionsvorschlag. Nicht die Politische Wahrheit und auch auf keinen Fall objektiv. Er ist nicht der Weisheit letzter Schluss sondern im Gegenteil ein Angebot gemeinsam bohrenden Fragen nachzugehen.
Er bezieht nicht alle Erfahrungen und Perspektiven ein, sondern ist zutiefst subjektiv. So wie alle Texte…

An zweiter Stelle ersteinmal ein großes Danke an die Initiator_innen der Versammlung. Oft diskutiert, finden offene Versammlungen zu bestimmten Themen leider viel zu selten statt.

Und so war es wohl für viele (wenn auch nicht die Moderation) abzusehen, wie die Veranstaltung im SO36 laufen würde. Die Meisten von uns sind es einfach nicht mehr gewohnt auf offenen Versammlungen zu reden. Auch fehlte im Vorfeld jegliche Ankündigung (der ja existierenden) Wünsche der Moderation in welche Richtung sie diskutieren möchte. Es wäre gut gewesen, zumindest die Leitfragen im Vorfeld zu veröffentlichen, damit Menschen sich in ihren Zusammenhängen schon Gedanken zu den gewünschten Fokussen machen können.

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Photographers in solidarity ? Die Diskussion über Fotografie

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Das Filmen auf Demos ist ein leidiges Thema und wir teilen die Kritikpunkte in diesem Text. Unverständlich finden wir das Fotografen wie Björn Kietzmann oder „Sören Kohlhuber“ noch unbeschadet auf Demos agieren können. Wer Faschisten als „Neonazis“ bezeichnet und sich selbst als „szenekundig“ pflegt eine merkwürdige Nähe zum Behördensprech. Niemand benötigt solche Fotografen, da jede Bewegung ausreichend Kapazitäten besitzt um sich selbst darzustellen. Als weiteren Hinweis auf zunehmende Gefahren durch die Presse, haben wir ein Video aus Istanbul verlinkt, welches mit Google Glasses gefilmt wurde. Auf das diese massenhaft in den Gesichtern ihrer TrägerInnen zerschlagen werden! :

Aktuell scheint die Debatte, wie mit Fotografie von linken Aktionen umzugehen ist, wieder aufzuleben. Am 5. August veröffentlichte die Gruppe „Photographers in solidarity“ ein Statement auf Facebook, in dem sie den Umgang mit „ihren“ Fotos thematisieren. Auch ein in der linken Szene bekannter Fotograf veröffentlichte vor kurzem einen Text auf Facebook, in dem es um die Praxis von Verpixelung und Fotos als „Dienstleistung“ für die Bewegung ging.

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Drei regelverletzende Interventionen im Sommer 2015

Verschiedene Spektren, zwischen denen es wenig Überschneidungen gibt, brachen in den letzten Wochen den tristen Alltag politischer Ohnmacht auf, mit unterschiedlichem Erfolg.

Am 21. Juni stürmten tausende DemonstrantInnen die Wiese vor dem Reichstag, um Gräber für die auch von der deutschen Regierung ermordeten Flüchtlinge auszuheben. Der angemeldete Protest- „Marsch der Entschlossenen“ vom Zentrum für politische Schönheit, der kurzerhand Zäune einriss und sich die Menschenmenge über den Rasen hermachte, überraschte die Bullen.

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