Antiautoritäre zur Demonstration „Investor*innenträume Platzen lassen“ am 9. Juli

Der folgende Text wurde von Linksunten übernommen:

Nach einer monatelangen Hetzkampagne, in der die Rigaer 94 wahlweise als linksextremistisch, rechtsextremistisch, terroristisch oder kriminell mit irrationalen Motiven dargestellt wurde, waren am 9. Juli ca. 4000 bis 5000 Menschen bereit für das Hausprojekt und gegen die Mietenpolitik des Senats und seinen Ausnahmezustand Gesicht zu zeigen. Das sich diese Generationen und Spektren übergreifende Demonstration nicht vom Angstklima, dass Henkels Papageien in der Berliner Medienlandschaft täglich verbreiten, beeindrucken ließ, deutet zumindest Ansätze einer Verankerung autonomer Politik in den Kämpfen um Wohnraum in dieser Stadt an.

Was den Sicherheitsbehörden Angst macht, ist nicht nur der physische Widerstand um die Rigaer herum, sondern die Möglichkeit, Fragmente utopischer Gesellschaftsmodelle sichtbar werden zu lassen. In dieser Logik wurden auch im letzten Jahr der Umsonstflohmarkt während dem Straßenfest und unkommerzielle Konzerte und Partys angegriffen. Furcht macht sich in den Herrschaftsetagen breit, wenn Sachen verschenkt werden und der Zugang zu sozialen Angeboten nicht mit einer Gegenleistung verbunden ist oder wenn Alltagsprobleme kollektiv ohne staatliche Kontrolle gelöst werden. Kurz: sich Solidarität und rebellisches Verhalten ausbreitet.

Jede Regierung braucht ein Feindbild, um die Unzufriedenheit ihrer Beherrschten zu fokussieren, daher sind wir zufrieden damit, seit einiger Zeit den öffentlichen Hass auf Flüchtlinge in unsere Richtung umgelenkt zu haben; wer einsam zu Hause den Shitstorm in sozialen Medien und Blogs gegen uns betreibt, oder mutig zusammen mit den Bullen um den Dorfplatz schleicht, kann nicht gleichzeitig Flüchtlingsheime anzünden. Die Empörung über die schlichte Existenz der Rigaer 94 zeigt uns nur wie richtig wir mit dem Konfrontationskurs liegen, die Gewinnung einer gesellschaftlichen Mehrheit war nie unser Ziel: viel mehr die Spaltung „der“ Gesellschaft voran zu treiben.

Und dabei klar zu machen, dass ein großer Teil der Menschen, die sich über brennende Luxuskarren echauffieren, niemals eine solche Besitzen werden, eben weil die aufgehetzt werden sollen, welche von den herrschenden Verhältnissen am meisten Betroffen sind. Sozialkannibalismus ist das Instrument, das die Herrschenden hier nutzen um ihre Konstrukte zu erhalten. Besonders perfide ging dabei mal wieder der CDU Abgeordnete Kurt Wansner vor, der am Samstag neben der Demo stehend Interviews gab, in denen er neben den Chaoten auch arabische Großfamilien als Bedrohungsszenario für Berlin ausmachte, während wenige Meter neben ihm genau aus deren Umfeld rekrutierte Figuren als illegal Beschäftigte einer dubiosen Wachschutzfirma, die illegalen Bauarbeiten einer Briefkastenfirma in der Kadterschmiede sicherten.

Für die Demonstration hatte unser Zusammenhang nicht die Randale als eigentliches Ziel gesehen. Die Befreiung von den Besatzungstruppen und das Scheitern der Investor*innenprojekte waren die Inhalte unserer Mobilisierung und die Resonanz darauf empfanden wir als Legitimierung, die ersten Bullen, die sich ohne erkennbaren Grund an der Ecke Frankfurter Alle und Voigstraße aufdrängten, anzugreifen. Ohne deren Erscheinen wäre die Demo ruhig geblieben, weil niemand den Kiez verwüsten wollte.

Nach dem ersten Angriff war klar, dass die Bullen jetzt bei jeder Gelegenheit entschieden abgewiesen werden müssen, was auch bis zum Dorfplatz ganz gut funktionierte. Ein schnelles Auflösen an der Ecke Proskauer Straße / Rigaer hätte vermutlich einige der zahlreichen Verhaftungen später verhindern können, allerdings um den Preis des Verzichts auf den publikumswirksamen Auftritt im Südkiez. Für die Sicherheit aller Teilnehmer*innen sollten wir verstärkt darauf hinwirken, dass die Demo wirklich die ganze Straße einnimmt, wozu auch die Bürgersteige gehören, und dabei aufziehende Bullenspaliere einschließt.

Insgesamt war diese Demonstration für alle Aktionsformen anschlußfähig, das Parolensprühen aus der Demo heraus war sehr gut, wer gewaltfrei Gesicht zeigen wollte hatte dafür ausreichend Platz und es gab keine Streitereien um Steinwürfe auf Bullen.

Grade im Hinblick auf die gestrige Gerichtsentscheidung, die den Räumungseinsatz als unzulässig bezeichnet, eine Tatsache auf die die BewohnerInnen der 94 von Anfang an hingewiesen hatten, erklärt sich der Aufbau von selbstorganisierten Strukturen, die auch verteidigungs- und eskalationsfähig sind. Solche Momente des kollektiven Widerstands zu schaffen, wie sie auf der Route durch den Friedrichshainer Nordkiez am Samstag fühlbar waren, sollte Aufgabe der antiautoritären Zusammenhänge sein. Die darin erworbenen Erfahrungen und Kontakte sind das Fundament für weitere Auseinandersetzungen, ob es bei der Räumung des M99 oder nächstes Jahr zum G 20 in Hamburg sein wird, die Ignoranz der Herrschenden ist angreifbar!

Grundsätzlich plädieren wir dafür Demonstrationen als offensives Element in unserem Werkzeugkasten zu betrachten und nicht als Gelegenheit irgendwelche Rechte vom Staat zu fordern. „Wir sind friedlich – was seid ihr?“ ist so ziemlich der dümmste Spruch, der auf Demos gerufen wird und hat dort genauso wenig zu suchen wie die unzähligen Fotograf*innen. Der Konflikt in der Rigaer Straße wird vom Senat paradoxerweise als bewaffneter Konflikt gesehen. Paradox weil kein Beispiel bekannt ist, in dem solche Lagen durch Hubschrauber und schwer bewaffnete Kontingente gelöst wurden, wie sie jetzt von Henkel in seinen wahnhaften Vietnam Vergleichen gegen den Ho-Chi-Minh-Pfad in Friedrichshain geworfen werden.

Die 123 verletzten Bullen waren ein guter Anfang, die Polizeiführung hat es geschafft, ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit in Friedrichshain auf die pure Konzentration vieler Waffenträger*innen zu reduzieren. Als Antiautoritäre wollen wir sie bei ihrem Abschied aus latent unruhigen Nachbarschaften unterstützen.

Bis bald dann auf den Straßen Kreuzbergs, wo wir den Henkel-Truppen die Quittung für die Räumung des M99 verpassen werden.