Griechenland

Gegen das Vergessen

Suche nach den Ansätzen einer anarchistischen Strömung im Widerstand gegen die Junta in Griechenland und die ersten Jahre danach



Prolog
Im November 2014 trafen sich aus Anlass des 41. Jahrestages der Niederschlagung des Aufstands gegen die griechische Militärdiktatur, zahlreiche Menschen im Athener Polytechnio. Eingeladen hatte die Gruppe Anarchistisches Archiv. Thema der Veranstaltung war der anarchistische Einfluss auf den Protest der Student*innen am 17. November 1973 und die Frage ab welchem Zeitpunkt überhaupt Anarchist*innen die politische Bühne in Athen betreten haben.

Das Durchschnittsalter der Anwesenden war relativ hoch und so entwickelte sich nach dem üblichen Monolog der Veranstalter ein teilweise heftiges Streitgespräch unter Zeitzeug*innen über die Entwicklung der anarchistischen Bewegung seit den 70er Jahren.

Eine Frage, über die gestritten wurde, war ob es überhaupt einen anarchistischen Anteil an den Protesten gegen die Junta 1973 gab und wie es mit der Positionierung der anarchistischen Bewegung damals (PASOK) und heute (Syriza) zu den linken Parteien steht. Insgesamt gibt es über die griechische Geschichte zwischen 1944 und 1974 relativ wenig Material und kein offizielles Gedenken von Seiten des Staates über den Bürgerkrieg und die Diktatur der Obristen, wie auch die Gesellschaft unter einer kollektiven Amnesie zu leiden scheint. Diese Amnesie könnte historische Ursachen haben, die bis in die Antike zurück reichen.
Das jährliche Andenken am 17. November 1973, dem folgenreichen Tag der Erstürmung des besetzten Polytechnio durch das Militär mit 30 Toten und hunderten Verletzten, bildet hier die absolute Ausnahme.

So ist zum Beispiel bis heute der „Nein Tag“ am 28. Oktober ein Gedenktag, an dem das Nein des faschistischen Diktators Metaxas zum Ultimatum Mussolinis 1940 gefeiert wird und der Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg ist nicht komplett aus der Erinnerung gelöscht worden. Der folgende Bürgerkrieg bis 1949 wurde dann aber nur von den rechten Regierungen der 50er und 60er Jahre mit Ritualen aus ihrer Sicht aufgearbeitet, während die Sichtweise der linken und kommunistischen Gruppen aus dem Gedächtnis verbannt wurde. Sind inzwischen allerdings zahlreiche Publikation zur Geschichte der ELAS erschienen, liegt der Widerstand gegen die Junta von 1967 bis 1974 völlig im Dunkeln.

Hier wollen wir beginnen, denn irgendwann in diesem Zeitraum muss die anarchistische Bewegung in Griechenland ihr Erscheinen angekündigt haben, als Splitter zwischen zahlreichen militanten Organisationen, die einige Koordinaten bezüglich der Legitimität von politischer Gewalt festlegten. Wenngleich erste anarchistische Gedanken ab 1860 unter dem Einfluss italienischer Genoss*innen in den meisten griechischen Städten und auf den Inseln Verbreitung fanden, resultierten sie nicht so häufig in der Propaganda der Tat. Eine Ausnahme war Alexandros Schinas, der am 18. März in Thessaloniki den König Georg I erschossen hatte und nach Folterungen aus einem Fenster des Polizeipräsidiums fiel.

Im Dezember 1944 fielen zahlreiche Anarchist*innen den Säuberungen der KKE zum Opfer, die noch schnell ihre Gegner eliminierte bevor sie Athen den britischen Truppen überlies. Weitere Repression führte zum fast völligen Verschwinden der anarchistischen Strömung bis Ende der 60er Jahre.
Erst mit der Rückkehr von Student*innen aus Paris, die dort den Aufstand im Mai 68 erlebt hatten und Übersetzungen von Texten von Guy Debord und anderen Situationisten radikalisierten sich Jugendliche, die oft aus kommunistischen Familien kamen aber die Unzulänglichkeiten der Politik ihrer Eltern erkannten.

Die folgende Aufzählung von Widerstandshandlungen gegen das Regime der Obristen verdeutlicht die Vielfalt der beteiligten Bevölkerungsgruppen und ihre unterschiedlichen Strömungen, die sich nach dem Ende der Diktatur teilweise feindlich gegenüber standen.

Der Widerstand gegen den Putsch der sogenannten Kleinen Junta um Oberst Papadopoulos, dem Chef der Militärpolizei Ioannidis dem General Pattakos und dem Geheimdienstler Makarezos am 21. April 1967 war eine hoch riskante Angelegenheit. Alle, die dem Regime in die Hände fielen wurden gefoltert und diese Folter wurde zum Markenzeichen der Obristen. Verboten war vieles, bestimmte Bücher und Versammlungen. Mit Verordnungen aus der Nazi Besatzung wurden alle Grundrechte außer Kraft gesetzt, bestimmte Kleidung, Musik oder Frisuren waren verdächtig. Die Polizei konnte jede*n ohne Grund beliebig lange festnehmen. Listen von vermeintlichen Kommuniste*innen aus der Besatzungs – und Bürgerkriegszeit wurden abgearbeitet, Ausgangssperren verhängt.

1967 – der Trotzkist Alexandros Giotopoulos und der Maoist Viktoras Anagnostopoulos gehören zu den Gründern der Bewegung 29 Mai (29M). Diese Gruppe hatte Verbindungen zu Leuten, die schon in Algerien gegen die französische Kolonialherrschaft aktiv waren, wie z.B. der trotzkistische Intellektuelle Michalis Raptis, der Kontakte zu Passfälschern und Bombenbauern vermittelte. Raptis unterstützte alle ernsthaften Versuche die Junta zu bekämpfen, auch von bürgerlichen Anhängern der Verfassung, weil er daran glaubte eine soziale Revolution nur mit einer breiten Bewegung auslösen zu können. Die Gruppe verhielt sich für damalige Verhältnisse sehr konspirativ und ihre Mitglieder unternahmen zahlreiche Reisen durch Europa um Papiere und Waffen zu beschaffen sowie Verbündete zu finden. Die griechischen Grenzkontrollen waren allerdings auch eher nachlässig. 1968 wurden dann aber in Thessaloniki die ersten Studenten wegen Mitgliedschaft in 29M verhaftet und Giotopoulos in Abwesenheit wegen Subversion verurteilt. In diesem ersten Jahr des Bestehens hatte 29M mehr als 30 Mitglieder in verschiedenen Zellen in europäischen Hauptstädten organisiert und erreichte mit der Zeitung Kinima hunderte Griech*innen. Sie schafften es aber nicht für die Massen durch einen substantiellen Schlag gegen die Junta sichtbar zu werden.

Während der Unruhen im Mai 68 in Paris besetzten griechische Militante das Studenten Hostel, welches dem griechischen Staat gehörte. Maoistische und trotzkistische Gruppen haben diese Besetzung dominiert, verschwanden aber nach der Neuwahl von De Gaulle.
Ein Teil der 29M Mitglieder ging nun nach Kuba in die Ausbildungslager von Che Guevara. Das kubanische Modell der Landguerilla war jedoch für die griechischen Bedingungen einer Stadtguerilla wenig hilfreich, weshalb ein Handbuch über den Guerillakrieg das wichtigste war, was die griechische Delegation mitnahm, als sie 1969 zerstritten und desillosioniert zurück kehrte. Bauanleitungen für Sprengsätze aus diesem Handbuch dienten vielen Gruppen in Griechenland lange Zeit als Grundlage. Das kubanische Modell scheiterte danach in Brasilien und Bolivien.

Die Bewegung 29M spaltete sich 1969 wegen einem Richtungs- und Führungsstreit. Die Zellen aus Berlin und Mailand gründeten die EKKE, deren größter Erfolg die Bildung der halb klandestinen Studentenorganisation AASPE war, die 1973 eine entscheidende Rolle bei der Besetzung des Polytechnio spielte. Über die Tätigkeit von Alexandros Giotopoulos und seinen Freunden gibt es zwischen 1969 und Juli 1971 keine Hinweise.

3. August 1967, DEA (Demokratisches Komitee des Widerstands) eine trotzkistische Gruppe, zündet einen großen Feuerwerkskörper in einer Mülltonne vor dem Hilton Hotel während einer Rede eines amerikanischen Bischhofs dort.
Im Oktober 1967 explodiert ein etwas größerer Knaller der gleichen Gruppe vor einem DX Supermarkt der US Militär Mission in der Syngrou Avenue.
Im November 1967 wird ein Sprengsatz an der Truman Statue entschärft.

Alexandros Panagoulis versucht am 13. August 1968 den Diktator Papadopoulus mit einer Bombe zu töten, die neben seiner Wagenkolonne auf dem Weg von Sounion nach Athen explodiert. Der Anschlag scheitert, Panagoulis wird verhaftet, gefoltert, zum Tode verurteilt und auf internationalen Druck zu lebenslänglich begnadigt. Diese Aktion wurde von der Gruppe LAOS (Peoples Liberation Teams of Sabotage) verantwortet. Alexandros Panagoulis war Mitglied der Zentrums-Union. Nach mehreren Ausbruchsversuchen und endloser Folter kommt Panagoulis 1973 durch eine Amnestie frei.

Alexandros Panagoulis vor Gericht, mit Folterspezialisten, zu denen auch Evangelos Mallios gehörte.

Eine Ausnahme in dem verbreiteten Gefühl der Lähmung und Hoffnungslosigkeit war der 3. November 1968 als der Trauergottesdienst für den verstorbenen Zentrums Politiker Georgios Papandreou in der Athener Kathedrale stattfand. Obwohl die Teilnahme polizeilich verboten war, erschienen Hunderttausende in der Innenstadt, um dem verehrten ‚Alten‘ die letzte Ehre zu erweisen. Mit ihm starb eine Hoffnung auf Reformen. Die Leute kümmerten sich einfach nicht um die Polizei, und die hielt es für ratsam, das Volk gewähren zu lassen und nicht seinen Zorn zu provozieren. Die Athener Innenstadt rund um die Kathedrale war schwarz von Menschen und sie begleiteten den Trauerzug nach der Aussegnung zum Friedhof. Es war dies das erste Mal, daß das Athener Volk sich über die Anordnungen der Junta hinwegsetzte.

Zwischen Mai und August 1969 explodierten in Athen und Thessaloniki über neunzig Bomben. Es gab Anschläge gegen Autos von amerikanischen Offizieren und Diplomaten und gegen NATO-Einrichtungen. Höllenmaschinen gingen im Gebäude des Premierministers, in der Generaldirektion der Asfalia (Sicherheitspolizei) und der KYP (Geheimdienst) los. Aber nach wie vor galt, dass die Gewalt nur gegen Sachen gerichtet war. Deshalb gab es zwar einige Leichtverletzte, aber keine Toten. Die Anschläge zeigten der Junta, daß man auch ernst machen könnte, und verunsicherten sie so.

Der Student Giorgos Anomeritis bildet mit Freunden aus der Studentenbewegung der Zentrums-Union im Jahr 1968 eine Gruppe unter dem Namen Demokratische Union, die für acht Bombenanschläge im Herbst des Jahres verantwortlich ist. 1969 legen sie unter der Bezeichnung EDK (Griechische Demokratische Bewegung) sechzehn weitere Bomben, in der Hoffnung internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Ziele waren u.a. die Strom- und Wasserversorgung der Mittelmeer Spiele. Die Angehörigen der EDK wurden verraten und im Oktober 1969 , nach einem Anschlag auf das Galaxis Hotel, verhaftet.

Zwischen Mai und Oktober 1969 legt KEA (Movement of National Resistance) 16 Bomben weil der Royalist Ippokratis Savvouras verhaftet wurde. Der wird 1972 freigelassen und im Mai 1973 als Führer der EAN (Griechische Anti-Diktatur Jugend) erneut verhaftet. Dieser Gruppe werden weitere 16 Bombenanschläge zugerechnet.

Eine weitere Gruppe organisierte sich in der DA (Demokratische Verteidigung) als fortschrittlicher Flügel der Zentrums-Union mit dem späteren Premier Minister Kostas Simitis. Sie plazierten zwischen März und August 1969 in Athen 19 Spreng- und Brandsätze gegen symbolische Ziele wie Olympic Airlines oder Konzerne, die das Regime unterstützten, wie ESSO. Als sich der Professor der Panteion Universität, Sakis Karagiorgas im Juli 69 mit einer Bombe selbst verletzte, wurden die restlichen Mitglieder verhaftet. Die Gruppe wurde auch im Exil von europäischen Behörden überwacht und 1971 wurde einer ihrer Waffenbeschaffer in Bonn verhaftet.
1969 wird erneut ein DX Laden mit einer Bombe angegriffen, ebenso ein American Express Büro, die amerikanische Bücherei und ein Hotel mit US Militär.
5.Januar 1970, eine Putzfrau findet einen Sprengsatz in einer Toilette der US Botschaft.
Alle Bomben richten nur symbolischen Schaden an. Aktivisten der DA stellten nach der Junta viele Minister und Funktionäre in Gewerkschaften, Presse und Universitäten.

Der Politiker der Zentrums-Union und spätere Premierminister der PASOK, Andreas Papandreou,
rief vom Exil aus im Februar 1968, die Gründung der PAK (Panhellenic Liberation Movement). Diese Gruppe wurde nicht besonders ernst genommen, weil sie de facto nur auf dem Papier bestand. In Proklamationen solidarisierte sie sich mit dem Viet Cong und ließ einige Aktivisten von der PLO ausbilden. Am 3. Oktober 1970 besuchte der amerikanische Verteidigungsminister den griechischen Diktator Papadopoulos im Parlamentsgebäude am Syntagma in Athen, als im benachbarten National Garten eine Bombe explodierte. Von einem zivilen Beamten wurde direkt danach der Rechtsanwalt Ioannis Koronaios festgenommen. Schnell wurden weitere PAK Aktivisten ermittelt und verhaftet. Den nächsten Versuch unternahmen der spätere PASOK Innenminister Sifis Valyrakis und Ioannis Kyriazis, die schon seit ihrer Ankunft in Patras im April 1971 observiert und wenige Tage später verhaftet wurden. Vermutlich wurden sie unter der Folter von anderen PAK Mitgliedern vorher verraten.
Papandreou war schon während der Metaxas Diktatur inhaftiert und hatte damals eine Reueerklärung unterschrieben um Frei zu kommen. Danach war er von den USA ausgebildet worden. Andere Widerstandsgruppen misstrauten ihm, weil sie wussten, dass er nach einem Ende der Junta wieder die Interessen der griechischen Bourgeoisie vertreten würde.

DA, PAM und PAK waren in den Augen vieler Junta Gegner kompromittiert durch ihre Beteiligung bürgerlicher Politiker. Radikalere Gruppen wurden durch Texte und Aktion der RAF und der Roten Brigaden inspiriert, so zum Beispiel die Gruppe LEP (Revolutionary Popular Struggle).

LEP entstand 1968 in Thessaloniki aus Trotzkisten und dem Maoist Tasos Darveris. Trotz einer gewissen Agitation gelang es ihnen nicht die Massen zu erreichen, so dass sie beschlossen den Innenminister der Junta zu töten. Davon wurde aber wieder Abstand genommen weil auch sein polizeilicher Leibwächter die Bombe nicht überlebt hätte. Stattdessen sollten nun die Olympic Airlines, eine militärische und eine US Einrichtung in Thessaloniki angegriffen werden. Am 5. September 1969, kurz vor den geplanten Anschlägen, wurde Darveris verhaftet und verriet unter Folter den Bombenbauer Katsaros. Auch dieser wurde gefoltert und mit drei weiteren Popular Struggle Aktivisten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Giorgos Tsikouris, ein Student aus Zypern, versucht am 21. August 1970 die Schienen der Eisenbahn von Piraeus nach Kifissia zu sprengen aber der Zünder versagt.
Tsikouris und seine Freundin Maria Elena Angeloni gehören zum Aris Team, benannt nach Aris Velouchiotis, die Gruppe ist aus der PAM in Mailand hervorgegangen, der KKE nahen Anti Diktatur Front. In der Nacht des 2. September 1970 wollen die beiden eine starke Bombe mit Zeitzünder hinter der US Botschaft in Athen ablegen. Die Bombe explodiert in den Händen von Giorgos Tsikouris und reißt ihn in Stücke, Maria Elena Angeloni verbrennt in in dem Fluchtwagen. Die Fenster der Botschaft und umliegender Gebäude zerplatzen.
Maria Elena Angeloni war die Tante von Carlo Giuliani und ihr werden Verbindungen zu den Roten Brigaden nachgesagt.

Maria Elena Angeloni

1972 tritt ein weiteres Aris Team aus enttäuschten Mitgliedern der kommunistischen Jugendbewegung Rigas Ferraios mit spontanen bewaffneten Aktionen in Athen in Erscheinung.
Sie setzen am 5. Januar eine Granate gegen die Zentrale der Asfalia am Mesogeion Boulevard ein, der Angriff wird durch eine Informationssperre der Pressezensur nicht bekannt.

Am 26. April 1971 zündet eine Bombe in einer Mülltonne vor dem amerikanischen DX Supermarkt in der Syngrou Avenue in Athen später als erwartet. Ein Angestellter wird schwer verletzt. Auch die Zentrale der Gewerkschaft GSEE wird angegriffen. Zu den Anschlägen bekennt sich ein Revolutionäres Team Makrygiannis. Diese Gruppe wird in der zweiten Ausgabe von Epithesi die Verantwortung für Anschläge auf zwei US Autos in Glyfada übernehmen, die am 16. Oktober 1971 im Zusammenhang mit dem Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten in Athen verübt wurden. Das Makrygiannis Team gibt dabei auch ihr Zusammengehen mit LEA bekannt.

Zwischen Februar 1971 und April 1972 bekennt sich die AAA (Unabhängiger Befreiungs Widerstand) zu 21 kleineren Sprengstoff Anschlägen vor allem gegen US Militärfahrzeuge, für die schließlich der Offizier Tassos Minis verhaftet und gefoltert wird.

Die trotzkistische Gruppe OKDE wurde gleich in der Anfangsphase der Diktatur durch zahlreiche Verhaftungen geschwächt, bis 1970 waren mehr als 100 Mitglieder in Haft, darunter der zentrale junge Kader Giannis Felekis. Ein Teil der jüngeren Kader ging auf eine, wie es der OKDE-Führer Theologos Psaradellis ausdrückte, „spontaneistische Bomber-Linie“ über, während ein anderer Teil den „individuellen Terror“ gegen das Regime ablehnte. Psaldaris gelang eine vorübergehende Flucht aus der Junta-Haft, er wurde dann aber von Bulgarien an Griechenland ausgeliefert.

Mit einer Bombenexplosion im Eingang der Wirtschaftsverwaltung des Präsidialamts der Regierung trat am 6. Juli 1971 eine neue revolutionäre Gruppe an die Öffentlichkeit, Laikos Epanastatikos Agonas (Volksrevolutionärer Kampf – LEA). Zwei Tage später sprengten sie in einem Industriegebiet den Tank eines ESSO Depots und am 14. Juli zündete eine Bombe in einer griechisch-amerikanischen Stiftung. Gründungserklärung und Bekennerschreiben von LEA wurden in der illegalen Zeitschrift Epithesi abgedruckt.
Diese Gruppe war linksradikal und orientierte sich an den Tupamaros in Uruguay. Als strategisches Ziel formulierte die LEA die Übernahme der Macht durch das Volk und die gewaltsame Zerstörung des gesamten Systems. Sie sahen sich damit im Gegensatz zu den meisten anderen Widerstandsgruppen, die Anschläge verübten, um den USA und Europäern zu zeigen, das die Junta die Lage nicht unter Kontrolle hat und deshalb abgelöst werden müsse. Die Übersetzungen von Texten südamerikanischer Stadtguerilla Gruppen spielten eine wichtige Rolle in der theoretischen und praktischen Entwicklung von LEA, die als Vorläufer der Organisation 17. November angesehen wird. Die hierarchischen Konzepte der meisten anderen Gruppen wurden abgelehnt.
Nach der ersten Anschlagsserie reisten einige Mitglieder zurück nach Paris, u.a. Alexandros Giotopoulos, der Sohn des ehemaligen Führers der Archeiomarxist*innen und Anagnostopoulos, wo sie fast verhaftet worden wären.
Nach dem Tod des Dichters und Regimegegners Giorgos Seferis am 20. September 1971 wurde seine Beerdigung zu einem Demonstrationszug gegen die Diktatur. Zehntausende nahmen die Beerdigung in Athen zum Anlass das Demonstrationsverbot zu umgehen, versteckt in der Menge, riefen Leute Anti-Junta Slogans.
Zum fünften Jahrestag des Putsches sprengt LEA am 19. April 1972 in Piräus eine Statue von General Metaxas, dem Diktator von 1936 – 41. In diesem Jahr fühlt sich LEA durch die Schläge der Behörden in Uruguay gegen die befreundeten Tupamaros betroffen.

Die Gruppe 20 O (Bewegung 20.Oktober) nahm sich diese Bezeichnung von dem Datum ihrer ersten Aktion, eine Bombenexplosion 1969 in einem Mülleimer im Stadtteil Kolonaki von Athen. Die Gruppe wurde von Dimitris Psyhogios gegründet, der mit weiteren Genossen Zellen in Athen, Paris und Stuttgart aufbaute. Diese Struktur kann als linksradikal mit anarcho-syndikalistischen Einflüssen beschrieben werden.
Giorgos Votsis, Journalist von Eleftherotypia, wechselte von der PAM zur 20 O, die vor allem Studenten aber auch den Arbeiter Giannis Serifis aus Stuttgart mobilisierte. Im März 1970 zündeten sie eine Bombe anlässlich des Prozesses gegen DA Mitglieder vor der Evelpidon Militär Akademie und am 1. Mai 1970 vor der Zentrale der GSEE Gewerkschaft.
Am 20. Oktober 1971 wurden vier Mitglieder einer Zelle von 20 O verhaftet, als sie versuchten einen elektrischen Verteiler zu sprengen, um die Rede des amerikanischen Vize Präsidenten im Hilton Hotel zu unterbrechen. Alle wurden gefoltert und die griechische Polizei erlangte eine Adresse in Paris, die von der französischen Polizei daraufhin ausgehoben wurde. Auch Giannis Serifis in Stuttgart wurde dadurch bekannt. Als letzte Aktion der Gruppe wurde im Februar 1972 im Zentrum Athens ein Radiosender plaziert, über den eine Nachricht an die Bevölkerung ausgestrahlt wurde.

Die Gruppen LEP, 20 O und Aris Teams wurden von der kleinen Organisation AA (Unabhängige Linke) seit 1971 unterstützt. Ihr Theoretiker was Giannis Galanopoulos, ein ehemaliger Partisan der ELAS. Von 1945 bis 1960 inhaftiert, war er 1967 nach Italien entkommen. Galanopoulos propagierte in Texten und Untergrund Zeitungen, wie der Epithesi (Angriff), den autonomen Kampf kleiner Gruppen, die sich ihre Ziele selbst suchen und bei Bedarf mit anderen Gruppen kooperieren. Er lehnte maoistische Führungsprinzipien ab und bot bewaffneten Zusammenhängen logistische Hilfe an.

Bürgerliche und liberale Gruppen arbeiteten ebenfalls zusammen, unter dem Namen EMA ( Greek Militant Resistance) wurden zahlreiche Bomben gelegt, die im Umfeld des Kriegsveteranen Tasos Panagiotopoulos und des Bombenbauers Tasos Minis vorbereitet wurden. Hier bestanden Kontakte zu jüngeren Angehörigen der Oberschicht, die mit sauberen Pässen den Widerstand unterstützten, z.B. eine Aktion gegen die amerikanischen Verbindungsstellen.
LEA konnte im Ausland zahlreiche Unterstützer*innen gewinnen, unter anderem Jean-Paul Satre und Francois Truffaut.

Die Entwicklung von Massenprotesten im Jahr 1973

Schon in den vergangenen Jahren hatte sich der Unmut der Student*innen vor allem an der Tatsache entzündet, dass ihnen keine demokratische Wahl ihrer Vertretung in den Universitätsgremien erlaubt wurde. Im Wintersemester 1972/73 war dies wiederum verboten und auch über die Lehrinhalte wollten die Studierenden diskutieren. Nach der Zurückweisung kam es zu Protesten. Das Regime reagierte mit dem Polizeiknüppel. Zugleich wurde ein Gesetz erlassen, das es ermöglichte, unbotmäßige Studenten sofort zum Militärdienst einzuziehen. Dagegen kam es am 13. Februar 1973 zu einer Demonstration, die gewaltsam aufgelöst wurde und 37 Studenten wurden sofort eingezogen. Es kam zu weiteren Unruhen und 51 neuen Einberufungen.
Am 21. Februar verbarrikadierten sich etwa 2.000 Student*innen im Gebäude der juristischen Fakultät (Nomiki). Der Senat der Universität versuchte zu vermitteln und die Besetzung wurde beendet. Doch der stellvertretende Premier Stylianos Pattakos blieb hart – die 96 einberufenen Studenten sollten ihren Wehrdienst ableisten. Sechs ehemalige Minister solidarisierten sich mit den Studierenden. Nachdem sich nichts veränderte, folgten Unruhen in Thessaloniki und Patras. In Athen wurde wiederum die juristische Fakultät besetzt und am 20. März 1973 stürmte die Polizei das Gebäude.

Am 4. November 1973 jährte sich zum fünften Mal der Tod von Georgios Papandreou. Zum Gedenken wurde in der Athener Kathedrale ein Gottesdienst abgehalten. Die Partei von Papandreou war die Zentrums-Union, die Ende der 70er Jahre in der PASOK aufging. Durch Mundpropaganda informiert, waren einige Tausend Leute erschienen. Nach dem Ende der Gedenkfeier rief die vor der Kathedrale versammelte Menschenmenge Slogans gegen die Junta und marschierte in das Zentrum von Athen. Die Polizei versuchte, die Menge auseinander zutreiben, doch diese antwortete mit Steinwürfen und errichtete Barrikaden.

Es kam zu einer Straßenschlacht, bei der es auf beiden Seiten Verletzte gab. An den folgenden Tagen wurden von den 100 Verhafteten 17, darunter 3 Studenten vor Gericht gestellt. Die Polizei war vollkommen überrascht und hatte damals noch keine Riot Ausrüstung; durch Schüsse in die Menge und Steinwürfe der Bullen wurden 60 Menschen verletzt. Die Verurteilung der drei Studenten führte zu Protesten zunächst an der Universität Athen, dann aber auch in Patras und Thessaloniki. Um die Spannungen abzumildern, erklärte die Regierung, dass die politischen Führer keine Verantwortung für die Ausschreitungen trügen, die von einer kleinen Gruppe Unruhestifter angezettelt worden seien. Am 14. November besetzten einige tausend Student*innen das Polytechneion. Andere versammelten sich in Instituten der Universität. Alle Student*innen forderten, dass sie ihre Vertretung selbst wählen durften. Die Wahlen sollten am 4. Dezember 1973 abgehalten werden.

LEA verbreitete im Februar 1973 eine Erklärung, in der sie die Studentenproteste begrüßten und im Juli warben sie für ein „Nein“ zum Referendum des Diktators Papadopoulos. Von der Dynamik des Aufstands im November waren alle bewaffneten Gruppen überrascht. Bei den Besetzer*innen des Polytechnio handelte es sich neben Studierenden auch um amnestierte Militante sämtlicher Widerstandsebenen und einige Arbeiter*innen. Radikalisierend sollen trotzkistische und anarchistische Zusammenhänge gewirkt haben, während andere Organisationen vergeblich versuchten ihre Mitglieder von der Teilnahme abzuhalten.

Christos Constantinidis hatte 1971 damit begonnen in seiner Buchhandlung die Klassiker der anarchistischen und situationistischen Literatur zu verbreiten. Er gehörte mit seinen Genossen zu den Ersten, die am 14. November mit der Besetzung des Polytechnio begannen. Sie schrieben die Parolen „Nieder mit dem Staat!“ und „Nieder mit dem Kapital!“ an die Eingangstore, wo sie später von linken Studenten mit pragmatischeren Parolen überdeckt wurden.
Die Präsenz anarchistischer Genoss*innen bei den Ereignissen um die Revolte vom November 1973 was bedeutsam, nicht hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Stärke, sondern eher im Hinblick auf ihren außergewöhnlichen Beitrag, da sie sich nicht auf Slogans gegen die Diktatur beschränkten, sondern auf weiter gefaßte politische Bestimmungen zurückgriffen, die antikapitalistisch und antistaatlich waren. Sie waren auch – zusammen mit Militanten aus der radikalen Linken – unter den wenigen, die diese Revolte begangen. Und sie waren so sichtbar, dass Repräsentanten der formalen Linken ihre Anwesenheit bei den Ereignissen verurteilten und sie verleumdeten.

KNE, die Jugendorganisation der KKE, verbreitete die Meldung, dass die Besetzung des Polytechnio eine Provokation von 300 bezahlten Agenten des Geheimdienstes sei.
In Wirklichkeit war die formale Linke der Revolte selbst gegenüber feindselig eingestellt, das sie den friedlichen Übergang von Diktatur zur Demokratie unterstützte. Und weil sie die spontane Revolte der Jugendlichen und Arbeiter*innen nicht aufhalten konnten, versuchten sie sie zu manipulieren und nach dem Fall der Junta auszunutzen. Der Nachhall dieses Konflikts dauert bis heute an.

Die bewaffneten Gruppen waren sich in der Bewertung der Ereignisse um den 17. November 73 nicht einig, 20 O war unzufrieden mit der eigenen Beteiligung, was aber ihren ständigen Bemühungen ihre Struktur vor dem Zugriff der Behörden zu retten, zugeschrieben wird. Zusammen mit Aris Team, LEP und AA riefen sie zur Rache für die Ermordeten, Verletzten und Gefolterten auf.

Von den Mitgliedern der Organisation 17 November waren viele gar nicht bei der Besetzung der Universitäten dabei. Nach der Stürmung des Polytechnio durch das Militär setzten einige militante Gruppen und Individuen auf den Massenkampf, andere entwickelten ihre Bombenkampagnen weiter.
Aris Team verfasste einen Aufruf für die Entwicklung von Kampfkomitees in Nachbarschaften, Schulen und Arbeitsplätzen, die als autonome Gruppen in einer revolutionären Organisation zusammen arbeiten könnten. Dieser Aufruf soll das Gründungspapier von ELA im Jahr 1975 inspiriert haben.
Wenn wir später zu der Frage kommen, was die Bildung einer anarchistischen Bewegung beschleunigt hat, ist auf die oft völlig falsche Einschätzung der Entwicklungen durch andere Gruppen und Organisationen zu verweisen. Dadurch wurde eine neue Strömung heraus gefordert. Das maoistische Komitee der Griechischen Antifaschisten in Paris zum Beispiel, sah den Aufstand im November 73 als Erfolgreich darin, die geplante Transformation der Militärdiktatur hin zu einem parlamentarischen Faschismus zu verhindern. Bekanntlich ist dem System aber später genau das gelungen.

Zum Jahreswechsel 73/74 fand in München ein Treffen von Deligierten verschiedener Widerstandsgruppen statt. Hier forderte Andreas Papandreou ein härteres Vorgehen gegen die Junta, inklusive Attentate auf Personen. Damit stand er relativ alleine da und verfügte auch nicht über handlungsfähige Strukturen. LEA, 20 Oktober und Aris Team vereinbarten eine Zusammenarbeit, konnten das aber nach dem Putsch von Dimitrios Ioannidis gegen Papadopoulos kaum umsetzen.

Die PAK von Papandreou half dem Künstler Grigoris Christeas, der aus den USA zurück kehrte, beim Aufbau einer Gruppe unter dem Namen LAOS, dem gleichen Kürzel unter dem Panagoulis 1968 den Anschlag gegen den Diktator verübt hatte. Dieses LAOS stand jetzt für Peoples Organized Liberation Army. Ihre ersten 5 Bomben richteten sich am 22. Februar 1974 gegen die Firma Dow Chemical in Lavrio, eine US Firma die Gifte für den Vietnamkrieg produzierte. Vier Bomben explodierten und richteten Schaden an, bei der Entschärfung der fünften starben zwei Techniker. PAK begrüßte den Anschlag, zu dem sich die 8. Abteilung der LAOS bekannte. Die Gruppe wurde verraten und Christeas gelang die Flucht nach Europa, während andere Mitglieder verhaftet und gefoltert wurden.
Panagoulis, der nach der Amnestie heimlich wieder aus Italien eingereist war, unterstützte diesen Anschlag von LAOS8 nicht, unter der Bezeichnung LAOS1 bombte seine Gruppe eine Bank of America in Piräus und die Comercial Bank am 3. Dezember 73 und zwischen dem 9. und 19. Januar 74 einige US Fahrzeuge.
Grigoris Christeas erhob in Basel den Vorwurf des Verrats gegen eine Person aus dem Umfeld von Papandreou, der diesen Verrat angeordnet haben soll um Martyrer zu generieren. Dieser Vorwurf hatte keine Konsequenzen, der Verräter gehörte später zu den Gründern der PASOK.
Eine Bombe der Gruppe um Panagoulis beschädigte am 14. April 74 eine Polizei Station in Athen.

Da als Resultat von jahrelangen Bombenkampagnen und eines Aufstands die Junta trotzdem nicht gestürzt werden konnte, sollen angeblich einige Gruppen einen Teil ihrer Mitglieder in Ausbildungslager der PLO geschickt haben, um die Eskalation zu erhöhen. Die angeblich auch gelieferten Waffen kamen allerdings nicht zum Einsatz.

In Folge des für die Junta desaströsen Verlaufs des Zypern Kriegs stürzten Generäle der Armee am 23. Juli 1974 die Obristen und übergaben die Staatsgewalt an Konstantinos Karamanlis.

Die als Metapolitefsi bezeichnete Phase des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie legte den Grundstein für das Aufkommen einer anarchistischen Notwendigkeit. Zwar wurde die KKE, Beteiligte am Kampf gegen die deutsche und britische Besatzung, wieder legalisiert, doch ihr Markenzeichen blieben Verrat und Stalinismus.
Alexandros Panagoulis wird bei den ersten Wahlen für die Zentrums-Union ins Parlament gewählt, tritt aber wegen Meinungsverschiedenheiten aus der Partei aus. Nachdem er angekündigt hatte, Archive der Militärpolizei ESA veröffentlichen zu wollen, stirbt er am 1. Mai 1976 bei einem vermutlich von Angehörigen der Sicherheitskräfte fingierten Verkehrsunfall. Diese Archive, die anscheinend vor der behördlich angeordneten Vernichtung gerettet werden konnten und nie offengelegt wurden, sollen Informationen über die Kollaboration von wichtigen Politikern mit der griechischen Junta enthalten.

Andreas Papandreou sammelte in der PASOK viele linksradikale und trotzkistische Kämpfer*innen gegen die Junta, um sie im geeigneten Moment zu neutralisieren. Wer nicht im Apparat der PASOK aufstieg, suchte die Rückkehr in ein bürgerliches Leben oder beteiligte sich an einer der unzähligen kleinen Splittergruppen. Viele Bombenleger wurden Journalisten oder Professoren, das gesellschaftliche Klima war erwartungsvoll; Erwartungen die von den Programmen der linken Organisationen nicht erfüllt werden konnten.
In der Umgebung des Polytechnio, in Exarchia ließen sich ehemalige politische Gefangene, aus dem Exil zurückgekehrte Dissidenten und Student*innen nieder. Nach sieben Jahren Zensur waren die Buchläden und Zeitschriften voll mit subversiven Texten. Die Zeit war reif für einen anarchistischen Raum, der nur in den ignorantesten Zonen Europas auf das inflationäre Molli-Werfen reduziert werden wird.

Gegen das Vergessen – Teil 2: Anarchistische Strömungen während der Metapolitefsi – Griechenland 1974 – 1980