Lasst das Feuer um sich greifen – September 2016, Schweden

Der folgende Text ist eine Übersetzung aus dem Schwedischen:

Eine Analyse, die Autobrandstiftungen der letzten Monate in Schweden und Dänemark betreffend und ein Vorschlag zur Intervention

In den letzten Monaten hat sich etwas, das zum täglichen Leben in den schwedischen Vororten gehört, wie Gras im Garten des sozialen Friedens ausgebreitet und begonnen, die Form einer namenlosen und apolitischen Revolte anzunehmen. Der einfache Akt des Anzündens von Autos, insbesondere aufgrund seiner herausstechenden Einfachheit, hat sich sowohl in kleinen Orten wie in großen Städten verbreitet, auf beiden Seiten des Öresunds, in abgelegenen, wie auch in zentralen, reichen und wohlintegrierten Gegenden. Es gab sowohl kleine, individuelle Akte wie auch (vermutlich) koordinierte Aktionen in größeren Städten. Die Reaktion der
Gesellschaft kam von den Bullen, der Feuerwehr, den Medien, der Politik und beliebigen Expert_innen, die eine Vielzahl an Plänen präsentierten; Pläne, die in keiner Weise in der Lage waren, das Abfackeln von Autos zu stoppen, die allerdings die generelle Repression gegen diejenigen, die sich nicht anpassen wollen,verschärften.


Rinkeby/Stockholm, am 20. Februar nach der Trump Rede

Mit diesem Text wollen wir eine vorsichtige Analyse wagen, gefolgt von einem etwas spezifischeren Vorschlag zu Intervention in diesen Konflikt zwischen anonymen Individuen und der Gesellschaft. Eine anarchistische Intervention, ohne Platz für Politik oder Vermittlung. Wir denken, dass wir nichts zu verlieren haben, ausser des Komforts, der uns davon abhielt,diejenigen zu sein, die das erste Auto den Flammen übergaben.

Chronologie und das Problem der Medien

Es war schwierig, bei diesen Entwicklungen auf dem neuesten Stand zu bleiben. Sobald man versucht hatte,eine Chronologie der Ereignisse zwecks einer besseren Übersicht zusammenzustellen, passierten neue Dinge – sowohl auf Seiten der Gesellschaft als auch auf Seiten ihrer Antagonist_innen. Uns muss klar sein,dass die umfassendste Informationsquelle, die uns zur Verfügung stand und steht, die offiziellen Medienberichte sind, da es an anderen Kommunikationswegen klar mangelte.
Wir rufen uns hier die Worte von Mitstreiter_innen ins Gedächtnis: „Die Millionen Worte und Bilder, welche die Bildschirme und Zeitungen füllen,sind keine Wiederspiegelung der Wirklichkeit, sie formen einen wesentlichen Bestandteil des Erschaffens der Wirklichkeit, vom Auferlegen von Moral, Regeln und Logik, welche die Existenz des Staates erlauben.“ (aus „Einige Anmerkungen zu Medien und Repression“, publiziert im August 2016 auf solidariteit.noblogs.org)

Diese Informationen nutzen wir nicht ohne Selbstkritik. Diese Informationen kommen insbesondere den Politikern und „guten Bürger_innen“ sehr gelegen, wie das obige Zitat unterstreicht. Doch auch wenn diese Informationen unseren Feinden nützen, werden wir sie nutzen, um diejenigen zu stürzen, die sie schufen. Wir wissen nicht, was in der Sphäre der sozialen Medien los war, aber wir halten es für unwahrscheinlich, dass diese sogenannten Werkzeuge dazu genutzt wurden, diese Aktionen zu analysieren und zu verbreiten, um die Situation zu einer sozialen Revolte auszubreiten.
Wäre das der Fall gewesen, hätten sich die Medien wie die Geier auf diese Tatsache gestürzt, und das haben sie nicht. Hier der Link zu einer Radiosendung (auf Schwedisch), die den Medien vorwirft, durch die Berichterstattung Öl ins Feuer gekippt zu haben – aber auch dieser Bericht basiert auf Statistiken und ist voller Widersprüchlichkeiten: sverigesradio.se/sida/avsnitt/786141?pr…

Dies ändert nichts an der Tatsache, dass diese Aktionen – die Autobrandstiftungen und die zahlreichen Attacken auf Cops und andere Uniformierte – die Rebellion und das Potenzial zu einer sozialen Revolte in sich tragen. Es ist sehr schwer, zwischen den Ereignissen, die zu dieser sehr spezifischen Eskalation gehören und denen, die einer breiteren sozialen Spannung zuzurechnen sind, eine klare Linie zu ziehen. Wir wollen uns die Aktionen verschiedener Individuen nicht aneignen um unsere Ideen bestätigt zu sehen. Wir wollen unser Verlangen nach einer generali- sierten Revolte nicht auf Individuen und Akte projizieren, die ihre ganz eigenen Motivationen und Ziele in sich tragen.
Auch wenn es schwer fällt, werden wir die organisierten Angriffe auf Bullen und Uniformierte in Kronogården, Trollhättan, Södertalje und Örebro bei unserer Analyse weitgehend aussen vor lassen und uns auf die Autobrandstiftungen konzentrieren. Dies zum Teil wegen der intensiven Expansion dieser Methode in den letzten Monaten und zum Teil, um eine sehr einfache und einfach reproduzierbare Methode des Angriffs auf die Normalität zu beleuchten.

In den ersten beiden Augustwochen waren die News-Seiten und Zeitungen voll mit Schlagzeilen wie „16 Autos in 5 Stunden angezündet“, „Justizminister:`Ich bin stinksauer auf diese Hooligans`“, „Letzte Nacht: 20 Autos angezündet“, „Die Regierung ruft nach härteren Strafen gegen Autobrandstifter“, „Letzte Nacht: noch mehr Autos angezündet“…
In diesem Zusammenhang wurden Expert_innen der Soziologie, Feuerwehrangehörige, Bullen und Leute,deren Autos abgefackelt wurden, interviewt. Die Bullen versprachen verzweifelt, der Lage durch intensivere Präsenz in den betroffenen Stadtteilen Herr zu werden – ohne großen Erfolg.

In Ronneby waren die Cops ein wenig realistischer,als der leitende Ermittler sagte: „Wir haben zu wenig Polizeikräfte, es ist Urlaubszeit und so, ich kann also
keine erweiterten Patrouillen versprechen“, als er nach drei Autos gefragt wurde, die in den letzten drei Nächten in dieser kleinen Stadt im Süden Schwedens angezündet wurden. Daraufhin engagierte die Bezirksregierung kurzerhand private Securities, die fortan inden Straßen patrouillierten.
Zwischen dem 1. Juli und dem 17. August 2016 meldeten die Feuerwehren Stockholms 134, die Malmös 108 und die Göteborgs 43 angezündete Autos. Im gesamten Jahr 2016 wurden nur in Malmö 154 abgebrannte Autos gemeldet, wo in einigen Fällen mehrere Autos gleichzeitig betroffen waren. In der ersten Augustwoche wurden pro Nacht ungefähr 7 Autos in Malmö angezündet. Am ersten Wochenende wurde ein
Polizeiauto angezündet, als seine Besatzung gerade zu einer Ruhestörung gerufen worden war. Das Epizentrum der Angriffe war Malmö, doch schon bald breitete sich das Phänomen auf andere Städte aus.
In der Nacht vom 16. auf den 17. August wurden in Nörrköping mindestens 12 Autos zerstört und weitere 7 beschädigt. Währenddessen gab es Berichte aus kleineren Städten wie dem bereits erwähnten Ronneby,aus Skala, Varberg und Borås, aber auch aus größeren Städten die Stockholm, Linköping, Göteborg, Västerås und Södertälje.

Mitte August breiteten sich die Autobrände auch nach Dänemark aus, wo in mehreren Nächten in Folge Autos brannten. In der Nacht auf den 20. August wurden 10 Autos angezündet. Seitdem gab es immer wieder Brände, mit schwankender Intensität wurden Autos in verschiedenen Stadtteilen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen angezündet, mitunter in Christianshavn,Amager, Nørrebro, Valby und Vestegnen. Den Medien zufolge wurden in Kopenhagen zwischen Mitte August und Mitte September mindestens 50 Autos in Brand gesteckt. Die Bullen haben keinen Hehl aus der Vermutung gemacht, dass die Brände durch die in Schweden stattfindenden Brandstiftungen inspiriert waren und fingen
sofort an, nach Schuldigen zu suchen um die Situation zu beruhigen. In den Medien gab es Zeugenaufrufe und die Cops sichteten eine große Menge an Videomaterial von Überwachungskameras aus den betroffenen Gebieten. Bilder und eine Beschreibung eines Verdächtigen wurden veröffentlicht, und nach einigen anonymen Hinweisen wurde am 24. August eine Person verhaftet, der vorgeworfen wurde, zehn Autos erfolgreich angezündet und es bei mindestens 23 versucht zu haben. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass es weniger Brandstiftungen gab, weiterhin brannte es regelmäßig in verschiedenen Stadtteilen. Selbst die stinkenden Möchtegern-Bullen der SSP (eine sozialarbeiterische Kooperation von Schulen, Sozialämtern und den Bullen) haben ihre Aktivitäten verstärkt um zu verhindern, dass die Jugend durch die Brände inspiriert wird.

Jede Nacht der ersten Augustwoche war in Malmö ein
Polizeihelikopter in der Luft. Am 11. August wurde der
Helikopter wohl nicht zum ersten Mal mit einem grünen
Laserpointer geblendet, zwei Jugendliche wurden in der Nacht verhaftet. Sie wurden verhört, wohl in der Hoffnung, dass sie Hinweise auf die Brandstiftungen geben könnten, die weiterhin ratlosen Cops mussten sie jedoch am nächsten Morgen wieder gehen lassen. Am 15. August berichteten die Bullen von der Festnahme einer Person, die bei einer Autokontrolle in Rosengård den Kofferraum voller Benzinkanister und einen Hammer gehabt haben soll. Diese musste aber am 18. August entlassen werden, da weder Haftgründe noch belastende Beweise vorlagen – der Verdacht blieb aber. Am selben Tag präsentierten die Bullen eine neue Taktik gegen die Autobrandstiftungen. Das erste Mal in der schwedischen Geschichte der Repression sollten Drohnen eingesetzten Zivilbeamten und Motorradcops helfen, den
Brandstifter_innen habhaft zu werden. Der Vorschlag kam vom NOA, der „Nationalen Operativen Einheit“ der Polizei, die diesen auch umsetzte. Die Drohnen lieferte die schwedische Firma SAAB – eine Firma, deren Produkte für den militärischen Bereich mit Sicherheit auch „zivilen“ Nutzen haben werden…


Die Antwort der Gesellschaft

Um unser Verständnis für die Situation zu vertiefen, aber auch um die Möglichkeiten einer Ausweitung dieser Akte der Revolte in Richtung eines Aufstands zu sondieren, wollen wir einen genaueren Blick auf den Zirkus werfen, den die Gesellschaft im Angesicht der Unruhen veranstaltete. Auf den den ersten Blick ist es interessant zu beobachten, wie sich das Anzünden von Autos im Stillen ausbreitet, während diejenigen, die diese Akte verdammen, die Bullen, Politiker_innen,Medien und Expert_innen jeder Couleur, am lautesten sind. In ihrer Stille sprechen die Akte des Feuerlegens für sich selbst, und in dieser Stille sollten sie verbleiben – alles was wir hören ist das Lodern der Flammen, und dies braucht keine weiteren Erklärungen. Doch diese Stille ist bedrohlich, gar gefährlich für die herrschende Ordnung. Die effektivste Maßnahme gegen Stille ist offensichtlich der Lärm, reden und ablenken, das Erlan-
gen der Macht über die Einordnung der Ereignisse. In Schweden wurde viel über misslungene Integration und
Vandalismus gesprochen, während in Dänemark schnell von Pyromanie die Rede war, das Anzünden der Autos wurde zur Krankheit erklärt. Eine Annahme, die schnell wieder verworfen wurde, als die Brände sich trotz der Festnahme eines „verdächtigen Pyromanen“ weiter ausbreiteten. Die dänische Diskussion rückte in der Folge näher in Richtung der schwedischen, mit einem klaren Fokus auf die Jugend. In dem einen Fall ist das Anzünden von Autos ein Akt von schwer integrierbaren, jugendlichen Migranten, was anderen, die nicht in diese Kategorie passen, eine Identifikation mit dem Geschehen erschweren kann. In dem anderen Fall geht
es um eine Pathologisierung. Eine Identifikation mit den
Akten würde also bedeuten, sich als „kranke“ Person zu verorten, was mit einer sozialen Stigmatisierung ein- hergeht. Die gleichen Aktionen, die gleiche Stille, kon-
frontiert mit enormem Lärm seitens der angegriffenen
Gesellschaft. In Schweden hatten diese Diskussionen viel mehr Zeit sich zu entwickeln als in Dänemark und die herrschenden Politiker_innen haben härtere Strafen gefordert, nicht nur für die Autobrandstifter_innen, sondern, um zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können, für jugendliche Straftäter_inneninsgesamt. Die Umsetzung dieses Vorschlags würde bedeuten, dass Sofortgerichte etabliert, Fußfesseln für Jugendliche erlaubt und Überwachungsmaßnahmen während Bewährungsstrafen intensiviert werden. Die politische Opposition ruft nach mehr Polizei und einer Rückkehr zu der kürzlich veränderten Organisation des Polizeiapparates. Soziolog_innen warnen vor den Folgen härterer Strafen und fordern stattdessen verstärkte Bullenpräsenz auf der Straße, weil dies angeblich bei den Unruhen der letzten Jahrzehnte für Deeskalation gesorgt hätte.

Wenn wir uns umschauen, finden wir im Schatten der vor sich hin rottenden Kadaver dieser Diskussion die stillen, abwartenden Geier. Diejenigen, die von den Autobränden und der gesellschaftlichen Stimmung, die diese erzeugen, profitieren. Die Drohnen der Firma SAAB wurden schon erwähnt, aber es gibt auch noch die Versicherungen und Sicherheitsunternehmen. In verschiedenen Artikeln und im schwedischen Radio wurde darüber berichtet, dass die einfache Unfallversicherung für Fahrzeuge nicht ausreiche, um die Schäden einer Brandstiftung zu decken, hierfür müsse eine Auto mindestens teilkasko-versichert sein. Niemand muss studiert haben um zu verstehen, wo in solchen Berichten der ökonomische Wert für die Versicherungsfirmen liegt. Insbesondere, wenn einer solchen Berichterstattung
O-Töne von Sprecher_innen dieser Firmen folgen, die
versichern, dass die Brandstiftungen keine Auswirkungen auf die Tarife der Menschen in den betroffenen Stadtteilen haben werden. In Orten wie Ronneby, wo die Bullen ihre Uniformen im Schrank zurückließen um sich irgendwo zu entspannen, wurden private Sicherheitsangestellte für Patrouillen engagiert.

In zwei Vororten des südöstlichen Södertälje bauten Jugendliche in zwei aufeinanderfolgenden Nächten Barrikaden und griffen Busse an, um die Bullen anzulocken. Als diese kamen, wurden sie mit Steinen und Böllern angegriffen. In einer dieser Nächte durchbrach ein Stein die Windschutzscheibe eines Streifenwagens und verletzte einen Bullen am Auge, der daraufhin ins Krankenhaus musste. In Örebro zog eine größere Gruppe maskierter Individuen durch die Gegend, setzte eine Wäscherei in Brand und begrüßte die so angelockten Bullen mit Molotow Cocktails, Steinen, Feuerwerk und Golfschlägern.

In Verbindung mit Krawallen oder Angriffen durch Gruppen wie in Örebro oder Södertälje, werden immer wieder zusätzliche Patrouillen verschiedener Firmen,zusätzlich zu den Cops eingesetzt. Sicherheitsfirmen,für die die sogenannte „Flüchtlingskrise“ eine regelrechte „Klondike-Ära“ eingeläutet hat. Firmen, die reichhaltige Erfahrungen im Verprügeln von People of Color besitzen und nun vom Amt für Migration an die Seite der Cops gestellt werden, während die Refugees den Brandstifter_innen zugerechnet werden, um nunmehr als bewegliche Ziele zur Verfügung zu stehen. Diese Aasgeier bleiben Aasgeier, doch nur so lange, wie sie ungestört arbeiten und Abstand zum Zentrum dieser Ereignisse halten können. Wie in einem Ökosystem erfüllen sie eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung des sozialen Systems und bemühen sich, die brodelnde Revolte im Würgegriff zu halten.

Im sozialen Frieden bedeutet jede Unterbrechung desselben eine Möglichkeit der Revolte und des Aufstands; der Bruch selbst ist jedoch nicht automatisch ein bewusster Akt der Revolte, denn er ist immer gebunden an die Individuen und die individuelle Situation, in der er entsteht. Dennoch entschleiert der Bruch die Konflikte,die der soziale Frieden sonst zu überdecken vermag. All das, was wir in unserem Alltag zu ertragen haben, bezüglich unserer eigenen Unterwerfung, wird ausgespuckt und all die Worte der „besten der schlechten Möglichkeiten“, des „es ist, wie es ist“ verblassen im Angesicht des offensichtlichen Widerspruchs mit dem Leben, zu dem wir in dieser Gesellschaft gezwungen werden.
Ein ausgebranntes Auto mag sich nicht wie der Startpunkt einer sozialen Revolte anfühlen, doch kann es gleichzeitig genau dieser Moment sein. Was es werden kann. Es kann der Angriff eines Individuums auf den sozialen Frieden, die soziale Ordnung und gleichzeitig die Sabotage des Funktionieren eines Individuums in eben dieser Ordnung sein. Dies alles sehen wir als in Erwägung zu ziehende Faktoren, unabhängig von der jeweiligen Motivation, egal ob es um den individuellen Wunsch nach Revolte, um das Vertreiben von Langeweile, um Geld oder persönliche Rache geht. Der soziale Frieden,in dem der Staat für sich das alleinige Recht zur Vermittlung und Kontrolle herausnimmt, wird unabhängig von der Motivation des angreifenden Individuums in Frage gestellt, wenn ein Auto brennt. In dieser Normalität, zu deren Reproduktion wir alle angehalten sind, ist kein Platz für brennende Autos – schon gar nicht für Brandstiftungen ohne klare und greifbare Motivation und die sich eifrig ausbreiten, über große Entfernungen, von Region zu Region. Wenn sich dieses Feuer weiterhin so ausbreitet wie in den letzten Monaten, wird es für die Herrschenden unmöglich, die Existenz eines sozialen
Konflikts zu ignorieren. Was sie stattdessen versuchen ist, den Konflikt auf eine sehr kleine, feindselige und ungezähmte Gruppe zu reduzieren – mit der die Mehrheit,
wie bereits erwähnt, im besten Fall nichts gemein hat.

Er wird zur Angelegenheit der Polizei, der Politik und der Soziolog_innen. Der Staat versucht in seiner Rolle als Vermittler, diese Angelegenheit ersichtlich und kon- trollierbar zu machen. Er versucht, ihn zu einem Konflikt zwischen den Autoritäten und, von seinen loyalen Spezialist_innen einwandfrei identifiziert, einer Gruppe
„schlecht integrierter Jugendlicher“ zu machen um davon abzulenken, wen diese Geschehnisse wirklich sichtbar machen:
Individuen wie Dich und Mich, im Konflikt mit dem Leb-
en, das wir unter diesen Verhältnissen zu fristen veru-
rteilt sind.


Von der anonymen Revolte zum apolitischen Aufstand

„Dieses Verbrechen ist sehr schwer zu untersuchen. Es
sind keine Muster zu erkennen und wir haben keine Verdächtigen. Wir benötigen alle Hilfe, die wir bekom-
men können.“

Lars Forstell, Bulle in Malmö.

Wir sind nicht nur interessiert an den Autobränden, die
über Schweden und Dänemark hinwegfegen, weil sie den Funken der Rebellion in sich tragen, sondern auch weil sie uns eine andere Art ermöglichen um Aufstände zu verstehen, denn ihr apolitischer Charakter gibt uns einen Hinweis auf eine andere Taktik. Die Autobrände sind ein unkontrollierbarer Angriff auf die Gesellschaft,denn sie verbreiten sich über das ganze Gebiet, welches der Staat kontrolliert und fokussieren sich nicht auf spezifische symbolische Ziele. Sie sind überall und zu jeder Zeit simpel reproduzierbar und es ist unmöglich für die Bullen, an jedem Ort zur gleichen Zeit zu sein.

Politische Bewegungen sind auf die Idee fixiert, Leute zu einer Bewegung oder einer bestimmte Kategorie
Ausgebeuteter vor einem symbolischen Ziel zu zusam-
menzufassen, in dem Glauben, dass wenn nur genügend Menschen zusammenkommen, die Macht gezwungen sein wird etwas zu ändern. In der Realität sind diese Methoden leicht zu kontrollieren, weil es nicht sehr schwierig ist die repressiven Kräfte an spezifischen Plätzen an einem vorgegebenen Datum zu koordinieren.
Sogar Anarchist_innen, die diese Vorstellung zu Kämpfen kritisieren, reproduzieren diese Logik. Wieso all die
Demonstrationen zu irgendwelchen symbolischen Zielen, begleitet von schwer ausgerüsteten Polizist_innen?
Wieso sollten wir immer einen Schritt hinter Staat und
Bullerei sein? Die Entfacher_innen der Feuer zeigen den
Weg zu einer anderen Form des Konflikts mit dem Staat.
Konstant, unkontrollierbar, flexibel und zerstörerisch.
Hier hinken die Bullen hinterher.

Sicherlich, brennende Autos sind nicht ausreichend für die Umwälzung des Existierenden. Aber sie eröffnen,im skandinavischen Kontext, ein neues Verständnis für Insurrektion, sie geben Inspiration für verschiedene
Taktiken in unseren Kämpfen. Sie können ein Sprungbrett sein, welches wir in unserer individuellen Revolte im Sprung hin zum sozialen Aufruhr nutzen können,und das ist, das muss man sagen, mehr als das, was politische Bewegungen in Skandinavien in langer Zeit hervorgebracht haben. Wo wir schon bei politischen Bewegungen sind, der Kampf um das teilbesetzte Haus Rigaer94Kampf um das teilbesetzte Haus Rigaer94 in Berlin während des letzten halben Jahres zeigt, wie das Abfackeln von Autos als eine Methode genutzt werden kann, die aber auch ihre Grenzen hat, was interessant sein könnte kurz zu bedenken.Um nicht den Fokus zu verlieren, werden wir keine tiefgründigere Analyse bringen, aber beispielsweise auf contrainfo.espiv.net gibt es eine Menge Infos für jede_n,der_die mehr wissen will.

Im Kampf um die Rigaer94 war unserer Meinung nach der gleiche Faktor, welcher die schnelle und intensive Ausbreitung verursacht hat auch der Grund, aus dem sich der Konflikt nicht weiter ausgeweitet hat als ein Anliegen von Anarchist_innen und Autonomen zu sein.

Der besagte Faktor war die Limitierung des Kampfes auf das Haus und das lokale Gebiet. Verglichen mit Skandinavien ist Deutschland voll von Autonomen und Anarchist_innen, von denen viele dem Aufruf der Gefährt_innen folgten 10 Millionen Euro Sachschaden zu verursachen – manche, weil sie sich mit der Rigaer94 identifizieren und in Solidarität handeln wollen, andere,da sie ständig Ausschau nach neuen Events halten, um darauf zu reagieren und in diesem Kampf ein solches gefunden haben. Das führt uns wieder einmal in einen Konflikt zwischen einer kleinen, leicht zu kategorisierenden Gruppe von Individuen (Anarchist_innen und Autonomen) und dem Staat, mit dem Rest der Gesellschaft
in der Rolle der Zuschauer_innen und Kommentator_innen. Der Konflikt jedoch kreiste um einen symbolischen Ort, was dem Staat zumindest einen Hinweis darauf gab, wohin sie ihre repressiven Kräfte schicken sollten und machte es außerdem leichter zu handhaben und vorherzusagen. Die meisten anderen Menschen, die ein Interesse daran haben könnten Autos abzufackeln,oder in einer anderen Weise gegen diese Gesellschaft aufzubegehren, haben keinen offensichtlichen Punkt derReferenz mit der Rigaer oder der Subkultur, welcher sie entspringt. Wahrscheinlich sogar noch weniger, wenn Leute anfangen zu sagen, sie seien politisch oder dass
das Anstecken von Autos ein politischer Akt sei. So lange der Punkt des Aufbruchs etwas ist, worauf sich nur wenige beziehen können, bleibt es ein Duell zwischen diesen Wenigen und dem Staat.

Die in Schweden und Dänemark stattgefundene Eskalation wird wahrscheinlich aussterben, da die Repression härter und fortgeschrittener wird. Vielleicht wird sie in ein paar Monaten, oder in einem Jahr wieder aufflammen? Nur um dann wieder zu erlöschen. Vorausgesetzt,wir versuchen nicht sie zu auszudehnen und mit unseren eigenen Handlungen und Ideen von einem Verlangen nach Freiheit zu stärken. Weder gibt es eine Garantie des Erfolgs, noch sind wir zum Scheitern verurteilt. Nur eines ist sicher, so lange wir in der Passivität der Zuschauer_innen und Kommentator_innen bleiben, werden wir garantiert im Bestehenden verharren, das wir so intensiv verachten.

Falls wir Kritik daran haben wie manche während dieser Ausweitung der Autobrände handelten, dann lasst uns in Übereinstimmung mit unseren Ideen handeln, um so aufzuzeigen was wir vorschlagen und wie es in der Praxis aussehen kann. Besonders wenn wir uns etwas alternatives Wünschen von den anderen Rebell_innen. Ein Auto einer Arbeiterin oder eines Arbeiters wurde abgefackelt, und es hat dich gestört? Was hält dichdavon ab ein SAAB Büro anzugreifen, die Autos einer Sicherheitsfirma oder eine Versicherungsgesellschaft? Wenn du denkst, eine Bullenkarre wäre zu wenig, dann stell sicher, dass noch mehr in Flammen aufgehen. Durch passives Genörgel werden sich unsere Ideen
nicht ausbreiten können, ihre Konsequenzen werden so nicht vervielfacht werden, sehr wohl aber durch Taten und konsequente Ehrlichkeit uns selbst gegenüber.

Wenn wir unsere Ideen und Träume realisieren wollen,müssen wir sie und uns ernst nehmen. Wir müssen Traditionen des Kämpfens hinterfragen, welche uns nicht näher an unsere Träume gebracht haben, sondern näher an die Gesellschaft. Wir sollten nach Inspiration suchen,wo auch immer wir Revolten sehen und nicht nur dort wo wir Menschen sehen, die politischen Leitfäden folgen. Wenn wir Ideen teilen, bedeutet das eine ständige Feindschaft mit dieser Gesellschaft. Es bedeutet, sich selbst unbequemen sozialen Situationen auszusetzen.
Es bedeutet das Eingehen von Risiko. So wie das Risiko die Privilegien zu verlieren, die dir die Ordnung zugesteht, welche du behauptest zu verachten. Es bedeutet das Unbekannte zu begrüßen und von ihm begrüßt zu werden und all die Ängste die damit einhergehen. Es bedeutet in dich und in deine Fähigkeiten zu vertrauen wenn du auf das triffst, was hinter dem Bruch mit der Normalität wartet.
Was ist es genau, was dich davon abgehalten hat ein Auto anzuzünden oder Barrikaden in den Straßen zu errichten und die Cops anzugreifen wenn sie auftauchen? Wie auch immer deine Antwort aussehen mag, es ist kein Hindernis für dich deinen eigenen Weg in diesem Konflikt zu finden.

Sprung ins Unbekannte

Wir wollen Freiheit, und unserer Meinung nach ist das
inkompatibel mit dieser Gesellschaft, nun ja, mit jeder
Gesellschaft, die dem Individuum seine Macht und Selb- stbestimmung beraubt. Also ist die Zerstörung dieser
Gesellschaft, mit den ihr innewohnenden autoritären Mechanismen, essentiell dafür, dass wir dazu imstande
sind uns anzueignen was wir wollen. Da unser Ausgangspunkt das immerwährende Jetzt ist – weder festgefahren in einem marxistischen Determinismus noch verhaftet in der kapitalistischen Annahme, dass jeder heute gegangene Schritt ein Investment in die Zukunft sein muss – wollen wir jetzt in Anarchie leben, nicht morgen oder in einem Jahr, sondern jetzt. Unsere Ziele sind eng verwoben mit unseren Taten.

In anderen Worten: In Anarchie wollen wir nicht mit
Autoritäten jeglicher Couleur verhandeln, sondern sie
angreifen und uns im schlimmsten Fall vor ihnen vertei- digen. Also, warum sollten wir im Hier und Jetzt mit ihnen verhandeln? In Anarchie wollen wir uns nicht in Massen organisieren und Politik betreiben. Also, warum sollten wir es jetzt tun? Besonders nachdem die Geschichte uns gelehrt hat, dass dieses Verhalten dem Überleben der Gesellschaft dient und nicht den kämpfenden Individuen… Wir wollen die Revolten sich ohne Anführer und stagnierender Ziele ausdehnen und verbreiten sehen. Wir wollen unsere Revolten verbreiten und sie zu einem Aufruhr werden sehen, zusammen mit weiteren Individuen hungrig nach Freiheit. Um an jenen
Punkt zu kommen ist es deutlich von Nöten, den vor uns
liegenden Konflikt auszuweiten.

Nun, wie kann eine bewusste Expansion dieses Konfliktes aussehen? Unser Ziel ist es weder möglichst viele Mitglieder in einer Art von Organisation oder Bewegung zu zählen, noch der Wille irgendwelche Forderungen nach Wandel zu propagieren oder „stark genug“ zu sein um imstande zu sein mit der Mächtigen oder über die Macht zu verhandeln. Unsere Ziele sind, wie schon gesagt, so simpel wie sie schwer zu realisieren sind – Freiheit durch Revolte gegen diejenigen, die sie uns berauben. Demnach kann weder Erfolg noch Expansion an der Anzahl von Teilnehmern eines Aufstandes gemessen werden, oder ob „normale Menschen“ mit uns sympathisieren oder nicht, sondern einzig uns allein in der Qualität unserer eigenen Erfahrungen, wie sie unsere
Leben verändert haben und wohin sie uns tragen. Wenn eine Million Menschen auf die Straße gehen, die schlussendlich aber nur auf der Suche nach eine_r neuen Anführer_in, eine_r neuen Schäfer_in sind, ist das in jeglicher Hinsicht eine Niederlage. Wenn ich aber im richtigen Moment das richtige Objekt angreife, den richtigen Text veröffentliche – richtig hier als relativer Begriff, welcher mit klaren Analysen von Situationen untermauert werden muss – wenn ich neue Komplizenschaften eingehe, oder neue Gefährt_innen treffe und sich so neue Möglichkeiten für mich und andere öffnen, um das Ausmaß der eigenen und geteilten Revolten auszudehnen, zu vertiefen, zu stärken und zu vergrößern, dann kann ich von Erfolg sprechen – mit mir selbst und meiner Umgebung als Bezugsrahmen. Nun, in diesem Fall ist
die offensichtlichste Art sich in diesen Konflikt einzutreten zuallererst sich selbst auf die Straßen zu begeben. Denn wer wären wir wenn wir nur über all das reden,
ohne eigene praktische Komplizenschaft?

Um unseren Platz auszuweiten, für uns und unsere Ideen und Revolten, sollten wir die aktivsten Gegner_innen des Aufstands und die Profiteur_innen dieser Situation identifizieren, um sie dann zu offensichtlichen Zielen zu machen. Die Bullen sind bereits offenkundig in ihrer Rolle, nicht aber SAAB, die die Polizei mit Drohnen und anderem Equipment ausstattet, oder die Versicherungsgesellschaften, die Sicherheitsfirmen und die Politiker_innen, die die Situation ausnutzen um ihre Macht zu stärken. Abhängig davon in welcher Gegend du lebst kannst du mit Sicherheit die lokalen autoritären Strukturen erkennen und bekämpfen, ob es nun eine salafistische Gruppierung, rassistische Hetzer, eine Nachbarschaftswache oder die Demokratie liebende Sozialarbeiter_innen sind. Es kann sinnvoll sein diese im Hinterkopf zu behalten, anstatt ihnen in der Hitze
des Gefechts in die Arme zu laufen. Alle der erwähnten Firmen haben bundesweit Büros in jedem größeren Stadtgebiet und außerdem, genauso wie Politiker_innen, „Namen und Adressen“. Auf diese hinzuweisen, sie anzugreifen und mit unseren eigenen Worten zu erklären, warum dies geschieht, kann ein Weg sein, die Strukturen der Gesellschaft und ihre Beziehung zu unserer unterworfenen Existenz aufzuzeigen. Das könnte zu einem libertäreren Charakter der Revolte führen.

Mehr oder weniger jede_r Feind_in, den du dir vorstellen kannst hat ein Auto. Nazis, Politiker_innen, CEOs, Bull_innen, Richter_innen, Gefängniswärter_innen und so weiter. Nicht alle, aber fast alle haben Autos und wie wir schon aufgezeigt haben: falls dich die Wahl des Autos, das ein Individuum abgefackelt hat, gestört hat, ist es nicht schwer diesen Akt der Revolte zu reproduzieren, aber mit einem Ergebnis, das dein Leben bereichert. All das hier kratzt nur an der Oberfläche, ein Hauch der Möglichkeiten, die offensichtlich von Kamerad_innen vernachlässigt wurden. Nichtsdestotrotz sehen wir genau hier die Möglichkeiten für uns selbst und für diejenigen mit denen wir unsere Ideen teilen wollen um zu Handeln und diesen Konflikt auszudehnen.

Wir haben diesen Text geschrieben um einzufordern, dass die Revolte und die eigene Fähigkeit zu Handeln ernst genommen werden. Der Aufstand und die soziale Landschaft ist gefüllt mit Widersprüchen und es gibt kein einfaches Rezept um einen erfolgreichen Kampf gegen die Welt der Autoritäten zu führen; wir müssen es einfach versuchen. Und der erste Schritt sollte sein, zu realisieren, dass es bereits Rebell_innen gibt, die die Fackel der Revolte angesteckt haben, die bereits eine soziale Spannung hergestellt haben, in der wir tausende Wege des Handelns finden, wenn wir nur wollen. Weder als Mitläufer_innen, noch als Anführer_innen, sondern als Kompliz_innen der Zerstörung des Bestehenden, mit unseren eigenen Ideen, Zielen und Taten. Mit diesem Sprung ins Unbekannte haben wir keine Garantien für
Niederlage oder Erfolg, aber wir haben wenigstens die
Möglichkeit dazu, was heute unmöglich ist: eine Welt ohne Autoritäten und Herrscher.

…lasst das Feuer um sich greifen.

„Wir werden mit einem Lachen im Gesicht zerstören,
wir werden mit einem Lachen im Gesicht Feuer legen…“


Einige Aufständische