Wenn Stadtteile dem Zugriff des Staates zu entgleiten drohen, reagiert dieser nicht nur mit plumper Gewalt sondern auch mit einem wissenschaftlich vorbereiteten Angriff auf die öffentliche Meinung und die Deutungshoheit bestimmter Begriffe.
Das Extremismusforscher und Sicherheitsexperten europaweit kooperieren fiel schon im Vergleich von Repression in Bristol und Berlin auf.
Nachrichten aus dem Viertel Exarchia in Athen weisen nun ebenfalls Parallelen zu hiesigen Kampagnen auf. Seit dem 16. Dezember berichten mehrere Medien von unhaltbaren Zuständen in „Exarchistan“, deren Bekämpfung jetzt von der Polizei angekündigt wird.
Mit der Bezeichnung „Exarchistan“ sollen Analogien zu Afghanistan angedeutet werden. In der verbreiteten Erklärung der Polizei wird Bezug auf Vorfälle der letzten Wochen genommen.
Das Fehlen der Polizei ermutigte den „Parastaat“ Exarchia zu Vorfällen wie:
1) am 18.11.2015 Angriff auf den Syriza Minister Panos Skourletis (Kallidromiou Strasse, Exarchia)
2) am 12.11.2015 Verletzung eines Polizisten in der Nähe des Polytechnio (evakuiert ins Militärhospital 401).
3) am 21.11.2015 Brandsätze im Haus Flabourari in Exarchia (Staatsminister; Mitglied von Syriza).
4) am 30.11.2015 Besetzung des italienischen Konsulats in Kolonaki.
5) am 14.12.2015 Angriff auf Beamte der DIAS Staffel und Angriff auf Metro Kontrolleure in Omonia, wobei Polizisten und Kontrolleure verletzt wurden.
Zusätzlich wurde am 4. Dezember das Haus und das Auto des ehemaligen PASOK Ministers Kostas Laliotis, in einer Strasse zwischen Exarchia und Lycavittus Berg, mit Brandsätzen angegriffen.
Zwischendurch wurden am ACAB Tag, dem 13.12. zwei Jeeps der OPKE Sondereinheit vor dem PASOK Büro zwischen Exarchia und Kolonaki mit Molotovs attackiert.
Für besonderes Aufsehen sorgten die Schläge, die dem Abgeordneten Vasilis Oikonomou von Nea Demokratia am 15. Dezember in Exarchia verabreicht wurden, in der gleichen Gasse, in der schon ein Syriza Finanzminister schlechte Erfahrungen machte.
Der Verband der Spezialeinheiten der Griechischen Polizei in Attika verurteilte diese „feigen Angriffe, Brandstiftungen und Beleidigungen gegen griechische Bürger und Polizisten“, die es wagten sich in dem Gebiet Exarchia aufzuhalten. Es sei ein „Staat im Staate“ entstanden, in dem jene verfolgt würden, die sich nicht ideologisch unterordnen würden.
Schlimm, TV Nachrichten beweisen: in „Exarchistan“ kämpfen Kinder gegen die Polizei:
Die Rückkehr in den Zustand des „EXARCHISTAN“ (anscheinend sind sich Bullen und Presse bewusst, dass es dort schon seit langem Widerstand gibt) mit Zerstörung und Plünderung, begleitet von Verletzungen und Gefahren für das menschliche Leben, seien Alarmglocken, die dazu führen werden, dass die Sicherheitskräfte wieder in diesem Gebiet anwesend sein wollen. Es müssten, ähnlich wie die Europäische Grenzschutzagentur den Schutz der Aussengrenzen leistet, Maßnahmen zur Bewachung der Grenzen von Exarchia eingeleitet werden.
Inzwischen sei Exarchia „nicht zugänglich“ erkannte der Bürgerschutzminister Nikos Toskas.
„Es gibt Bereiche der Ausgrenzung von Menschen. Und das ist etwas, das gelöst werden muss. Es gibt ein Verkehrsproblem in Exarchia.“
Über den Angriff gegen ND MP Vassilis Oikonomou sagte Minister Toskas es sei „sehr wahrscheinlich, dass er beobachtet wurde und der Angriff organisiert war. Niemand hat das Recht, Bestimmungen über den Ausschluss von Personen und Ideen durchzusetzen. Die blinde Gewalt muss in Angriff genommen werden, nicht nur durch die Polizei, sondern auch politisch. Die Kombination von politischen Reaktionen und Polizeiaktionen ist die Mischung, die wir versuchen zu implementieren.“
Die Realität sieht anders aus, auch nach der Ermordung von Alexis am 6. Dezember 2008 hat die Polizei ihre Präsenz in Exarchia nie aufgegeben, der Einsatz diverser Spezialeinheiten korrespondierte allerdings immer mit der Intensität des Widerstands.
Wenige Tage nach dieser Ankündigung, am 20. Dezember, wurde ein MAT Einheit am Kaningos Platz zwischen Exarchia und Omonia mit Molotovs angegriffen, wobei wohl auch deren Bus Flammen fing.
Nur auf den ersten Blick scheinen die Formulierungen der Bullen und Politiker perfide, wenn Exarchia mit einer Zone unter Taliban Einfluss verglichen wird und von einem „Parastaat“ und „Staat im Staate“ gesprochen wird, in dem Menschen wegen ihrer Gesinnung oder Beruf vertrieben werden. Denn wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt zugleich mit vier Fingern auf sich selbst. Der „Parastaat“ ist die Verbindung der griechischen Polizei mit Chrisi Avgi , der „tiefe Staat“ in der Türkei zwischen Politik, Militär und Grauen Wölfen, die aufgedeckten Gladio Strukturen in den NATO Staaten oder die rechte Mordserie im Italien der 70er und 80er Jahre.
Diese Tatsachen und Begriffe zu verdrehen ist auch die Mission des Berliner Abgeordneten Tom Schreiber, der die selbe Strategie in Bezug auf Friedrichshain fährt. Orchestriert wird er dabei von willigen Medien.
Durch die Verbreitung der These von Autonomen, die sich nicht von Nazis unterscheiden würden und die Behauptung von Angriffen, die jede(n) BürgerIn treffen könnten, beschreibt Tom Schreiber, genauso wie seine Kameraden in Athen, die Erscheinung des eigenen politischen Systems und projeziert dessen Eigenschaften auf den Gegner aus dem anarchistischen Raum. Mit der Delegitimierung der sowohl in Exarchia als auch in Friedrichshain auftauchenden Symptome von Ansätzen einer herrschaftsfreien Nachbarschaft, wird für diejenigen eine gewaltsame Lösung vorbereitet, die sich durch die Propaganda der Macht nicht verarschen lassen.
Ob in Friedrichshain ein vergleichbarer Widerstand geleistet werden kann, ist die nächste Frage. Gerade wenn eine kürzlich in zehntausender Auflage verteilte Broschüre unter dem Titel „ZAD Dorfplatz“ die Messlatte ziemlich hoch hängt.