Mit Militanz Politik machen? – Text zur Interim 763

Das Vorwort der Interim 763 wirft die Frage auf, ob mit Militanz Politik gemacht werden kann oder ob sie sich selbst genügen muss. Im Rückblick auf diesbezügliche Bemühungen der jüngsten Zeit in Berlin scheint zunächst eher letzteres zuzutreffen, doch was sollten die Indikatoren sein ob mit Militanz tatsächlich Politik gemacht wurde?

Die VerfasserInnen von „There’s Gonna be Brighter Days – Autonome Politik in Berlin“ sehen die nächtliche Praxis auch als ein Eingeständnis des Scheiterns autonomer Politik.

Nicht erst seit den Geschehnissen rund um die Räumung des Camps der Refugees am Oranienplatz und der Belagerung der besetzten Schule in der Ohlauer offenbare sich das Scheitern des Versuchs „autonome Politik“ praktisch und politisch für mehr Menschen „anschlussfähig“ zu machen.

Hier muss beachtet werden, autonome Politik nicht mit Militanz gleichzusetzen bzw. den falschen Gebrauch des Wortes Militanz in der deutschen Sprache zu berücksichtigen.

Zum Anfang strategischer Überlegungen könnte es um die Ausrichtung gehen; ist es ein Ziel militanter Politik Zustimmung in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen zu finden oder sind wir nicht doch so sehr Teil dieser Gesellschaft, dass es gerechtfertigt ist diese auch als Ganzes zu bekämpfen? Zum weiteren Verständnis wäre es hilfreich, die Texte von nihilistischen Gruppen aus Griechenland oder Südamerika gelesen zu haben, die sich selbst als „minoritär“ bezeichnen und keine Hoffnung auf eine pädagogische Wirkung ihrer Aktivitäten in der Gesellschaft verschwenden.
Oder wie es in der zwar in hoher Auflage verteilten aber dann nicht weiter diskutierten „Flugschrift zum 1.Mai 2013 für erlebnisorientierte Jugendliche“ heisst:

Wir setzen dem Bedürfnis nach Bezugnahme und Kooperation, nach Netzwerken und Aufhebung der Atomisierung unter den Bedingungen der Warenform unsere NEGATIVITÄT entgegen. Eine Regung die nicht integrierbar ist, kann nur eine Destruktive sein. Mag diese auch noch so marginal sein, ist sie doch nicht falsch und ermöglicht zumindest einen Hauch von Leben. Auch wenn wir dem Spektakel im allgemeinen nicht entkommen, unsere Pseudo-Praxis oft genug dem Bestehenden verhaftet
bleibt, blitzt in den marginalen Aktionen der Schein von etwas Anderem auf. Wir sehen die verschiedenen linken Traditionsvereine, die neue kreative Bourgeoisie oder die Polizei nur als Einflussfaktoren taktischer Natur, bei der Erarbeitung einer Strategie,die keine sein will. Und wenn wir von UNS sprechen, dann sprechen wir von POSITIONEN, welche sich in ihrer Negativität aufeinander beziehen. An nichts anderes wenden wir uns. Wir streben nicht danach mehr zu werden – wir streben danach, uns zu
FINDEN.

(Fragmente einer verwüsteten Welt)

Auf dieser Grundlage hätte Militanz in Berlin gegenwärtig eine positive Phase. Anscheinend sind Strukturen in der Lage mehr als nur Kleinstgruppen Hit and Run – Aktionen durchzuführen und die Vielfalt der in letzter Zeit aufgetretenen militanten Praxis könnte Interessierten die Möglichkeit geben sich zu finden.

Aber es wird damit noch keine Politik gemacht solange Militanz fast immer als Reaktion auf die Vorlagen des Gegners folgt. Hier kann es nichts zu gewinnen geben wie die Flaute nach HH2112 oder der Verlauf der Flüchtlingsproteste von der (Selbst)Räumung des Oranienplatz über die Ohlauer Belagerung bis zur Gürtelstraße zeigt.

Ein Problem liegt in dem Zerfall von offen agierenden radikalen Gruppen in Berlin. Wo früher Demonstrationen von z.B. der AAB bewusst konfliktträchtig angemeldet und organisiert wurden, existiert heute ein Vakuum. Die Antifa ist weitgehend zerfallen und ihre Reste von Parteien und NGOs absorbiert. Um diese Lücken auszugleichen müssten grosse organisatorische Aufgaben übernommen werden, aber wozu? Um dann wieder an dem Punkt zu enden sich als Verhandlungspartner der etablierten Politik anzudienen?
Wir stehen vor dem Phänomen, dass die abscheulichsten Verbrechen der kapitalistischen Ordnung nichts mehr als Gleichgültigkeit auslösen während ein Anschlag auf die Berliner S-Bahn die wüstesten Emotionen produziert und damit eine einfach gehaltene Anschlagserklärung bestätigt.

An dieser Stelle soll kurz auf das Auflösungspapier der ALB eingegangen werden. Der von der ALB diagnostizierten Schockstarre der radikalen Linken in weiten Teilen Europas können wir nicht zustimmen. Es sind dort unglaublich viele Ansätze vorhanden, die allerdings in Berlin nichtmal zur Kenntnis genommen werden;

Beispiel Umwelt: Val di Susa im Austausch mit Widerstand gegen Goldminen in Chalkidiki oder ELF Anschläge in Russland und Türkei,
Beispiel Antifa: Exekution von Nazis im November 2013 in Athen,
ebenso die Verbindung von Stadtteilinitiativen in Barcelona oder Istanbul mit militantem Widerstand oder der Flüchtlingskampf in Calais .
Anfang des Jahres gab es sogar eine Revolte in Bosnien, die selbstverständlich kaum Beachtung bei der Entwicklung theoretischer und praktischer Ansätze in Berlin fand.

Auch Diskussionen über aufständische Bewegungen finden in Berlin keinen Anklang. Auf internationaler Ebene wurde dazu in letzter Zeit regelrecht geforscht, u.a. von crimethinc .
Was sind die Trigger für Aufstände?
Das kurze Zeitfenster nutzen, in dem bei Revolten alles möglich ist.
Verzicht auf Forderungen gegenüber den Herrschenden, die uns niemals das geben können für was wir kämpfen, nämlich die Freiheit über unser Leben.
Der Ausstieg aus Mobilisierungen solange wir vorne sind und nicht erst wenn die Mobilisierung im Niedergang ist. Die andauernde, unermüdliche Fortführung von Angriffen auf symbolische Ziele von Staat und Kapital (z.B. auf Banken), um so längerfristig eine breitere Akzeptanz
solchen Aktionsformen gegenüber zu schaffen.

Voraussetzung für all dies ist die kontinuierliche Organisierung im Vorfeld solcher Aufstände.
Doch wenn einer Szene der fehlende Wille zur Organisierung attestiert wird, stellt sich auch die Frage nach der Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen an jede und jeden Beteiligten. Um beispielsweise das kurze Zeitfenster der Flüchtlingsproteste zu nutzen, hätten mehr Menschen ihren eigenen bequemen Alltag einschränken müssen statt nur die Spaltbarkeit der Refugees zu kritisieren.

Von einigen der in der Interim 763 vorgestellten Kampagnen kann tatsächlich bilanziert werden, dass sie Politik gemacht haben, siehe die Kampagne gegen die Chipkarte für AsylbewerberInnen in Berlin. Auch die aus der Radikal zitierte Aktion gegen Kaisers 1997 hatte an dem Scheitern dieses Projektes ihren Anteil. Vergleichen wir die damalige Resonanz in den Medien auf das Niederbrennen eines Supermarktes während eines Strassenfestes der Grünen mit den Auswirkungen der Aktion auf militante Politik, kommen wir zu dem auf den ersten Blick erstaunlichen Schluß, dass ein erfolgreich durchgeführter harter Schlag mit einem einhergehenden Aufbauschen der Szene durch die Presse keinerlei Initialzündung für das eigene Millieu entfaltet hat. Der Artikel seinerzeit im Spiegel warf ein ungewöhnlichen Blick auf die Koordinaten militanter Aktionen; ihre Auswirkungen auf die Bewegung, die Sichtweise der polizeilichen Gegenspieler, angenommene taktische Überlegungen autonomer Gruppen etc.
Doch ausser dem Einknicken von Kaisers, REWE, Sorat und Co hinterliess diese Aktion nichts für die nächsten Generationen.

Militanz wird an sich schon politisch wenn sie von den Medien des Gegners zerrissen wird um gegen uns verwendet zu werden. Es darf kein Kriterium für direkte Aktionen sein, ob danach eine Szene als aufgeblähte terroristische Gefahr dargestellt wird wie kürzlich in RBB-Kontraste oder ob ein Journalist wie Andreas Kopietz seine eigene verpatzte Jugend in die BranstifterInnen der Berliner S-Bahn halluziniert.

Die Rolle der Presse sollte immer Gegenstand unserer Forschung sein, darf aber niemals unsere Politik beeinflussen. Wie gehen wir damit um wenn in Berlin alles brennt, wo vorher von Senat und Medien Ratten und Brandgefahr festgestellt wurde, wie jetzt auf der Cuvry Brache, wo der Tagesspiegel das Abfackeln der Hütten von „Westafrikanern“ als Ende der Anarchie bejubelt?

Viel zu oft wurden erkämpfte Räume in der Vergangenheit aus den unterschiedlichsten Gründen aufgegeben. Manchmal erschien es so als sei es einfach nicht mehr chick und angesagt sich in bestimmten Kiezen oder an bestimmten Orten aufzuhalten und man zog einfach weiter. Es gibt aber auch keinerlei Bestrebungen sich an den neuen Orten beständiger/beharrlicher festzusetzen oder irgendeine Strategie zu verfolgen. Wenn Kämpfe um einen bestimmten Raum härter/schwieriger werden wird es vorgezogen weiterzuziehen statt standzuhalten und die wirkliche Auseinandersetzung zu suchen.
So verliert man Raum um Raum bis irgendwann alle nur noch zu Hause sitzen und Playstation zocken.
Damit soll die Bedeutung unterstrichen werden, zumindest Möglichkeiten offen zuhalten damit wir uns auf der Straße finden können, sei es während den kurzen Momenten eines Krawalls oder in einem widerständigen Alltag.

Durch Militanz Politik zu betreiben ist in Berlin nicht einfach und konnte in letzter Zeit auch nur im Zusammenspiel mit bürgerlichem, gewaltfreien Protest in diffusen Mischungen als Drohkulisse während der Belagerung der Ohlauer Straße aufgebaut werden. Sobald für Senat und Bezirk kein Bündniss mehr erkennbar war und damit auch keine Furcht vor einer weiteren Zuspitzung Entscheidungen beeinflusste, konnte Militanz nur noch sich selbst genügen und auf die Abläufe um die Gürtelstraße nicht mehr einwirken.

Wenn Militanz also nur schwer als (Droh)Politik entwickelt werden kann, ist auf anderen Gebieten die absolut wünschenswerte Spaltung der Gesellschaft zu fördern, nämlich bei der sogenannten Gentrifizierung einiger Berliner Kieze. Hier konnte nach mehreren militanten Interventionen mit dem SPD Abegeordneten Tom Schreiber (facebook) eine Person mit besten Medienkontakten funktionalisiert werden um die Spaltung voran zu treiben. Tom Schreiber zu dpa nach einer Aktion gegen Verdrängung: „Bei den betroffenen Geschäftsleuten, die vertrieben werden sollen, hängen Existenzen und Lebensträume dran, die zerstört werden.“

Durch Militanz konnte hier also erreicht werden, dass ein SPD Politiker die Sicherheitsbehörden ebenso wie die Öffentlichkeit und die „normalen“ BürgerInnen mobilisiert um die Existenz und Lebensträume einer kleinen Schicht von Besserverdienenden zu verteidigen obwohl alle wissen, dass sie für die Lebensträume der Reichen an den Stadtrand verdrängt werden und das den Flüchtlingen überhaupt keine Lebensträume zugestanden werden sondern die Tatsache, das sie lebend in Europa gelandet sind, als Erpressung bezeichnet wird.

Als dritten Aspekt, neben Politik machen oder sich selbst genügen, kann Militanz auch die richtigen Fragen stellen und eine Utopie von mehr Freiheit entwickeln, woran leider jedoch in der Haftanstalt Deutschland kein großer Bedarf besteht. Und sei es nur durch eine ganz profane Kampagne wie gegen das neue Justizzentrum in München .