Bruno-Taut-Haus, Beitrag zur Strategiediskussion bezüglich Anti-Gentrification

übernommen von linksunten :

Am Bruno-Taut-Haus am Engelbecken in Berlin-Mitte gab es in der Vergangenheit immer wieder stadtumstrukturierungskritischen Glasbruch. Zwei Menschen aus diesem luxusmodernisierten Privateigentumshaus, einem ehemaligen Gewerkschaftsgebäude, haben jetzt Rat gesucht bei der Mieter*innen-Ini Kotti&Co. Dort empfahl ihnen ein Aktivist, gentrifizierungskritische Plakate in die Fenster zu hängen und sich auf der Mieten- und Lärm-Demo am 8.11. als „Versteher“ der Bewegung zu inszenieren, um so weitere Angriffe auf das Haus abzuwenden.

Bei einem Spaziergang am Engelbecken fällt das luxusmodernisierte Bruno-Taut-Haus mit seinen im Erdgeschoss flächendeckend zerstörten Scheiben auf. Seltsam mutet es dann an, dass dort hinter den kaputten Fenstern Plakate für eine „Kotti&Co“-Demo am 8. November hängen (vgl. Artikelbild und Termine bei http://kottiundco.net/). Gut, dass die Tür offenstand, denn im Parterre fand sich dann ein Zettel, der von Nutzerinnen oder Bewohnerinnen an die Gesamtheit der Bewohner*innen dieses Gebäudes gerichtet war und eine Erklärung lieferte. Diesen möchten wir euch nicht vorenthalten:

Liebe Nachbarn
wir haben als weitere Massnahme zum Schutz unseres Hauses die Gentrifizierungs-Gegner vom Kottbusser Tor (Mieter-Vereinigung Kottbusse Tor) in ihrem Tagungsraum besucht. Es entwickelte sich ein überraschend freundliches Gespräch mit XXX, einem der Aktivisten. Er riet uns Folgendes:

1. Wir sollen ihre Mieterdemo-Plakate (gegen hohe Mieten) in die Fenster hängen. Dann outen wir uns als Versteher und nicht als Feinde.
(Ich denke, dass auch wir hier im Haus unverschämte Mieterhöhungen ablehnen, wie sie zur Zeit von einigen Immobilienfirmen in Kreuzberg praktiziert werden. Solch rücksichtsloses Geschäftsgebaren hat auch dem Image unseres Hauses geschadet).
2. Ferner sollen wir an der Demo vom 8. November per Megaphon unser Haus vorstellen bzw. darstellen: Wir seien keine Investoren, hätten keine Mieter vertrieben, vermieteten keine Luxuswohnungen, hätten aber neuen
Wohnraum geschaffen…
3 . Uns mit einer kreativen Aktion (Fenster/Fassade) vorzustellen, fand XXX gut.
Ferner haben wir den Aktivisten vom Kotti zu einem unserer Nachbarschaftstreffen im Foyer Engeldamm eingeladen. Daraus könnte eine von uns organisierte Diskussions-Runde mit eingeladenen Politikern entstehen.

Uns fiel auf, dass die Gentrifizierungs-Gegner offenbar wirklich keine Ahnung haben, wer in unserem Haus wohnt und arbeitet. Wir sollten also vermehrt versuchen, feindselige Projektionen abzubauen.

Gerne würden wir, falls Ihr damit einverstanden seid, zwei oder drei pinkfarbene Mieter-Demo Plakate neben die Eingänge hinter die Fenster hängen. Bitte meldet Euch umgehend, wenn Ihr dagegen seid.

Beste, nachbarschaftliche Grüße
Eure YYY und ZZZ

Zum Hintergrund
Der soziale Konflikt um steigende Mieten und kapitalistische Immobilienpolitik gewinnt in Berlin an Schärfe – das leugnet mittlerweile kein Mensch mehr. Und immer wieder sind es einzelne Objekte/Bauvorhaben/Kieze, anlässlich derer die Diskussion besonders engagiert geführt wird. Im Spätsommer 2014 war diese Diskussion durch einen schrägen Propaganda-Streifen des staatlichen Fernsehens á la „Linke verdrängen Besserverdienende“ sowie durch eine aktivistische Antwort auf eben jene Medienrandale mal wieder lauter geworden. Staatsnahe Presse wie der Tagesspiegel stimmten ein in die Stimmungsmache gegen linke Gentrifizierungskritik.

Am Rande ging es dabei auch um das Bruno-Taut-Haus am Engeldamm in Berlin Mitte an der Grenze zu Kreuzberg. Als ehemaliges Gewerkschaftshaus hatte es zu Spekulationszwecken jahrelang leer gestanden. Mehrere Besetzungen des Nebenhauses (Michael-Kirch-Platz 4-5), bei denen neben einem sozialen Zentrum auch bezahlbarer Wohnraum gefordert worden war, wurden geräumt: Eigentumsschutz geht vor. Am Ende hatte der Klüngel aus Bau-, Immobilienwirtschaft und Politik, was sie haben wollten: Beide Häuser durch und durch modernisiert und alles in Eigentumswohnungen umgewandelt. Zum Selbst-Drin-Wohnen, zum Wieder-Vermieten – egal: wer die nötigen Hunderttausende Euro hatte, konnte sie hier anlegen. Und viele taten es.

Einen Schönheitsfehler hat das ganze: Schon während der Bauphase kam es immer wieder zu unübersehbaren Aktionen: Zerbrochene Scheiben, gesprayte Parolen und wohl platzierte Farbeier zeigten immer wieder auf, dass hier mal wieder Wohnen als Ware am kapitalistischen Markt gehandelt wurde, und dass das nicht alle widerspruchslos OK finden. Mittlerweile ist alles fertiggebaut und größtenteils bezogen – doch die Sachbeschädigungen gehen weiter. Was kein Wunder ist. Denn hunderte Geflüchtete werden aus der besetzten Schule in Kreuzberg geräumt, diverse Personen ohne Ersatzunterkunft in einer Nacht- und Nebel-Aktion von der Cuvrybrache vertrieben und damit obdachlos gemacht und Zwangsräumungen gehören zum traurigen Berliner Alltag. Das macht viele Menschen in dieser Stadt wütend. Schick aufgemöbelte Häuser sind nun einmal Symbol dafür, dass anderen Menschen mit weniger Geld oder ohne Papiere immer weniger Raum in dieser Stadt zugestanden wird. Auch das Bruno-Taut-Haus hätte von der Stadt oder generell durch öffentliche Gelder so umgebaut werden können, dass dort Menschen mit geringem Einkommen und ohne Investitionskapital leben können. Wie bei den vielen anderen Modernisierungen, Umbauten, Neubauten, usw. folgte aber auch bei diesem Haus alles der antisozialen Logik des Marktes, die immer eine überschaubare Gruppe von Profiteur*innen gegenüber einer sehr viel größeren Gruppe an Geprellten zurücklässt. Der Markt ist angeheizt, die Preise steigen, mittlerweile wird weltweit Menschen mit viel Geld empfohlen, in Berliner Immobilien, in Eigentum, zu investieren. Tun sie das, treiben sie die Preise für Häuser und Grundstücke weiter in die Höhe – und damit natürlich auch den Druck auf die Mieten in der Umgebung, denn wer ein teures Haus kauft, möchte das Geld auch wieder hereinbekommen.

Eine Antwort auf diesen Aushang
Als an der Debatte interessierte Nachbar*innen und engagierte Gegner*innen eines kapitalistischen Wohnungsmarktes, möchten wir mit ein paar Stichpunkten auf diesen Aushang reagieren.

Die beiden Autor*innen behaupten, „dass die Gentrifizierungsgegner (…) keine Ahnung haben, wer in unserem Haus lebt und arbeitet“.
Freilich, persönlich kennen wir jene Menschen nicht, wir führen aber auch keinen persönlichen Kampf gegen einzelne Personen, sondern einen politischen Kampf gegen den Wohnungsmarkt, gegen eine Stadt, in der immer mehr Platz für Reiche und Besserverdienende zur Verfügung gestellt wird, während alle anderen enger zusammenrücken oder wegziehen müssen. Doch wir wissen eines auf jeden Fall über die Menschen in jenen Neubauten: sie haben Geld, viel Geld und sie haben sich entschlossen, dieses Geld in die Ware Wohnung zu investieren. Mit dieser Investitionsentscheidung sagen sie Nein zum Modell einer Sozialen Stadt, in der Wohnrecht unabhängig vom Geldbeutel verhandelt wird. Wir dagegen sind der Meinung, dass Wohnen ein Menschenrecht ist und dass Monopoly mit echtem Wohnraum kein unschuldiges Spiel ist.
Wer sich beim Wohnraummonopoly einkauft, beteiligt sich an diesem Markt und trägt zu seiner Aufheizung mit bei. Es gäbe andere, soziale und solidarische Formen, mit dem eigenen Kapitalüberschuss umzugehen. Der entsprechende Kiez ist nicht unbekannt für auch militanten Widerspruch gegen Luxusbauten. In diesem Kiez und in diesem Haus eine Luxusmodernisierung und die Umwandlung in Eigentumswohnungen durchzuführen, bedeutete ein Symbol zu schaffen, das für steigende Mieten und Verdrängung steht. Wir brauchen keine persönlichen Feinde, aber wir werden Gebäude, die symbolisch für den Ausverkauf und die Kommerzialisierung dieser Stadt stehen, kritisieren und sehen Angriffe auf diese Bauten als legitimes Mittel an, um Druck auf Politik und gegen Investitionsentscheidungen zu erzeugen. Insbesondere, wenn wir betrachten, wie ignorant Politik und Wirtschaft mit den vielen Demos, Besetzungen, Unterschriftensammlungen, bunten Aktionen oder gewonnenen Bürger*innen-Entscheiden wie bei Mediaspree umgehen.
Die beiden Autor*innen behaupten, sie „hätten (…) neuen Wohnraum geschaffen“. Ja, das haben sie. Für sich und, wenn sie mal ausziehen, weitervermieten oder verkaufen möchten (inkl. erwarteten Profit) für andere Leute mit dem entsprechenden Geld. Sie haben Wohnraum geschaffen für Menschen, die ihn sich so oder so fast überall leisten können. Dieser Wohnraum für Besserverdienende, die dann gerne mal zu zweit 150 m² belegen, fehlt vielen anderen Menschen in dieser Stadt. Mit jedem Luxusneubau auf Privateigentumsbasis gehen potentiell sozial-ausgerichtete und dem Markt entzogene Um- oder Neubau-Grundstücke verloren. Kein Mensch und keine Initiative sollte dafür dankbar sein. Bestenfalls ist diese Haltung naiv.
Zuletzt zu Kotti&Co. Wir wissen nicht, wie die Wohnungseigentümer*innen bei euch aufgetaucht sind und wir können uns gut vorstellen, dass sie einen Eindruck hinterlassen haben, der Mitleid mit ihnen erregte. Ist ja auch blöd, wenn mensch vielleicht an der falschen Stelle investiert hat und das jetzt erst langsam realisiert. Wir wissen auch, dass wir in der Bewegung gegen Gentrifizierung sehr unterschiedliche Erfahrungen und Strategien haben – was ja auch gut ist, allerdings auch einige Diskussionen wie diese hier notwendig macht.

Wohnungseigentümer*innen, so sympathisch sie vielleicht daherkommen, Ratschläge zu erteilen, wie sie sich ein bessere Image zulegen können, ist unserer Ansicht nach nicht Aufgabe unserer Bewegung. Allein an der Aussage unter Punkt 1 „ich denke, dass auch wir hier im Haus unverschämte Mieterhöhungen ablehnen“ wird sichtbar, dass die Wohnungseigentümer*innen eben nicht wirklich unsere Ziele vertreten. Es geht nicht um „unverschämte“ Mietersteigerungen, Kotti&Co selbst baut auf der Forderung nach Mitsenkungen auf: „Runter mit der Miete“. Erst wenn sich Investitionen in Wohneigentum nicht mehr lohnen, wird soziales Wohnen für alle wirklich möglich. Jeder Profit mit dem Wohnen ist Mist und genau das haben die Wohnungseigentümer*innen nicht verstanden. Warum auch, wenn sie das Problem nicht am eigenen Leib erfahren müssen, sondern darauf hoffen und spekulieren können, von einem kapitalistischen, sich immer weiter aufheizenden Wohnungsmarkt sogar zu profitieren?
Es wäre absurd und grotesk, wenn sich diese Menschen tatsächlich auf der Demonstration am 08. November beteiligen würden, um ihre Eigentumswohnungen und sich selbst vorzustellen. Entsprechend gehen wir davon aus, dass das auch nicht stattfinden wird. Wir danken den Engagierten für die Organisation der Demo und freuen uns auf viele laute entschlossene Leute, die wissen, für und gegen was wir auf der Straße sind.

Ausblick
Natürlich könnte mensch auch empört auf Kotti&Co reagieren, weil eine Einzelperson hier Ratschläge an Wohnungseigentümer*innen erteilt hat, wie diese unseren politischen Kampf, unsere Positionen und Forderungen zur Sicherung ihrer Investition instrumentalisieren können. Als Befürworter*innen sachbeschädigender Aktionsformen mit klarer Stoßrichtung (hier: Privateigentum an Wohnraum im Luxussegment in einem Kiez mit großer Armut) halten wir es für sinnvoll, noch mehr Arbeit darauf zu verwenden, solche Aktionen besser zu vermitteln und damit leichter verstehbar zu machen. Insofern sind wir dankbar dafür, dass wir diesen Aushang ergattern konnten, da er uns zeigt, dass auch innerhalb der Gentrifizierungs-Kritiker*innen noch viel Diskussionsbedarf besteht. Spalten lassen wir uns aber nicht, sondern sind weiter solidarisch mit verschiedenen Initiativen und deren Vielseitigkeit.