Es sollte kein symbolischer Tag werden, der 7. Mai, und es wurde auch keiner. Es gibt Frauen und Männer, die nicht gewillt sind, all die Grenzen, Stacheldrahte, administrative Inhaftierung, Massen an Migranten, die an den Grenzen und in den Seen sterben, Konzentrationslager zu akzeptieren. Es war ein Tag des internationalen Kampfes mit Demonstrationen in verschiedenen Ländern und verschiedenen Aktionen in Italien, an der Grenze beim Brenner haben hunderte Gefährt_innen gekämpft.
Es ist schwierig, sich eine ungünstigere Situation als dieses kleine Grenzdorf mit nur einem Zugangsweg vorzustellen. Diejenigen, die gekommen sind, kamen mit ihrem Herz, mit dem Bewusstsein, dass der Kampf gegen das Europa der Lager, das die Staaten am aufbauen sind, seinen Preis hat. Die österreichisch-italienische Grenze ist nur ein kleiner Teil dieser Mauer und die uns nächstliegendste.
Während all der Veranstaltungen zum 07. Mai, und es gab eine Menge davon, waren wir stets klar: Wenn da Grenzen sein werden, werden wir versuchen, diese anzugreifen, andernfalls würden wir die Kommunikationswege blockieren, um zu zeigen, dass es für die verantwortlichen Herren nicht nur darum geht, Mauern zu bauen, sondern auch darum, diese zu verwalten, zu entscheiden, wer und was passieren kann und wer und was nicht.
Trotz der sorgfältigen Vorbereitung gab es bis zum Schluss einige schwer einschätzbare Faktoren. In den letzten Wochen kam es im Rahmen der öffentlichen Debatte um den Zaunbau (kontrolliert wird die Grenze ja de facto schon seit mehreren Jahren an wieder strenger, z.b. in bestimmten Zügen) immer wieder zu diplomatischen Zerwürfnissen zwischen den Grenz- und Schengenländern Österreich und Italien. Während Österreich die rassistische Abschottungspolitik der letzten Wochen mit der Ankündigung eines Grenzzauns am Brenner fortsetzt, wehrt sich Italien gegen diese Maßnahme. Es ist dabei völlig klar, und dies wird auch von keine*r dem*r Politiker*innen und Wirtschaftsanalyst*innen zu verstecken versucht, dass es dabei rein um den freien Fluss der Waren über diese dafür extrem wichtige Grenze geht. Aufgrund der Kosten, die ein Transport von Waren weiter westlich über die Schweizer Grenze bedeuten würde, wählen viele Firmen den günstigeren -wenn auch längeren- Weg über den Brenner. Der ungehinderte Grenzübergang von Waren und somit Kapital ist also der Hauptgrund des Widerstands des italienischen Staates. Das ihm die Lebenssituation der Migrant*innen genau so egal ist wie den anderen EU Ländern, zeigen die kalkulierte Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft und deren Entrechtung am Arbeitsmarkt sowie der betrieb zahlloser C.I.E. (Migrant*innenknäste) in denen es auch in den letzten Wochen vermehrt zu Aufständen kam. Der öffentlich geäußerte Unmut des italienischen Staates gegenüber des Zaunbaus hatte auch zur Folge, dass unklar war, wie sich die italienische Polizei an diesem Tag verhalten würde. Es ist bekannt, dass die Carabinieri in Norditalien nicht zimperlich mit Personen umgehen, die auf der Straße ihre Meinung äußern wollen.
Bereits am Vormittag sammelten sich mehrere Gruppen vor dem Bahnhof in Trento (darunter auch einige Personen, die aus anderen Ländern gekommen waren um sich dem Aufruf anzuschließen) um geschlossen auf den Brenner zu fahren. Ein Teil stieg dazu in den Zug, die etwa 25 anwesenden Carabinieri sahen dabei tatenlos zu, keine Person wurde kontrolliert. Auch die Ankündigung, dass in Bozen Taschen durchsucht werden würden bewahrheitete sich nicht und so gestaltete sich die etwa 90-minütige Zugfahrt zum Brenner (für die keine der Anwesenden ein Ticket löste) ruhig. Am Bahnhof angekommen hieß es erst einmal warten. Einerseits wurden die von italienischer Seite per Auto angereisten Genoss*innen kontrolliert (jedoch danach durchgelassen), andererseits sollte auf die Personen aus Österreich gewartet werden, die ebenfalls gesammelt mit dem Zug aus Innsbruck anreisen sollten. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 20 Carabinieri lose in der Nähe der Gleise aufgestellt.
Als der Zug aus Innsbruck mit etwa 150 weiteren Personen sowie jene, die mit dem Auto unterwegs waren angekommen waren, bewegte sich die Demo langsam auf die Bundesstraße (diese war bereits seit 9:00h gesperrt) vor dem Bahnhofsgebäude. Während Parolen skandiert wurden bewegte sich die Gruppe langsam Richtung österreichische Seite, was anfangs auch problemlos möglich war, die wenigen (inzwischen ca. 40) Carabinieri bewegten sich vor und seitlich mit der Demo.
Als versucht wurde, im gleichem ruhigen Schrittempo nach rechts von der Bundesstraße abzuweichen, offenbarte die Polizei jedoch ihr Rolle. In einem relativ schnellen Angriff begann ein Kordon Carabinieri in die rechte Flanke der Demo zu prügeln und versuchte sie dadurch zu spalten. Dies gelang allerdings nur bedingt, da mehrere Personen, vor allem im vorderen Bereich der Demo, auf solche Provokationen vorbereitet und mit diversem Körperschutz (Helm, Schoner) als auch Fahnen zur Selbstverteidigung ausgestattet waren. Gleichzeitig flogen auch die ersten Tränengasgeschosse, was für all jene die nicht auf irgendeine Art mit Atemschutz und Brillen ausgestattet waren, erstmal den Rückzug bedeutete.
Es folgte eine kurze Auseinandersetzung bei der einige Genoss*innen ziemlich Knüppel abbekamen. Jedoch war es möglich, in kurzer Zeit aus den vorhandenen Tretgittern Barrieren zu bauen um sich dahinter zu sammeln um den nächsten Schritt zu setzen. In weiterer Folge bewegte sich die Demo in die andere Richtung und dort durch den Bahnhof aufs Gleisbett und blockierte die Gleise. Dieser Ort war für die Polizei von vorne nur schwer durch ein enges Tor zu erreichen, wo sie mit einer Vielzahl von Einzelteilen des Gleisbetts in Empfang genommen wurden. Währenddessen wurden im hinteren Bereich Parolen auf Zuge gesprüht und es gab die Möglichkeit, sich neu zu orientieren.
Sobald die Demo aus dem Bahnhofsgelände, das die Bewegungsmöglichkeiten einerseits durch das Gebäude auf der einen als auch die Frachtzüge auf der anderen Seite relativ stark einschränkte, heraußen war, war es möglich, sich wieder breiter auf Bundesstraße und den Gleisen aufzustellen. Der nächste Schritt war nun eine entschlossene und schnell ausgeführte Bewegung Richtung Autobahn. Dies gelang problemlos und es war möglich die Brennerautobahn komplett zu blockieren sowie mit vorhandenen Gegenständen (Mistkübel, Signalschilder,..) kleinere Barrieren zu errichten.
Als die stetig wachsende Zahl der Carabinieri begann, die Gruppe von der Autobahn wegzuprügeln, verlagerte sich das Geschehen wieder auf die Bundesstraße. Zu diesem Zeitpunkt dauerte die Demo seit Betreten des Bahhofsvorplatzes etwa bereits etwa 2 ½ h an und war nach der letzten Aktion auf der Autobahn bereits etwa 1km von der Brennergrenze entfernt. Einige Personen waren zu diesem Zeitpunkt im Zuge der einzelnen Zusammestöße aus den Reihen gerissen und festgenommen worden.
Es schien in diesem Moment so, als würde sich die Lage langsam entspannen, die Anzahl der Carabinieri dezimierte sich und nur noch eine kleine Gruppe bewegte sich seitlich mit der auf der Bundesstraße Richtung Süden sich langsam zurückziehenden Demo von nunmehr etwa 200 Personen. Viele erachteten diesen Zeitpunkt auch als richtig, um ihr Äußeres zu verändern und diverse Utensilien wie Gasmasken oder ähnliches das bei einer Verhaftung problematisch werden könnte, loszuwerden. Dies nahm eine Gruppe von etwa 25 Carabinieri zum Anlaß, die Bundesstraße nach vorn hin plötzlich zu versperren, um daraufhin nach einer kurzen Wartezeit die nun großteils ungeschützte Demo mit Knüppeln anzugreifen.
Durch den Böschungsfluss und eine Brücke zog sich die Demo auf die steilen Wiesen seitlich des Brennerpasses zurück, die Brücke wurde verbarrikatiert und es war möglich, einen Moment Zeit zu bekommen um die Situation und die nächsten Schritte abzuwägen. Ab diesem Zeitpunkt zerlegte sich die Demo langsam in eine große Gruppe die mehr oder weniger geschlossen langsam zurück Richtung Brenner ging ohne von der Polizei angegriffen zu werden und mehrere kleinere Gruppen die sich entschlossen, den Weg in die Berge anzureten um einer weiteren Konfrontation mit der Polizei im Grenzort aus dem Weg zu gehen. Schlussendlich konnten jene Personen, die geschlossen zum Grenzort zurückgingen nach Kontrollen und nach dem sie z.T. abgefilmt wurden, jedoch ohne weitere Probleme oder Angriffe in den Bahnhof um dort mit den Zügen nach Norden oder Süden (Der Zug nach Italien wurde zunächst 2h aufgehalten) abzufahren.
Die Gefangenen mit österreichischer Staatsbürger*innenschaft konnten noch am gleichen Tag aus dem Knast geholt werden, während sechs Gefangene auf italienischer Seite auch Sonntags noch in Gefängnissen in Bozen (wo es Sonntags auch eine Solidemo gab) und Trient saßen. Organisiert worden waren im Vorfeld eine Rechtshilfe sowohl auf österreichischer als auch auf italienischer Seite.
Es war am 7.Mai möglich, massiv in den Ablauf der Grenzmaschine Brenner einzugreifen sowie der Polizei, die schlußendlich jene sind, die die rassistischen Gesetze in der Praxis durchsetzen, zu zeigen, dass sie mit Widerstand zu rechnen haben. Sei es in den CIE Italiens, den Lagern Griechenlands den Straßen Barcelonas oder den Grenzen der Festung Europa und seiner Staaten.
Die am Samstag gemachten Erfahrungen sind eine weitere Möglichkeit, sich in den eigenen Bezugsgruppen über Strategien und Handlungsoptionen (auch nördlich der Grenze) auszutauschen. Die sich sonst auch häufig in unserer eigenen Organisierung fortschreibenden Nationalgrenzen wurden an diesem Tag in jedem Fall überschritten, um gemeinsam mit den Genoss*innen aus Italien für eine Welt ohne Grenzen und Unterdrückung zu kämpfen.