Seinen lesenswerten Text über Tumbleweed in Spreetown überschreibt Peter Schaber im lowerclass magazine mit der Frage: Wo seid ihr denn alle hin? Und unsere Antwort darauf ist, wir sind dort wo wir immer waren, vor Rechnern sitzend oder auf der Strasse unterwegs, manchmal tags manchmal nachts.
Die von ihm festgestellte Mobilisierungsschwäche der Hauptstadtlinken ist das Ergebnis einer speziellen Strukturierung der Antifa Szene in Berlin, die in den letzten Jahren durch hierarchische Ausrichtung und träges Mitläufertum gekennzeichnet ist.
Peter Schaber beschreibt seinen Einstieg in Berlin vor sieben Jahren voller Tatendrang mit einer Erfolgs orientierten Erwartungshaltung und schnellem Absinken der Motivation. Damit ist treffend der Prototyp des Antifa skizziert, dessen Aktivismus von erfolgreichen Projekten öffentlicher Gruppen abhängt, deren Kurs meistens nur von einer kleinen Anzahl AntreiberInnen bestimmt wird.
Wer sich heute darüber wundert, dass Aufrufe gegen Bärgida, AfD und andere Nazis kaum Resonanz finden, sollte zunächst die Art und Weise der Aufrufe vergleichen mit jenen, die vor einigen Jahren den „Ruf“ der Berliner Antifa hervor brachten. Um die Jahrtausend Wende noch wurden bei bevorstehenden Nazi Aufmärschen andere Plakate und Aufrufe verbreitet als Heute. Die Sprache war eindeutig – Antifa heisst Angriff – die Parole. Den Nazis und den sie schützenden Bullen wurde Gewalt angekündigt, von Gruppen, die öffentlich ansprechbar waren und deren Zusammensetzung die Behörden sich zurecht konstruierten.
Die Plakate sind fast verschwunden, die Aufrufe legen Wert auf Gewaltfreiheit im Namen irgendwelcher Aktionskonsense und unterscheiden sich nicht von denen der Parteien und Gewerkschaften.
Jetzt ist die Parole – Antifa heisst: nur nicht unangenehm auffallen – die Maxime linker Politik. Die SprecherInnen einer militanten Antifabewegung sind verschwunden, teilweise nachgefolgt von Leuten, die noch schneller an die Katzentische etablierter Politik streben, während die Masse – wie früher auch – auf Pläne, Ideen, Anweisungen wartet.
Ein Erschöpfungsphänomen, wie Peter Schaber es ausmacht, kann bei dem aktuellen Stillstand kaum angenommen werden, dennoch ist sein Vorschlag richtig, weniger Demonstrationen abzuhalten. Die Demonstrationskultur in Berlin im Jahr 2015 war absolut unterirdisch, auch mobilisierungstechnische Selbstläufer wie die Silvio Meier Demo wurden von den VeranstalterInnen in ein desaströses Rumopfern verwandelt.
Auch in Berlin sind immer noch viele Menschen am Kampf gegen den Faschismus beteiligt, ständig werden Infos gesammelt und ausgewertet, wer einschlägige Seiten verfolgt, weiss das Nazis immer noch an Gesundheit und Eigentum geschädigt werden, wie auch schon vor zehn oder zwanzig Jahren. Aber es kommen keine Massen mehr um die Nazis von der Strasse zu fegen oder es zumindest zu versuchen, im Gegensatz zu anderen Städten wie Hannover, Köln, Weinheim oder Leipzig, wo in letzter Zeit starke antifaschistische Proteste stattfanden. Den Unterschied machte die Mobi aus, wo zum Beispiel in Leipzig die Militanten eingeladen werden, wurden sie in Berlin in letzter Zeit immer explizit zu unerwünschten Personen erklärt.
Als konkretes Beispiel sei eine Veranstaltung am 20. November 2015 (also kurz vor der Silvio Meier Demo) im Karl-Liebknecht-Haus genannt, Titel: „Braucht Antifaschismus DIE LINKE?“, beworben u.a. von NEA mit den Worten:
„Damals wie heute muss dem rassistischen Mob auf der Straße der Raum genommen werden und der geistigen Brandstiftung politisch und auf allen Ebenen etwas entgegen gesetzt werden.
Doch was heißt das konkret? Welche Rolle spielen hier die einzelnen Akteure in und um Berlin und im speziellen DIE LINKE? Wie können wir Antifaschist_innen unsere Zusammenarbeit verbessern, um auf die aktuelle Situation entsprechend reagieren zu können?
Für das Podium sind eingeladen:
Klaus Lederer, DIE LINKE. Berlin
Dirk Stegemann, Berliner VVN-BDA e.V.
Aktive aus der Interventionistischen Linken Berlin
Aktive aus autonomen Antifa-Strukturen
Aktive von linksjugend [‘solid‘]“
Wir verzichten darauf, weitere Seiten mit Entsolidarisierungserklärungen gegen militante Antifas und Lobreden auf die Bullen durch VertreterInnen der Linkspartei zu zitieren. Offensichtlich sind doch genau solche Strömungen mitverantwortlich für die Mobilisierungsschwäche der Berliner Antifa.
Der Text im Lowerclass Magazine, sicherlich eine der besseren Analysen zur lokalen Berliner Antifaschwäche, wirft aber nebenbei alle treffenden Erkenntnisse in einer Zwischenüberschrift wieder um, Vom Nullpunkt zum Aufbau von Gegenmacht ist genau jenes Motiv, was viele Militante in der letzten Dekade zurück in die Arme der bürgerlichen Demokratie trieb, das Streben nach Macht in einer StellvertreterInnen Politik. Wer zum Teufel will denn Macht, auch deklariert als Gegenmacht, ausüben? Nur das Gegenteil von (Gegen)Macht ermöglicht Menschen sich gegen Nazis oder andere staatliche Gewalt zu organisieren. Die Schwäche des Widerstands resultiert auch aus dieser Form der Hierarchie: Menschen warten auf die Vorgaben einiger Kader um sich an fertigen Plänen zu beteiligen.
Zur Frage von Peter Schaber wo wir denn alle hin sind; – einige beteiligen sich gelegentlich an Plänen anderer oder machen selbst welche, manchmal warten wir lange bei Tumbleweed um ein Schnäppchen zu schlagen, oft fahren wir ohne Erfolg nach Hause. Wir sehen viele Leute kommen und gehen, sind bestimmt nicht total verschlossen für die, die angreifen wollen. Wir stehen neben euch bei sinnlosen Demos und schämen uns das ihr „Wir sind friedlich, was seid ihr?“ ruft. Wir lesen eure Texte, in denen ihr euch empört, dass die Bullen die Faschisten schützen.
Sollte die Frage ernst gemeint sein, wo denn alle hin sind, müsste sich der Fragesteller zumindest mit den Realitäten von Protesten auf der Strasse gegen Nazis auseinander setzen. Die sehen in meist ostdeutschen Kleinstädten so aus: hohes Risiko von Nazis angegriffen zu werden, unter wohlwollender Mitarbeit der Bullen. In Städten wie Berlin oder Hamburg oder Dresden: hohes Risiko verhaftet zu werden weil die Bullen technisch und mit Zivis auf hohem Niveau arbeiten.
Dem gegenüber steht als Momentaufnahme der linken Szene gegenwärtig leider eine weitgehende Praxisunfähigkeit, die den unsympathischen Hang, von Gegenmacht zu fantasieren auch noch konterkariert, indem sie Militanz, nach jedem mittleren Krawall, als „sinnentleertes Mackertum“ diffamiert.
Wer dann noch auf der Strasse steht und den aktuellen Mobilisierungen folgt, ist damit entweder zufrieden oder verzweifelt. Die Abstimmung mit den Füßen hat sich eindeutig gegen die derzeitigen Konzepte in Berlin ausgesprochen.