Dokumentation von linksunten :
Sendezeit ist ein knappes Gut. Besonders für ein Redaktionsteam, das nur alle 3 Wochen für 30 Minuten die Berliner und Brandenburger Haushalte beglücken darf, wie es beim „Kontraste“-Magazin des RBB der Fall ist (Bericht und Abschrift hier). Umso überraschter waren wir bei unserem täglichen Fernsehabend, dass ebenjene Redaktion ein gutes Drittel ihrer Kapazitäten für einen Bericht über bestimmte Erscheinungsformen aktueller Stadtkämpfe aufwendete.
Unser Erstaunen legte sich jedoch schon nach wenigen Minuten, denn selten gab es einen derart gewissenhaft recherchierten und ausgewogen kritischen Beitrag auf deutschen Fernsehgeräten zu bewundern.
Wir können nur erahnen mit welch unnachgiebigem Wissensdurst sich Jo Goll und Olaf Sundermeyer durch die ungezählten Bücher, Texte und Debatten über städtische Verdrängungsprozesse gekämpft haben, um sie am Ende auf die alles entscheidende Formel „Linksextreme bedrohen Zugezogene“ reduzieren zu können. Wir sind beeindruckt von ihrem dokumentarischen Gespür, das auch noch die scheuesten Anwohner_innen vor die Kamera bekommt und ziehen unseren Hut vor einem journalistischen Selbstverständnis, das sich nicht zufrieden gibt, bis es nicht auch noch dem letzten Innenpolitiker die wirklich wichtigen und unangenehmen Fragen unserer Zeit gestellt hat.
So interessiert wir die Sendung also auch verfolgt haben, sind uns dennoch ein paar Unklarheiten geblieben:
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Gibt es – abgesehen von Politiker_innen, Journalist_innen und einigen Bewohner_innen preislich gehobener Wohnkomplexe – tatsächlich Menschen in der Innenstadt Berlins, die bei „Verdrängung“ nicht zuerst an Mietsteigerungen, Entmietungen und die Zwangsräumung ihrer Nachbar_innen, sondern an Glasbruch bei Prestigeobjekten der Stadtaufwertung denken?Warum werden eigentlich immer wieder der Staatsschutz-Prof. Uwe Backes und seine Theorien als Argument for die Einordnung und Unterdrückung emanzipatorischen Widerstandes benutzt, als ob das eine staatlich unabhängige Meinung wäre?
Hat „Kontraste“ Angst die Zuschauer_innen zu überfordern oder zu verwirren wenn es mehr als 3 Wörter aus einem 1-seitigen Bekenner_innenschreiben zitiert?
Glaubt Erol Özkaraca wirklich, dass sein sogenannter „Migrationshintergrund“ die Politik seiner SPD weniger rassistisch macht?
Und womit haben es sich Grüne und LINKE eigentlich verdient in den Verdacht zu geraten, „politische Verbündete“ von uns „Linksextremisten“ zu sein?
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Fragen über Fragen, auf deren Beantwortung wir wohl lange warten könnten, wenn wir selbst nicht eine Antwort für uns gefunden hätten:Es ist offensichtlich, dass einiges an Anstrengungen unternommen wird um Aktionsformen, die sich außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen, von der weitverbreiteten Wut auf städtische Verdrängungsprozesse abzusondern und nur noch hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Relevanz zu betrachten, also zu entpolitisieren. Medien, Politik und Repressionsorgane sind sich einig in diesem Bestreben, das überrascht uns nicht, das ist nicht neu.
Doch wir wissen schon lange und daran ändert auch dieser Bericht nichts, dass es nicht zerbrochenes Glas oder abgefackelte Baustellen sind, die uns jeden Tag aufs neue empören. Was uns wütend macht, ist eine Stadt, die sich all dessen zu entledigen versucht, was ihrer Verwertbarkeit entgegensteht. Eine Stadt in der täglich Menschen aus ihren Wohnungen geschmissen werden, wegziehen müssen oder am Ende des Tages ohne Dach über dem Kopf dastehen. Angesichts dessen über die tägliche Gewalt, die die Verwertung von Wohnraum für immer mehr Menschen dieser Stadt bedeutet, zu schweigen und stattdessen „Linksautonome“ für die Verdrängung aus Kiezen verantwortlich zu machen, bleibt ein schlechter Scherz.
Und sie können auch noch so oft versuchen, diejeniegen, die sich entschließen ihrer Wut etwas handfester Ausdruck zu verleihen, als verrückt darzustellen weil sie Baustellen sabotieren, Firmenwägen abfackeln, Bullenkarren angreifen oder die Scheiben von Parteibüros und Verdrängungssymbolen einschmeißen. Denn wir teilen ihre Wut. Wir sehen, dass in dieser Stadt offenbar genug Platz ist für immer mehr teure Wohnkomplexe und Konsumpaläste, aber nicht für die, die den Wohnraum am dringendsten brauchen. Wir sehen die Zwangsräumungen unserer Nachbar_innen, ob aus ihren Mietwohnungen, der Ohlauer-Schule oder jetzt der Cuvry-Brache.
Verrückt wäre in dieser Situation nur eins: Immer noch zu hoffen, dass uns die Parteien irgendetwas bieten könnten was unsere Lage verbessert und nicht zu sehen, dass sie es sind, die schon immer versuchen, antagonistische Bestrebungen dem Kapitalismus und seiner parlamentarischen Demokratie zu unterwerfen.Dennoch möchten wir dem „Kontraste“-Team für diesen Beitrag danken, denn er hat Lust gemacht auf mehr und so haben wir uns gedacht: Was andere können, das können wir auch!
Also schnell ein paar Leuten Bescheid gesagt, die Skimaske aus dem Keller geholt und schon gings los zum Engeldamm im Norden Kreuzbergs. Dass die Eigentümer des Eckhauses am Michaelkirchplatz erst vor kurzem und nach langer Wartezeit die Scheiben im Erdgeschoss erneuert haben, ist nicht unbemerkt geblieben und so entschlossen wir uns, dort den Anfang zu machen und anschließend zur Ecke Adalbertstraße weiterzuziehen. Wir waren knapp 40 Leute, bauten hinter uns eine Barrikade, steckten sie in Brand, zündeten Bengalos, warfen Farbflaschen und zerstörten so gut wie alle Scheiben des Erdgeschosses beider Häuser. Praktischerweise stand am Straßenrand ein mit Pflastersteinen befüllter Einkaufswagen bereit, den wir sogleich auf unseren Spaziergang mitnahmen und dessen Inhalt die im Bericht angekündigte Auszugsentscheidung vielleicht erleichtern wird.Solidarische Grüße an die Wagengruppe Sand im Getriebe! Unsere Wut über die Zerstörung von alternativem Lebensraum wird sich nicht durch Repression ersticken lassen!
Krieg den Palästen! Für eine widerständige Stadt von unten!
Kreuzberger Umzugshelfer_innen
30/09/2014