Noch mehr geklaute Frankreich Berichte, damit sie nicht so schnell im Müll der Online Archive verschwinden:
Es sind schwierige Tage, diese Tage in Frankreich. Der Bewegung ist es nicht gelungen, sich über sich hinaus zu vermassen, sie bleibt in ihrem Konkon gefangen, sich ihrer Begrenzung bewusst, aber nicht in der Lage, diesen Zustand zu überwinden. Und nein, wir erleben keinen neuen Mai 68, diese Analogie greift ins Leere, schadet nur, weil dieser übermächtige Schatten, diese Projektion, nur Lähmung generiert.
Wir erleben auch keinen heissen Sommer wie 2006, als alle wichtigen Universitäten des Landes besetzt waren und die Bewegung an den Schulen nicht wie zur Zeit auf lokal aufflackernde Epizentren begrenzt war. Trotzdem ist es nicht zu gering zu schätzen, was sich seit Anfang März zugetragen hat. Die letzten Jahre lieferten schliesslich ganz andere Schlagzeilen und gesellschaftliche Entwicklungen. Der Terror der Islamisten mitten in Paris, die homophobe Bewegung 2015, die bis zu einer halben Million Menschen mobilisieren konnte, ein Front National, der in den Umfragen und Lokalwahlen immer weiter zulegen konnte und deren Vorsitzende sich anschickte, 2017 zur französischen Präsidenten gewählt zu werden. Nein, es ist wirklich nicht gering zu schätzen, was diese neue soziale Bewegung für die gesellschaftliche Entwicklung bedeutet, die sich nur noch in Richtung Alptraum zu entwickeln schien. Einen Alptraum, der ja nicht auf Frankreich begrenzt ist, sondern sich in den letzten Jahren wie ein Krebsgeschwür durch Europa frass.
Und unter anderem deshalb gilt es diese Bewegung vor falschen Ansprüchen und Vereinnahmungen in Schutz zu nehmen. Wenn dieser Tage von blockupy bis Varoufakis die üblichen Verdächtigen auf dem Platz der Republik vorbeischauen, um sich als Erbfolger ins Gespräch zu bringen, ist das ebenso nicht zu vermeiden wie das sich der ganze gesellschaftliche Schrott auch am Abend auf dem Platz entlädt. Dies war ja 2006 noch viel schlimmer, als organisierte Gruppen aus den Vorstädten mitten in den Demos und Krawallen nicht anderes zu tun hatten, als Gleichaltrigen zu überfallen, zusammen zu schlagen und auszurauben. Wer nicht in der Widersprüchlichkeit von gesellschaftlichen Prozessen denkt, dem ist ja nun eh nicht mehr zu helfen. Umso wichtiger sind jene vielen kleinen antagonistischen Momente zu bewerten, in denen mensch sich findet und die auch der eigentliche Grundstock für das sind, was dann an die öffentlich wahrgenommenden Aktionstagen passiert. Es wird nämlich einen langen Atem und eine neue Generation brauchen, um eine grundsätzliche emanzipatorische Perspektive überhaupt wieder denkbar machen zu können.
Dehalb an dieser Stelle einige, völlig willkürlich ausgewählten Nachrichten aus der letzten Woche:
18.04. In Lille wird als Reaktion auf die Repression gegen Demonstranten ein Gerichtsgebäude besucht, die Fassade wird großflächig mit Farbe verziert
18.04 In Brest ziehen am späten Abend etliche Leute (die Medien schreiben von 50) durch die Innenstadt, rufen Parolen, sprühen grossflächig und zerstören zahlreiche Schaufenster von Banken sowie Geldautomaten. Die lokalen Medien berichten, bei dieser für Brest einzigartigen Aktion sei hoher Sachschaden entstanden.
18.04. Das für seine prekären Ausbeutungsverhältnisse bekannte Unternehmen Mc Donalds bekommt in Grenoble seine Fensterfront komplett mit roter Frabe zugesaut
20.04. In Lyon ziehen nach der Nuit Debout 300 Leute durch die Strassen, es wird viel gesprüht, einiges geht zu Bruch, unter anderem bei einem Gebäude der Grenzpolizei.
21.04. In Tolouse kommt es nach Mitternacht am Ende der Nuit Debout zu einer (der ersten in der Stadt) manif sauvage („wilden Demo“), bei der gesprüht und Geldautomaten zerstört werden.
21.04. In Lille stürmen die Bullen das Büro der CNT, als Antwort darauf wird ein Polizeirevier mit Farbe und Parolen bedacht
22.04. In Besançon wird die Handelskammer besucht, Scheiben gehen zu Bruch und es werden Parolen an den Wänden hinterlassen
22.04. Zum wiederholten Male formiert sich mitten in der Nacht in Marseille eine manif sauvage und um die 100 Leute ziehen um den Block, Scheiben gehen zu Bruch, Mülltonnen u.a. landen auf der Strasse
22.04. Nach einer knappen Woche Ruhe formiert am späten Abend am Platz der Republik in Paris nach der Nuit Debout eine manif sauvage, zwei zivile Polizeiwagen werden beschädigt, einer der beiden brennt völlig aus. Es entwickeln sich Auseinandersetzungen am Platz mit den Bullen, die trotz geringer Beteiligung über zwei Stunden anhalten
23.04. Erneut ziehen Leute in Paris mit einer manif sauvage durch die Strassen, einem Parteibüro der „Sozialisten“ wird trotz Gittern die Scheiben eingeschlagen, ein vorbeikommendes Polizeiauto wird angegriffen. Später werden am Platz der Republik stationierte Bereitschaftsbullen, sowie die verhassten Zivilbullen der BAC mit Flaschen beworfen, die Bullen gehen daraufhin mit massiver Gewalt vor, zum wiederholten Male auch gegen Fotografen.