Wenn am 21.Dezember in Hamburg die vermutlich größte linksradikale Demonstration des Jahres ansteht, ist wegen der Witterung davon auszugehen, dass die Bullen irgendwann eine Vermummung von TeilnehmerInnen herbeiphantasieren oder einen anderen Grund suchen um die Demo zu stoppen und in ein enges Spalier einzuklemmen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt könnten die DemonstrantInnen einem Anachronismus erliegen, der schon lange seine Berechtigung verloren hat – Kettenbildung als vermeintlicher Schutz vor Angriffen der Bullen.
Als vor längerer Zeit diese Defensivtaktik entwickelt wurde, standen in der Demonstrantion vermummte Menschen teilweise mit Helm und Knüppel den Bullen gegenüber, die wesentlich schlechter als heute ausgerüstet waren und weder BFE noch moderne Videotechnik kannten. Die Zahlenverhältnisse waren früher auch günstiger, heute begleiten die Bullen unsere Demos mit wesentlich größeren Aufgeboten.
Inzwischen haben sich sowohl Taktiken der Bullen als auch der Verlauf von Demos stark verändert. Die Bullen versuchen Festnahmen so durchzuführen, dass sich ZuschauerInnen nicht solidarisieren weil scheinbar wahllos auf Leute eingeschlagen wird.
Wenn also eine Situation entsteht, in der die Demo Ketten bildet, haben die BFE meistens schon die Personen lokalisiert, die sie verhaften wollen und warten dann einfach auf die beste Gelegenheit, was auch auf dem Heimweg passieren kann. Läuft die Demo von Anfang an in Ketten, ist sie noch schwerfälliger und vermeintliche „StörerInnen“ noch einfacher zu verfolgen. Selbstverständlich sollen die ersten Reihen aus Leuten bestehen, die über die Richtung und Geschwindigkeit entscheiden und sich nicht von einer schwachen Bullenkette aufhalten lassen.
Auch Seitentranspis oder Seile machen Sinn, wenn sie nicht der Demo eine preußische Marschordnung aufzwingen. Ketten sind, wenn sie nicht von sehr gut eingespielten Bezugsgruppen gebildet werden, unflexibel wenn von kleinen Straßen auf breite Straßen gewechselt wird und Ketten erlauben den Bullen eine gute Übersicht über den Block. Eine Demonstration, die langsam ist oder sogar stehen bleibt, ist in Kettenformation ein offenes Buch für die Bullen. Schließlich bieten Ketten auch das Bild von einem abgeschlossenen Schwarzen Block, an dem für andere keine Teilnahme möglich ist; dass dieser Block trotzdem von zivilen Bullen infiltriert werden kann, haben entsprechende Gerichtsverfahren gezeigt.
Also was tun?
Eine Demonstration, die hinter den ersten Reihen aus einer dichtgedrängten Menschenmasse besteht, die die ganze Straße einnimmt und nicht den Gehweg dem Bullenspalier überlässt, ist viel flexibler.
Einzelpersonen und Kleingruppen können sich in dieser Menge bewegen ohne lokalisierbar wie in einer Kettendemo zu sein. Wenn dann Kleiderwechsel noch mit Regenschirmen und Bengalos gedeckt werden, hilft die beste Videoüberwachung nichts. Für die Demo in Hamburg wird auch nicht das einzige Szenario erwartet, dass vielleicht Ketten begründen würde, nämlich ein gegenseitiges Knüppeln mit Bullen die lieber Schilder tragen als Verhaftungen zu tätigen.
Stattdessen hat eigentlich die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, das schnelle Demos ohne Lücken am sichersten sind. Die Kommunikation untereinander und der Umgang mit vermeintlichen Zivis ist in einer dichten Demonstration mit sich hin und her bewegenden Bezugsgruppen viel einfacher als in einer starren Kettenformation.