Anarchistische Strömungen während der Metapolitefsi – Griechenland 1974 – 1980
Wie wir im ersten Teil von Gegen das Vergessen festgestellt haben, war der anarchistische Einfluss auf den Widerstand gegen die Diktatur bis 1974 zwar nicht unbedeutend aber gering. Mit dem Austausch der Junta gegen eine Demokratie unter der Führung des Rechten Ministerpräsidenten Karamanlis zogen sich viele Menschen und Gruppen erschöpft aus dem Widerstand zurück, sie hatten ihr Ziel der Rückkehr zum Parlamentarismus erreicht.
Alekos Panagoulis verurteilte gewaltsame Ambitionen von Leuten, die er als „Pseudo-Revolutionäre“ bezeichnete, und wurde Abgeordneter für die Zentrums Union. Die Gründungserklärung der PASOK unter Andreas Papandreou war derart radikal sozialistisch, dass viele Bombenleger der Vergangenheit sich damit identifizieren konnten. Konstantin Karamanlis hatte politische Gefangene freigelassen, als populistische aber wirkungslose Maßnahme, den Austritt Griechenlands aus den militärischen Strukturen der NATO angekündigt und die KKE legalisiert, gleichzeitig spielte er mit Putschgerüchten des Militärs, dem nur eine rechte Regierung Kontra geben hätte können.
Bei den ersten Wahlen 1974 gewann die ND (Nea Demokratia) von Karamanlis. Papandreou säuberte die PASOK von Mitgliedern aus dem Anti Junta Widerstand.
Viele Gruppen setzten von nun an auf den demokratischen Wandel, linksradikale, trotzkistische und kommunistische Zusammenhänge, Gewerkschaften und Kleingruppen leisteten weiter Widerstand auf der Straße. Ihre Mobilisierungsfähigkeit in sozialen Angelegenheiten war hoch. Die KKE war mit militanten Floskeln unterwegs, bezeichnete aber jede Störung der öffentlichen Ordnung, sogar die Besetzer*innen des Polytechnio 73, als Provokation des Geheimdienstes KYP. Im Stadtteil Exarchia und an den Universitäten entstanden unzählige Splittergruppen, die unter Studierenden für ihre Ziele warben. Diese Gruppen waren zwar relativ klein, bildeten aber das Reservoir der Unzufriedenen, die auf Demonstrationen los schlugen und von denen einige auch später in die bewaffneten Gruppen zogen.
Anarchistische Präsenz in Massenkämpfen
Die erste Wahl nach dem Ende der Junta sollte am 17. November 1974 stattfinden, dem Jahrestag des Polytechnio Aufstands. Viele Linke, Anarchist*innen und sogar die KKE lehnten die Übernahme des Datums durch rechte Parteien ab und demonstrierten dagegen. Auf der Demonstration am 15. November wurden Flugblätter verteilt, in denen die Konter-Revolution verurteilt wurde, die Leute wurden als „bezahlte Sklaven“ angesprochen, die von den Lakaien des Staates zu produktiven Robotern und passiven Zuschauern gemacht werden sollen.
Unterschrieben war der Text mit „Anarchistische Gruppe der Extremisten“, worauf die Organisatoren der Demo versuchten diese Gruppe zu isolieren.
Von den kommunistischen, trotzkistischen und maoistischen Gruppen, die Mitte der 70er Jahre ihre Hochphase hatten, fanden viele Enttäuschte den Weg zu anarchistischen Zusammenhängen. Die Anarchist*innen standen im Konflikt zur zentralen Rolle der Arbeiterklasse, den hierarchischen Organisationsformen der Linken, der Idee einer Avantgarde und der Vorstellung einer Machtübernahme.
Bei den schweren Straßenschlachten am 25. Mai 1976, nach einer Demonstration für die Rechte der Arbeiter*innen, kämpften sie gemeinsam mit Gewerkschafter*innen. Dutzende Menschen wurden verletzt und die 67 jährige Straßenverkäuferin Anastasia Tsivika dabei von einem gepanzerten Fahrzeug der Polizei getötet.
Panzereinsatz am 25. Mai 1976
Der erste anarchistische Block trat am 17. November 1976 bei einer Demonstration zur US Botschaft auf. Zwei Jahre später wurde diese Route verboten und die Nationale Studenten Union sagte wegen starker Polizeipräsenz die Demo ab. Als viele Leute dennoch vom Polytechnio los marschierten kam es zu Auseinandersetzungen.
Ein wichtiger Moment des sozialen Kampfes Ende der 70er war der Kampf in den Universitäten, ausgelöst vom Versuch der Regierung, eine Bildungsreform durchzusetzen. Hier wurden die Grenzen der Unis überwunden, weiterreichende radikale Bestimmungen entwickelten sich und führten zur Beteiligung von deutlich mehr Menschen. Anarchist*innen konnten ihren Einfluss auf die im Kampf stehenden gesellschaftlichen Bereiche ausweiten.
Alleine führten sie einen weiteren Kampf: Solidarität mit den Gefangenen. Die Frage nach den Gefängnissen galt für die Gesellschaft als Tabu – jetzt wurde deren Abschaffung gefordert.
Die erste Generation der griechischen Anarchist*innen war enttäuscht, als 1981 PASOK in die Regierungsübernahme gewählt wurde und zusammen mit der KKE versuchte die sozialen Konflikte der 70er Jahre zu beenden. Isoliert von allem zogen sich viele Leute nach und nach zurück, der Rückschlag für die anarchistische Bewegung stand auch im Zusammenhang mit dem Auftauchen von Heroin in Exarchia und umliegenden Vierteln.
Selbstjustiz gegen die Folterer der Junta – Die Enstehung von 17N und ELA
Neben den individuellen Freiheiten waren Arbeitnehmer*innen-Rechte ein zentrales Thema. Ebenso beschäftigte die Aufarbeitung der von den Obristen begangenen Verbrechen die Menschen. Einige Gruppen hatten Rache für die Morde, Entführungen und Folter der vergangenen sieben Jahre geschworen.
Beispiel Alexandros Giotopoulos:
Die Spur von Alexandros Giotopoulos, Gründer von LEA (Laikos Epanastatikos Agonas – Volksrevolutionärer Kampf, Stadtguerilla von 1971 bis 1974, die als Vorläuferin der Organisation 17. November angesehen wird, orientierte sich an den Tupamaros in Uruguay), verlor sich im Schatten, wie es ein amerikanischer Botschafter formulierte. Aus einem Brief, der 1969 aus der Zentrale der Sicherheitspolizei in der Bouboulinas Straße 21 geschmuggelt wurde und an Jean-Paul Sartre gerichtet ist:
„Meine Zelle ist so eng, dass ich nur mit angezogenen Beinen liegen kann. Sie hat kein Licht, keine Belüftung, der Boden ist feucht und wimmelt von Wanzen. Das Guckloch in der Tür ist meine Angst und meine Hoffnung. Oft blicke ich durch das winzige Gitter und versuche etwas zu erkennen. Im Gang unterdrücktes Murmeln: ein Körper wird, in eine Decke gewickelt, vorbeigetragen. Der Mann stöhnt. Schritte nähern sich. Ich fürchte mich. Ein Schlüssel knirscht in meinem Schloß, meine Tür geht auf, man bringt mich hinaus. Und bald, wenn ich erst dieser in die Decke gewickelte blutende Körper bin, werde ich vor Schmerzen nur noch stöhnen können.
Man führt mich eine Etage höher. Das Verhör beginnt. Mallios ist ein Theoretiker, Lambrou dagegen wendet die Methoden dieses ausgeklügelten, perfektionierten Systems an. Ich schreie auf. Sartre! Hörst Du mich? Ich weiß das es Vietnam gibt, ich bin unbedeutend gegenüber den Feuern dieser Hölle, aber ich schwöre Dir, Sartre, unsere Tage in diesem Polizeigebäude sind der Keim eines zweiten Vietnam! Du kannst dieses Gebäude sehen, wenn du einmal in Athen spazierengehst. Tausende von Leuten laufen täglich an ihm vorbei, ohne den Blick zu heben. Die einen aus Angst, die anderen aus Unwissenheit. Zwei Schritte weiter befindet sich der Park des Nationalen Archäologischen Museums. Unsere Schreie werden von dem Lärm der Stadt übertönt, in der die ausländischen Touristen in der Sonne spazierengehen….Oft steht vor dem Gebäude ein Motorrad mit laufendem Motor, fährt aber niemals ab. Sein Lärm übertönt die Schreie. Wenn die Henker in der Eckkneipe ein Bier trinken gehen, wird der Motor abgestellt.
Du wirst auf diese Bank gebunden. Ein Reigen von Wilden umringt dich. Sie gehören der selben Henkerrasse an, die in Vietnam meine Schwestern Pham Thi Binh, Nguyen Thi Tho gefoltert haben. Ich kann nicht, ich will Dir nicht sagen, Bruder, wie, womit, wie sehr sie mich gefoltert haben.
Ich schließe die Augen, um meine Henker nicht zu sehen. Lambrou steht etwas abseits, ein Arzt ist neben ihm. Er heißt Kioupis. Sein Name gehört auf die Liste derer, die eines Tages gerichtet werden müssen. Er fühlt meinen Puls. Er befiehlt: weitermachen…anhalten…Ich soll am Leben bleiben, ich soll sprechen, die Namen meiner Genossen nennen. Ich schwöre Dir, ich habe nichts gesagt. Mein Schweigen gibt mir das Recht, Dir zu schreiben.“
Vasilis Lambrou war Oberinspektor der Sicherheitspolizei (Asphalia) und einer der bekanntesten Folterer des Systems. Bekannt wurde ein Zitat von ihm gegenüber Gefangenen:
„Wenn Sie glauben, dass sie irgendetwas tun können, machen sie sich allenfalls lächerlich. Die Welt ist in zwei Hälften geteilt. Es gibt die Kommunisten und die freie Welt. Die Russen und die Amerikaner, sonst nichts. Und was sind wir? Amerikaner. Hinter mir steht die Regierung, hinter der Regierung steht die NATO, hinter der NATO stehen die USA. Ihr könnt nicht gegen uns kämpfen, wir sind Amerikaner.“
Im Verlauf ihrer Untersuchung wollten die von der europäischen Kommission für Menschenrechte beauftragten Ermittler Polizisten und Militärs anhören, die von den gefolterten Gefangenen am häufigsten genannt wurden. Die meisten von ihnen gaben Erklärungen ab, die die Sache der Obristen in verheerender Weise bloßstellte: Sie verloren die Selbstbeherrschung, beschimpften die politischen Gefangenen, behaupteten, dass dieser oder jener Häftling nichts als ein dreckiger Simulant sei, der auf Befehl der Kommunistischen Partei handle und sich selbst verstümmelt habe, um den Anschein zu erwecken, dass die „ehrenhaften griechischen Polizisten“ Wilde seien. Aber in Vasilis Lambrou hatten die Mitglieder dieser Kommission einen anderen Mann vor sich. Elegant, höflich, lächelnd, Nerven und Gefühle beherrschend, eloquent, ohne Fachausdrücke zu benutzen, war er der vollkommene Schauspieler. Er hatte versucht, eine „plausible“ Erklärung glaubwürdig zu machen: dass nämlich unvermeidliche Fehler in der Polizei eines jeden Landes vorkommen und er wies dabei noch auf die „besonderen Umstände“ in Griechenland hin. Später wurde er in die USA eingeladen um dort Vorträge über die Bekämpfung des Kommunismus zu halten.
Aussage der Schauspielerin Kitty Arseni, 34, nach ihrer Ausreise nach Frankreich vor der Menschenrechtskommission des Europa Rats (diese wurde auf Betreiben von Schweden, Dänemark und Norwegen tätig; die BRD unterstützte die Obristen) am 26. November 1968. Sie war nachts in ihrer Wohnung von den Beamten Lambrou, Babalis und Mallios festgenommen worden:
„Lambrou fragte mich im Auto ob ich bereit wäre Fragen zu beantworten. Sonst würden sie mit mir nach Damaria fahren, ein einsamer Berg in Athen, bei Patissia. Im Auto fingen sie an mich zu beschimpfen und mir gegen den Kopf zu schlagen. Angekommen in der verlassenen Gegend, zogen sie mir die Schuhe aus, Mallios legte sich auf mich und hielt mir den Mund zu, während mir der Fahrer mit einem Rohr auf die Fußsohlen schlug. Sie sagten sie würden mich hinrichten. Danach wurde ich in die Zentrale der Asphalia in der Bouboulinas Straße gebracht wo ich in einer winzigen, leeren Zelle ohne Tageslicht in Isolation gehalten wurde.
Bei weiteren Verhören wurde ich auf dem Dach des Gebäudes u.a. von dem Beamten Spanos geschlagen, sie haben wieder die Falanga angewendet. Sie drohten mich vom Dach auf die Straße zu werfen. Nach drei Monaten wurde ich auf Bewährung entlassen.“
Am 12. März 1969 befragte die Menschenrechtskommission des Europa Rates in Athen die beschuldigten Polizeibeamten. Inspektor Vasilis Lambrou bestritt an der Verhaftung von Kitty Arseni am 23. August 1967 beteiligt gewesen zu sein. Die Verhaftung sei von Inspektor Mallios durchgeführt worden um das subversive Netzwerk des Dichters und Musiker Mikis Theodorakis zu zerschlagen. Letztendlich ging es um die Verbreitung einer Tonbandaufnahme. Lambrou stritt die Foltervorwürfe ab und bezichtigte Kitty Arseni der Lüge.
Inspektor Evangelos Mallios erklärte, zusammen mit Lambrou und Babalis in der Nacht der Verhaftung lediglich einige Fragen an Frau Arseni gestellt zu haben um das versenden eines Tonbands in andere Länder zu verhindern. Er bestritt die Foltervorwürfe und sagte, Kitty Arseni sei Geisteskrank.
Inspektor Babalis sagte aus, dass er für die Sicherheit der Gefangenen verantwortlich sei und Frau Arseni sei sehr gut behandelt worden.
Als weitere Zeugin vernahm die Menschenrechtskommission Anastasia Tsirka, die am 23. September 1967 von der Asphalia verhaftet wurde. Vor dem Putsch war sie auf einer Friedensdemonstration fotografiert worden, jetzt wurden in ihrer Wohnung Flugblätter mit dem Titel „Autonome Aktion“ gefunden. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war sie sichtbar schwanger.
Auf dem Dach der Asphalia Zentrale in der Bouboulinas Straße wurde sie von Lambrou, Mallios, Babalis, Spanos und Georgantas gefoltert, u.a. mit Schlägen auf die Fußsohlen. Es wurde auch gedroht sie vom Dach zu werfen. In den folgenden Tagen erlitt sie eine Fehlgeburt und wurde nach kurzem Krankenhaus-Aufenthalt ein weiteres Mal der Falanga unterzogen. Sie konnte nicht angeben von wem sie die Flugblätter erhalten hatte, weil sie diese auf der Straße gefunden hatte. Die griechische Regierung bezeichnete die Vorwürfe von Frau Tsirka als Lüge, die Polizei habe alles schon gewusst, so dass gar kein Grund für Folter vorgelegen habe.
Während der Diktatur hatte es bis auf den gescheiterten Anschlag auf Papadopoulos keine wissentlich tödlichen Aktionen gegeben. Ein Mensch war versehentlich durch eine Bombe getötet worden. Politische Tötungen wurden jetzt zur Option der militanten Gruppen, als deutlich wurde, dass die Folterschergen der EAT-ESA (Vernehmungseinheit der Militärpolizei während der Diktatur) und der Sicherheitspolizei Asphalia nicht wirklich zur Verantwortung gezogen werden, und dass die Demokratie eine personelle Kontinuität in den Machtstrukturen des Landes anstrebt.
Die Folterer der EAT-ESA vor Gericht. Vorne, 2.v. Links: Anastasios Spanos, daneben Chefermittler Theodoros Theofiloyannakos, ganz rechts: Kommandant Nikolaos Hajizisis. Sie waren schnell wieder frei.
Ende Juli 1974 fanden Diskussionen von Mitgliedern der Widerstandsgruppen gegen die soeben abgesetzte Junta statt. Militante von LEA, Christos Kasimis von 20 Oktober (20 O) – Bombenleger während der Junta von 1967 bis 1974 – und Kostas Agapiou von Aris Team (Bombenleger*innen Gruppe während der Junta, mit Kontakten zu den Vorläufern der Roten Brigaden in Italien) waren neben wenigen anderen Gruppen aus dem Kampf gegen die Obristen hervor gegangen und berieten die neue Lage. Anfang 1975 gaben 20 Oktober ihre Auflösung bekannt, weil Revolutionäre sich in die Massenkämpfe der Arbeiter integrieren sollten für die sie kein Programm hätten. Weil sie nur für den Kampf gegen die Diktatur entstanden seien, stellten sie ihre Unfähigkeit fest, das Vakuum zu nutzen, welches durch den Fall der Junta entstanden war. Anschläge würden nur den Vorwand für Repression liefern, die Gegengewalt des Volkes dürfe nicht von einer Avantgarde kommen.
Teile von LEA, unter anderen Giotopoulos wollten ihre Untergrund-Strukturen erhalten. Sie sahen das Wahlergebnis als Zeichen personeller Kontinuitäten von Angehörigen der Junta, die jetzt im Apparat von Nea Demokratia weitermachten.
Christos Kasimis und seine Frau Alexandra waren von der Notwendigkeit überzeugt, das griechische Industrieproletariat in die bewaffnete Bewegung einzubeziehen, etwas was während der Junta nie gelungen ist. Die beiden werden beim Plakatieren entsprechender Aufrufe verhaftet, aber auf Intervention von PASOK-Abgeordneten freigesprochen. Diese Gruppe versuchte auch Student*innen zu agitieren.
Militante um Kasimis suchten bei Arbeitskämpfen den Kontakt zu Streikenden, Fabriken wurden besetzt und Streikbrecher zusammengeschlagen. Auch in Nachbarschaftsinitiativen wurde Kontakt zu Schichten gesucht, die für revolutionäre Aktionen offen schienen. In diesen Zusammenhängen wurde zwischen Juli 74 und Februar 75 ein Text geschrieben, zirkuliert und im Dezember 75 in einer korrigierten Version veröffentlicht, der unter dem Tarnumschlag „Outstanding Chemical Fertilizers“ ein Gründungspapier mit dem Namen „Revolutionärer Volks Kampf für die Entwicklung der griechischen revolutionären Bewegung“ verbarg.
Mit Revolutionärer Volks Kampf (Epanastatikos Laikos Agonas – ELA) betrat eine klandestine, kommunistische Gruppe die Bühne. Ihrem Gründungspapier wird vorgeworfen wenig konkrete Vorschläge zu bieten und mit obsessiver Wiederholung ideologischer Formulierungen zu kaschieren. ELA kündigte an, ihre Erfahrungen aus dem Anti-Junta Widerstand zu nutzen, um die Massen aufzuklären. Sie glaubten „Volksmacht“ und Sozialismus nur durch eine gewalttätige Revolution der Arbeiterklasse gegen Kapitalismus und Imperialismus erreichen zu können. ELA lehnte den Maoismus ab und distanzierte sich vom Begriff der „nationalen Unabhängigkeit“ früherer Texte von LEA. Ihr Konzept sah autonome Gruppen vor, die aus den einzelnen Konfliktfeldern erwachsen und sowohl den bewaffneten Kampf als auch legale Organisierung praktizieren, während daran gearbeitet wird, die bürgerliche Hinterlassenschaft zu überwinden. Über die Thematik der Löhne sollte eine Mobilisierung der Fabrikarbeiter erfolgen, mit dem langfristigen Ziel, die Lohnarbeit abzuschaffen. Im Jahr 1976 gab es in Griechenland 947 Streiks von 300.000 Beteiligten, was zu über 6 Millionen verlorenen Arbeitsstunden führte.
Als Zugeständnis an Anhänger Guevaras sollten aufständische Hot-Spots geschaffen werden, mit einem Schwerpunkt in großen Städten. Der während der Junta verbannte Historiker Nikos Psyroukis soll mit seinen Texten großen Einfluss auf ELA Mitglieder gehabt haben.
Einer der ersten Leser der Gründungserklärung von ELA war Christos Tsigaridis, der als kommunistischer Student des Polytechnio mit den Dogmas der KKE aneinander geraten war. Er wurde von Kasimis überzeugt, ELA beizutreten und äußerte sich nach seiner Verhaftung 2003 zur Strategie von ELA. Es sollten kleine Bombenanschläge symbolischer Natur verübt werden, bei denen Verletzung von Menschen ausgeschlossen seien müssten. Dieses Vorgehen beruhte auf der politischen Taktik, keine Distanz zwischen Aktionen einer organisierten, revolutionären Kraft und den Aktionen kleiner, militanter Teams oder der Massenmilitanz aus der Bevölkerung entstehen zu lassen.
ELA wollte verhindern, dass Zuschauer ihrer Anschläge entstehen. Vielmehr sollte eine revolutionäre Gegengewalt zur Praxis der Arbeiterschicht werden. Nicht materielle Zerstörung sondern die Ausstrahlung einer widerständischen Nachricht war das Hauptziel.
Die Gruppe begann mit einfach nachzuahmenden Brandanschlägen. Die während der Diktatur beschafften Schußwaffen wurden jedoch behalten. Ab Mai 1975 produzierte und verbreitete ELA eine illegale, zweimonatliche Broschüre mit Gegeninformationen unter dem Titel Antipliroforisi, die auch an einigen Kiosken offen auslag.
Am 21. April 1975, dem achten Jahrestag des Obristenputsches, zogen zehntausende Demonstrant*innen zur US Botschaft in Athen, durchbrachen Polizeiabsperrungen und warfen Scheiben der Botschaft ein.
Die maoistische Gruppe E.K.K.E. reklamierte diesen Erfolg für sich und wurde dafür von Papandreou und der KKE der Provokation im Auftrag ausländischer Mächte beschuldigt. Ehemalige Mitglieder von LEA und spätere Aktivisten von 17N bezeichneten das Gebaren von EKKE als „folkloristisch und kindisch“; den Erfolg in der Auseinandersetzung mit den Bullen vor der Botschaft hatten kleine, autonome Gruppen ermöglicht, die linken Organisationen versagten beim Schutz der Demonstration, deren friedlicher Teil anschließend von der Polizei mit Gas und Schlagstöcken auseinander getrieben wurde. ELA-Militante waren bei diesem Riot anwesend und zündeten am 29. April im Hafen von Elefsina acht Fahrzeuge der US Marine an.
Am 14. Oktober fand in Athen ein Prozess gegen drei Mitglieder des Zentralrats E.K.K.E („Revolutionäre Kommunistische Bewegung Griechenland“) sowie gegen einen 17jährigen Schüler statt. Letzterer war angeklagt, wegen „Zerstörung fremden Eigentums und Beschimpfung einer Behörde“. Er war am 21. April 1975 in der US-Botschaft verhaftet worden und soll einen Knüppel in der Hand, den Polizeidirektor Karathanassis mit den Worten „Faschist Karathanassis, damit wirst du sterben“ bedroht haben, wofür er fünf Monate Knast bekam. Die Mitglieder der E.K.K.E. erhielten 18 Monate Gefängnis, da sie in einem Flugblatt die Aktionen gegen die US-Botschaft unterstützten.
Am 23. Juli 1975, ein Jahr nach dem Machtwechsel, kam es bei einem Generalstreik zu heftigen Straßenschlachten in Athen. Ein Supermarkt der amerikanischen Armee wurden am 10. November in der Sygrou Avenue von ELA angezündet. Der Presse war das nur eine kleine Randnotiz wert, das Bekennerschreiben „einer unbekannten Gruppe“ wurde nicht wiedergegeben.
Hinrichtung eines Agenten – 17N betritt die Bühne
Im November 1975 wurden sieben CIA Agenten durch eine Zeitung geoutet, darunter der Chef der CIA Station , Richard Welch, 46. Dieser diente seit 1951 beim CIA, von 1952 bis 1960 in Athen, danach auf Zypern während des Terrors türkischer und griechischer Faschisten gegen die Zivilbevölkerung, 1965 wurde er nach Guatemala zur Aufstandsbekämpfung geschickt, dann in Guyana zwecks Wahlmanipulation eingesetzt. 1972 war er Chef der CIA-Station in Lima, wo er im Februar 1975 verschwinden musste nachdem sein Name in der Zeitung als Organisator einer Verschwörung genannt wurde.
Welch wurde seit seinem Eintreffen in Athen am 15. Juni 1975 observiert. Vermutlich hat Welch diese Observation bemerkt, aber die Leute dem Schutz durch den griechischen Geheimdienst KYP zugeordnet. Er übernahm den Posten des Leiters der CIA-Station in Athen.
Am 23. Dezember 1975 wurde Richard Welch im elitären Viertel Psychiko von einem Kommando aus vier Leuten bei der Ankunft vor seinem Haus gestellt. Zwei Kugeln aus einem Revolver trafen ihn tödlich, sein Fahrer wurde verschont. Das Fluchtfahrzeug war einige Tage zuvor in Pangrati besorgt worden.
Mit ihrem Bekennerschreiben trat die Revolutionäre Organisation 17. November (17N) erstmals in Erscheinung. Sie propagierten eine Volksmacht und den Sozialismus. Diese Erklärung unterlag einer Nachrichtensperre, wurde aber in Exarchia verteilt. Über den Zeitpunkt der ersten Hinrichtung eines für Folter und Mord Verantwortlichen wurde spekuliert, vermutlich handelte 17N erst als das Versagen der Justiz bei der Verfolgung von Verbrechen der Diktatur offensichtlich war. Die Adresse von Welch hatten sie jedenfalls schon vor dem Outing herausgefunden. Die KKE und die Presse bezeichneten das als Provokation fremder Mächte.
Die CIA nutzte den Anschlag um Kritik an den im Zusammenhang mit Watergate aufgedeckten Skandal mundtot zu machen. Der US Geheimdienst in Athen überlegte als Vergeltung gegen 35 bis 40 Menschen vorzugehen, die im Zusammenhang mit dem Aufstand am 17. November 1973 den Behörden bekannt geworden waren.
Verschiedene Quellen weisen auf eine gelegentliche Zusammenarbeit von ELA und 17N hin, auch wenn beide Gruppen oft unterschiedliche Positionen vertraten. ELA startete eine ganze Serie von Brandanschlägen, die zwar wenig Beachtung in der Presse fanden, aber in der Bevölkerung auf Zustimmung stießen.
Die ersten Toten der „Demokratie“
Am Abend des 30. April 1976 verbreitete der 16jährige Schüler Isidoros Isidoropoulos am Omonia Platz Flyer seiner kleinen, leninistischen Gruppe. Deswegen von der Polizei gejagt, lief er vor ein Auto und wurde getötet.
Isidoros Isidoropoulos
Einen Tag später wurde Alekos Panagoulis von Elementen des „tiefen Staates“ in einem fingierten Verkehrsunfall ermordet, kurz bevor er verschollene Dokumente der ESA (Militärpolizei) veröffentlichen konnte, die eine Verwicklung von demokratischen Politikern in Verbrechen der Junta bewiesen hätten.
Das von Killern gerammte Auto von Alekos Panagoulis
Mit diesen beiden Morden wurde die Wut in der Bevölkerung weiter angeheizt, die bereits durch Gesetzesänderungen aufgebracht war, mit denen das Parlament auf Druck der Industrie das Streikrecht im Interesse der Arbeitgeber einschränkte.
Im Jahr 1976 griff ELA neun Banken und Firmen mit Bomben an, auch Busse wurden angezündet.
Ein Folterspezialist wird hingerichtet
Der oberste Ermittler der Sicherheitspolizei (Asphalia) während der Diktatur, Evangelos Mallios, war im September 1975 in einem ersten Prozess in Athen von Foltervorwürfen freigesprochen worden, später zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ein neuer Prozess brachte ihm eine kurze Haftstrafe, die er nicht antreten musste weil sich das Berufungsverfahren auf unbestimmte Zeit verzögerte. Mit ihm auf der Anklagebank saß sein Kollege Petros Babalis.
In Haft waren hingegen der Anarchist Christos Konstantinidis und drei weitere Genoss*innen wegen Ausschreitungen bei einer Demonstration für Rolf Pohle, (der von der Bewegung 2. Juni aus deutscher Haft freigepresst wurde und wegen Mitgliedschaft in der RAF verurteilt ist), der im Juli 1976 in Athen festgenommen wurde. Konstantinidis hatte bereits während der Diktatur anarchistische Publikationen verbreitet.
Rolf Pohle vor Gericht in Athen
Der gesellschaftliche Hass gegenüber der Straffreiheit, mit der die Folterer davon kamen, drückte sich in einer Reihe von Sprechchören vor Gerichten und bei Demos aus, wie „Die Faschisten von Goudi“, „Volksprozesse gegen die Folterer“, „Vergiftet die Hunde der ESA“, „Das Volk vergisst nicht, erhängt die Faschisten“, usw.
Am 14. Dezember 1976 parkte der suspendierte Beamte Mallios sein Auto bei der Polizeistation im Athener Vorort Faliro. Seine ehemaligen Kollegen sollten verhindern, dass sein Auto angezündet wird. Die letzten Meter zu seinem Haus legte er zu Fuß zurück, als ein dunkles Fahrzeug von hinten kam und jemand Mallios mit zwei Kugeln tötete. Aus dem Fluchtfahrzeug wurden noch Blätter mit einem Kommunique geworfen.
In diesem nahm 17N Bezug auf die ermordeten Isidoropoulos, Panagoulis und Tsivika, mit denen der Staat die Bevölkerung terrorisiere. Außerdem ging es im Schreiben um den Unwillen der Justiz, die Folterer zu bestrafen und darum, dass Karamanlis ein Faschist im Dienst der USA sei. Das Volk müsse sich mit friedlichen und gewaltsamen Mitteln von den Amerikanern, von ausländischem und heimischen Kapital befreien. KKE und PASOK bezeichneten die Hinrichtung als Provokation ausländischer Mächte. Selbst ihre Mitglieder glaubten jedoch nicht an diese Verschwörungstheorie.
Es gab nicht wenige, die die Aktion des 17. November begrüßten. Zum Beispiel hat einige Tage nach der Hinrichtung von Mallios die Gruppe „Proletarische Linke“ eine Solidaritätserklärung mit 17N veröffentlicht, in der es heißt: „Unter den gegeben Umständen hat die Organisation des 17. November im Namen des Volkes gehandelt. Die Pistole die Mallios hinrichtete, wurde von den Hunderten, die durch die Diktatur getötet wurden, von den zehntausenden Gefolterten, vom ganzen Volk gehalten. Deshalb war dies der vereinte Widerstand eines ganzen Volkes.“
Evangelos Mallios
Bei der Beerdigung von Mallios kam es zu Salut Schüssen und Pro-Junta Rufen durch uniformierte Polizisten und Ausschreitungen, ausgehend von Ultrarechten, Unterstützern der Diktatur. Unter ihnen Georgalas, Agathangelou und Michaloliakos, späterer Chef der Chrisi Avgi (Goldene Morgenröte, Golden Dawn). Die Anwesenden riefen antikommunistische Parolen und schlugen unter den Augen der Polizei auf Journalisten ein. Wenig später begann eine zweijährige Serie von 74 Bombenanschlägen gegen linke Ziele, zu der sich eine faschistische Organisation als Rache für Mallios bekannte. Damit war die These des 17N vom Parastaat bewiesen.
Kommen wir zu einem Aktivisten, der heute als Verantwortlicher von 17N im Knast sitzt: Dimitris Koufodinas.
Als 15jähriger war Dimitris Koufodinas Augenzeuge der gewaltsamen Niederschlagung der Polytechnio Revolte 1973 gewesen. Seitdem las er aufmerksam alle politischen Publikationen und durchlief verschiedene linke Gruppen, sogar die Jugendgruppe der PASOK, als er 1977 auf ein umfangreiches Manifest der Organisation 17N stieß. 17N schlug darin kleine Zellen von Militanten vor, die bewaffnete Strukturen zur Selbstverteidigung des Volkes aufbauen sollten, die, wenn es an der Zeit wäre, in einer revolutionären Partei des Volkes aufgehen sollten. Die Hinrichtungen von Welch und Mallios waren Ausdruck dieser Strategie. Die liberale Zeitung Eleftherotypia druckte dieses Manifest ab, warnte aber davor mit solchen Hinrichtungen eine Repression zu provozieren, wie sie in Deutschland nach ähnlichen Anschlägen statt fand.
Koufodinas fand zunächst Kontakt zu ELA, deren Text „Outstanding Chemical Fertilizers“ ihn überzeugte. ELA baute damals kleine Untergruppen auf und in einem dieser Teams unter dem Namen LAS (Laiki Agonistiki Syspeirosi) startete Koufodinas eine Serie von 40 Brandanschlägen, meistens auf Fahrzeuge, beginnend mit dem Auto eines US Militärs in Exarchia. In Thessaloniki wurden vier junge Anarchisten bei einer ähnlichen Serie verhaftet.
Die Ermordung der RAF-Gefangenen in Stammheim am 18. Oktober 1977 löste in Athen und Thessaloniki Straßenschlachten mit Molotov Cocktails durch Hunderte, öffentlich als Anarchisten bezeichneter Menschen aus. Als Reaktion auf die Morde in Deutschland machten sich am 20. Oktober vier Aktivisten von ELA, darunter Christos Kasimis, in das Industrieviertel Rendis zwischen Athen und Piräus auf, um dort ein Lager der deutschen Firma AEG zu sprengen.
Bei den Vorbereitungen auf dem Firmengelände wurden sie von zwei Zivilfahndern überrascht, die Christos Kasimis überwältigen wollten. Es kam zu einem Feuergefecht, bei dem Kasimis von den Bullen erschossen wurde, den drei anderen gelang, teilweise verletzt, die Flucht. Auch beide Bullen wurden angeschossen. Auf Seite der ELA war auch Christos Tsoutsouvis, der später eine Abspaltung der ELA, die Gruppe Anti-Staats Kampf, anführen sollte, an der Aktion beteiligt.
Christos Kasimis, getötet bei einer Vergeltungsaktion gegen AEG wegen der Morde in Stammheim
Der griechische Polizeiapparat, unverändert von der Junta-Zeit übernommen, entnahm seinen Akten, dass neben Christos Kasimis auch ein Giannis Serifis bei der Gruppe 20 O gewesen war, die damals in der militanten Oppostion gegen die Diktatur aktiv war. Damals zwar freigesprochen, wurde Serifis nun für 15 Monate in Untersuchungshaft gehalten. Der lächerliche Vorwurf war: Mord am von Asphalites erschossenen Kasimis, Beteiligung an dem Anschlag auf AEG und Mitgliedschaft bei ELA oder 17N. Giannis Serifis würde für Jahrzehnte der „übliche Verdächtige“ für jeden Anschlag sein.
Von 1977 bis 1980 wurden zahlreiche Brand- und Bombenanschläge von ELA gegen Behörden, Firmen und Banken, Polizeistationen und Fahrzeuge durchgeführt. Bei einem Angriff auf die Polizeistation Zografou im Dezember 1977 unter dem Namen Christos Kasimis Revolutionary Team wird auch ELA als Ausführende vermutet.
Die ELA nahe Zeitung Antipliroforisi radikalisierte sich nach dem Tod von Kasimis. Ein Grund könnte der sinkende Einfluss linksradikaler Gruppen in den Arbeitskämpfen sein. Wo weniger Arbeiter agitiert werden können, muss auch keine Rücksicht auf die spezielle Situation in den Fabriken genommen werden – die Sprache wurde militanter.
Die griechische Regierung kündigte jetzt neue Anti-Terror Gesetze an, mit Verweis auf die Situation in Italien und Deutschland. Dagegen demonstrierten im April 1978 25.000 Menschen. Bei einer Durchsuchung in einem Gebäude wurde ein Benzinkanister, leere Flaschen und ein Buch gefunden; die Anarchisten Filippas und Sophia Kyritsis erhielten dafür neun und fünf Jahre Knast, Strafen die dem Innenminister zu gering erschienen.
Der nächste Folterer wird hingerichtet
Über die Urheberschaft einer weiteren Hinrichtung rätselten die Behörden lange Zeit.
Im Oktober 1977 wurde der Chef der Überwachungsabteilung der Sicherheitspolizei (Asphalia) während der Diktatur, Petros Babalis, nach kurzer Haft wegen der Folter von Regimegegnern freigelassen. Nach der Hinrichtung seines Kollegen Mallios durch 17N war er wachsam und trug eine Waffe bei sich. Trotzdem erwartete ihn am 31. Januar 1979 der Tod: zwei Männer vor seiner Garage richteten ihn mit acht Schüssen hin.
Ein Bekennerschreiben verwies auch auf seine fortgesetzte Tätigkeit als Berater der Polizei hin, eine faschistische Kontinuität also. Unterschrieben war diese Erklärung mit „Juni 78 Team“. Spuren in Richtung 17N wurden nicht gefunden und ELA beging unter ihrem Namen keine Hinrichtungen. Erst im Jahr 1985 würde ELA erklären, dass das Juni 78 Team ein eigens gegründetes Kommando der Gruppe war.
Im Sommer 1979 zündete ELA zahlreiche Bomben gegen Ziele, die Bezug auf Arbeitskämpfe nahmen: Busse der Verkehrsbetriebe, Gerichte und Finanzämter, Ministerien und Arbeitgeberverbände waren betroffen. Die ebenfalls ELA zugehörige LAS, zündete derweil weiter Fahrzeuge von amerikanischen Militärangehörigen an.
Bildungsproteste erweitern den anarchistischen Raum
Am 9. August 1979 eskalierte im Zentrum Athens eine Demonstration von Arbeitern, die von der Polizei eingekesselt wurde, als Arbeiter, Studierende und Mitglieder von Parteien die Sperren durchbrachen; bei den folgenden Riots brachen die Bullen das Uni-Asyl, drangen auf das Gelände der Juristische Fakultät ein um Leute zusammen zuschlagen und festzunehmen. Am 25. Oktober besetzten Anarchisten die Chemische Universität, weitere Besetzungen führten zur Anulierung des Semesters und zur Rücknahme von Regierungsplänen einer Bildungsreform.
Bei den Straßenschlachten hatte sich besonders die 1976 gegründete MAT (Polizei-Einheit zur Wiederherstellung der Ordnung) mit Brutalität hervorgetan. Den Aktivisten vom 17N war besonders Pantelis Petrou aufgefallen. Er hatte auch schon unter der Junta sein Handwerk verrichtet. Der Direktor der MAT hatte am Rande der Studentendemos gestanden und über sein Funkgerät Befehle zur Misshandlung von Studierenden gegeben. Am 16. Januar 1980 wurde er in der Nähe seiner Wohnung zusammen mit seinem Fahrer von einem Kommando des 17N erschossen, mit der gleichen Waffe wie Welch und Mallios.
In ihrer Erklärung bezog sich 17N auf die faschistische Unterdrückung der Unruhen an den Universitäten durch die MAT und ihre aus Juntazeiten übernommene Doktrin. Der KKE warfen sie vor, die Demonstration im Stich gelassen zu haben, als die Polizei angriff. 17N solidarisierte sich auch mit spontanen Ausschreitungen, in Aghia Barbara wegen dem Rausschmiss eines Schülers und dem Abstieg einer Fußballmannschaft. Revolutionäre Gruppen müssten solche Revolten unterstützen, es sollte eine antiautoritäre Gesellschaft erkämpft werden ohne Bullen, mit bewaffneten Arbeitern und Kommunisten.
Es folgte eine Welle der Repression gegen Studierende und Publizisten linker Literatur. Und auch Namenslisten aus der Diktatur wurden erneut abgearbeitet.
Ein sehr wichtiges Ereignis dieser Zeit, das die politische und gesellschaftliche Dynamik der Subjekte des Widerstands ebenso zeigt wie die Grausamkeit der politischen Machthaber, war die Demonstration am 17. November 1980, dem siebten Jahrestag der Revolte im Polytechnikum, also dem Ereignis, das eigentlich die politischen Entwicklungen dieser Zeit definierte. In jenem Jahr hatte die Regierung verboten, dass die Demonstration zur US Botschaft zieht. Die Jugendorganisationen wie auch die Studentenorganisationen, die von den kommunistischen und sozialistischen Parteien kontrolliert wurden, hielten sich an das Verbot; linksradikale Organisationen, die zu der Zeit sehr stark waren, entschieden sich jedoch für den Versuch, die Demonstration weiter zur US Botschaft zu führen.
Am Abend des 17. November 1980 sahen sich also Tausende von Demonstranten in der Straße neben dem Parlament, die zur Botschaft führt, einem äußerst starken Polizeiaufgebot gegenüber. Die Versuche der ersten Reihen, bestehend aus Linksradikalen, zur Botschaft durchzubrechen, wurden mit einem massiven Angriff der Sicherheitskräfte beantwortet, der die Menge zerstreuen sollte. Doch trotz der Polizeiangriffe gab es starken und dauerhaften Widerstand von mehreren Tausend Menschen, Jugendlichen und Arbeiter, Anarchisten und Autonomen, die im Athener Stadtzentrum Barrikaden errichteten – Barrikaden die von den Bullen mit gepanzerten Fahrzeugen geräumt wurden. Vor dem Parlament erschlugen Polizisten den 26jährigen Iakovos Koumis und mit achtzehn Knüppelhieben die 20jährige Stamatina Kanelopoulou, beides Mitglieder von linksradikalen Organisationen. Hunderte wurden verletzt, zwei Menschen wurden von den Bullen angeschossen. Zum Schluss flüchteten die Menschen in den Schutz des Asyls auf dem Polytechnio.
Iakovos Koumis und Stamatina Kanelopoulou
Während der Ausschreitungen wurden viele kapitalistische Ziele angegriffen und geplündert, darunter Kaufhäuser, Juweliere und dergleichen. Diese Art von Angriffen, die eine der ersten Äußerungen einer großstädtischen Gewalt waren, die sich nicht nur auf die Polizei richtete, sondern auch gegen Symbole von Wohlstand, wurden sogar von den Linken verurteilt, deren politische Kultur nur die Polizei als legitimes Ziel anerkannte. Doch eine neue Form metropolitaner Gewalt hatte sich gezeigt. Neben der Beteiligung an den Konfrontationen mit der Polizei zerstörten und plünderten Demonstrant*innen kapitalistische Ziele, und genau das wurde von den Linken verurteilt.
Nach dieser Phase wurde die Folter während der Junta verdrängt, im Gegensatz zu lateinamerikanischen Diktaturen. Das könnte daran liegen, dass in Griechenland weniger Menschen ermordet wurden und daran, dass die Überlebenden, von denen alle gefoltert wurden, oft der Folter nicht standgehalten und ausgesagt hatten. Daran wollten die wenigsten später erinnert werden. In Chile sah die Sache anders aus. Pinochet kam mit Hilfe der CIA an die Macht, als sich schon die Krise der griechischen Obristen abzeichnete. Als Lehre aus dem Widerstand in Griechenland und anderen Diktaturen ermordeten die chilenischen und z.B. auch die argentinischen Regime die Menschen nach der Folter und ließen sie verschwinden. Es blieben Angehörige auf der Suche nach den Opfern. Das Trauma, unter Folter Aussagen gemacht zu haben kollektivierte sich nicht so sehr in einem Verdrängungsprozeß.