Die alles bestimmende Frage ist, ob wir so weitermachen können wie bisher. Zum Ist-Zustand denken wir: es gibt sehr wenige Menschen, die ihr Wissen zu den stattfindenden Kämpfen derart strukturieren, dass ihm eine Kraft entspringen kann. Hingegen der Staat uns als Organisation gegenüber tritt, die darauf ausgelegt ist Wissen zu sammeln, zu sortieren und dieses konsequent zu nutzen in der Lage scheint.
Zum Ist- Zustand denken wir außerdem: es fehlt das Bewusstsein des Revolutionärs. Es wird durch ein wesentliches Verhalten torpediert, dass sich in zu vielen Kämpfen der letzten Jahre gezeigt hat und deren Wirksamkeit als Waffe auch unser Feind erkannt hat. Spaltungen. Spaltungen durch Teil- und/oder Individuallösungen. Aber auch Spaltungen durch Unterscheidungen in Kämpfende („Betroffene“, „Refugees“, …) und Unterstützer, wodurch immer in Schwache und Starke in unseren gemeinsamen Kämpfen eingeteilt wird. So wie die Unterscheidung in Mann und Frau, kann eine Differenzierung zuweilen als Hilfskonstrukt in der sprachlichen Darstellung komplexer Umstände funktionieren, nicht aber als Selbstverständnis (wobei bewusst sein muss, dass sich sprachliche Unterscheidungen schnell als Realität niederschlagen). Zum einen offenbart die Selbstbezeichnung ‚Unterstützer‘ die Ablehnung, selbst Nachteile bei der Verfolgung des Ziels in Kauf zu nehmen. Als Ziel wird die Befreiung in Parolen wie „no border- no nation“ zwar radikal formuliert, von vielen Unterstützern aber kaum in eigener Verantwortung aktiv verfolgt. Zum anderen werden damit Hierarchien produziert, die wir in unseren gemeinsamen Kämpfen strikt ablehnen sollten und im Erkennen; wo sie bereits subtil aufzutauchen beginnen, beseitigen müssen.
Die Ablehnung der Unterteilung in Kämpfer und Unterstützer bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Begriffe nicht taktische Verwendung finden können, dazu bedarf es allerdings einer Strategie.
Eine Strategie setzt jedoch voraus, dass es eine Kommunikation gibt.
Möglich, dass einzelne Gruppen Strategien entwickelt haben. Bspw. die offensiven Aktionen des refugee-struggle und auch der Zwangsräumungskämpfe wie die Platz-, Haus-, Institutions- und Dachbesetzungen folgen einem Muster. Doch gibt es keine breite Bewegung, die eine Strategie verfolgt. Ein Muster, dem die meisten Besetzungen folgen, ist die Verhandlung mit der Macht. Auch dies kann taktisch Verwendung finden, um den Feind zu entblößen oder zu spalten und hat in letzter Zeit durchaus auch partielle Erfolge gehabt. So hat die Dachbesetzung in der Gürtelstraße mit all dem Bullenstress und Nahrungsmittelentzug um ein Vielfaches deutlicher gemacht, dass der Staat über Leichen geht. Als Prinzip ist Verhandlung mit den Unterdrückern jedoch immer abzulehnen, denn es hilft immer nur kurzzeitig oder wenigen.
Und im Übrigen scheinen es nicht selten gerade die Unterstützer zu sein, die sich in Verhandlungen und Individuallösungen verlieren. Unterstützer möchten, dass ihre Bemühungen auch schnelle Erfolge zeigen und auch durch persönliche Beziehungen wollen für eben jene Bekannten Lösungen durchgesetzt werden. So ist das Pochen auf den §23 als Verrat an all jene zu sehen, die in den letzten und kommenden Wochen hergekommen sind und herkommen werden. Wie können wir durchsetzen das ALLE bleiben? Zudem gehen wir davon aus, dass die Bereitschaft zur Radikalität viel größer ist, als sie bisher von Unterstützern wirklich mitgetragen wurde. Das widerständige Verhalten der Bewohner der Ohlauer Straße im September und Oktober gegen Security und Bullen macht das deutlich. 23 Straftaten in 20 Tagen- das mach mal ’ne Gruppe nach…
Mit Blick auf die Verantwortung für eine Kultur des Widerstandes muss Verhandlung daher öffentlich immer klar als rein taktisches Verhalten geoutet werden. Der Widerspruch von Anspruch und Realität muss in vielen Fällen auszuhalten sein. Hier hilft ein Blick auf das Vorgehen unserer Gegner: das Schwein Frank Henkel hat immer gegen Verhandlungen mit denen, die Freiheit „erpressen“ (wörtlich!) wollen, gehetzt und sich dennoch gegenüber jenen als Verhandlungspartner in der Oranienplatz-Sache präsentiert. Die Lüge ist offensichtlich, jedoch nicht schädlich für seine Person und seine Sache gewesen. So wird es immer sein: zum Machterhalt der Herrschenden gehört dazu, dass sich „Vater Staat“ als ‚gesprächsbereit zeigt und sich eben manchmal auch mit den Aufmüpfigen etwas nachsichtig und gutmütig gibt‘. Das streut in der breiten Masse individuelle und trügerische Hoffnungen, dass es die einzelne Person nicht so hart treffen wird oder gerade sie verschont bleibt. Das Denken und Handeln bis zur eigenen Nasenspitze ist eines der Grundprinzipien des Neoliberalismus, mit dem uns der Kapitalismus in Gestalt des Staates einzunehmen sucht. Damit ist der Gegner nicht nur allein der Staat, sondern die Gesellschaft mit allen Lebens- und Verhaltensweisen, die nicht mehr klar denken lassen.
Ähnlich ist also auch unser Verhältnis zum friedlichen Widerstand. Friedlicher Widerstand ist eine Farce, wenn wir von den gewalttätigsten Verhältnissen aller Zeiten reden. Friedlicher Widerstand ist immer auch eine Frage der Gesetzeslage, die durch die Herrschenden bestimmt wird. Ganz ehrlich: wir wollen Frieden, aber keinen Frieden mit den herrschenden Zuständen. Dennoch kann es situationsabhängig sinnvoll sein, sich als Opfer darzustellen und herrschende Bilder zu bedienen. Aber auch hier haben wir Verantwortung durch unseren Willen, eine Kultur des Widerstandes aufzubauen. Wir können nicht von Menschen fordern, dass sie sich z.B. auf Sitzblockaden verprügeln lassen. Und wir sollten so ehrlich sein und nicht von dem Versuch einer friedlichen Revolution reden, denn wenn die möglich wäre, dann hätte die deutsche Zivilgesellschaft längst die Verhältnisse revolutioniert, doch ist ihr jedes Wissen über Widerstand und die Gewalt über das eigene Leben schon vor einigen (hundert?) Jahren abhanden gekommen. Auch die „friedliche Revolution 1989“ war so friedlich, weil der Kapitalismus nur ganz gelassen auf seine neuen ‚Mitglieder‘ warten brauchte, die da über die Mauer gehopst kamen. Dieses System, die Herrschenden, die Gesellschaft werden bei jedem noch so friedlichen tatsächlichem Widerstand nicht tatenlos zusehen. Sie sind jetzt schon bis an die Zähne bewaffnet!
Einige Fragen stellen sich uns: muss es mehr geben, als gelegentliche Besetzungen oder friedliche Demonstrationen, die sich ab und zu auch ein wenig wehrhaft zeigen? Hungerstreiks und Aktionen des zivilen Ungehorsam scheinen aktuell nicht mehr mobilisierungsfähig und vor allem nicht durchsetzungsfähig. Das liegt daran, dass sie trotz nachlassendem Interesse geradezu aufgebraucht wurden. Das finden wir insofern tragisch, da sie in akuten Notfallsituationen oft das letzte Mittel für Menschen waren, denen keine andere Waffe als ihr eigener Körper gelassen wurde. Als Mittel des politischen Kampfes sollten sie jetzt tabu sein, es sei denn sie sind sehr gut vorbereitet.
Es ist leider gänzlich unklar, ob die lächerlichen Aktionen, die „Autonome Gruppen“ im Schutz der Nacht veranstalten, für die Kämpfe heute überhaupt eine Bedeutung haben. Einer Bewegung, die sich auch Guerilla-Taktiken bedient, fehlt heute noch mehr als der Unterstützer-Bewegung die Agenda. Daher wird auch nur selten die Schwelle der Symbolik weit übertreten. Das größte Problem der Militanz, also der Weigerung sich an staatliche Gesetze zu halten, ist die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung einer ganzen Thematik. Bei Besetzungen ist die Toleranz zumindest in Kreuzberg so groß, dass daraus kein Problem entsteht. Doch die Schwelle zum offenen Hass gegen Widerständige ist schnell übertreten: die Gesellschaft will keine Gewalt außer die des Staates und wer ein Problem hat, muss sich an ihn wenden. Das ist auch ein Grund, warum die Forderung nach §23 so populär ist: weil sie nichts in Frage sondern nur eine Bitte stellt.
Um einer Krise vorzubeugen müssen neue Mittel gefunden werden und der Organisationsgrad erhöht werden. Wer glaubt daran, dass sich die Welt verändern kann? Es muss den Willen geben, eine Struktur aufzubauen, die bereit ist, die Gesellschaft anzugreifen.
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