1. Mai in Berlin – Erwartungen / Einschätzungen / Ernüchterungen aus militant-antagonistischer Sicht

der folgende Text ist von linksunten übernommen:

Nach dem Desaster des Antirepressionstag am 22.03., das wohl in Berlin noch lange nachwirken wird und das bisher auch nicht ansatzweise bilanziert worden ist, zeigten auch die Geschehnisse rund um die Räumung des Flüchtlingcamps am Oranienplatz den anhaltend miserablen Zustand, in dem sich derzeit der Rest antagonistischer Politik in der Haupstadt befindet.

Trotz der furchtbaren und demotivierenden Bilder von Schlägereien der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz untereinander fanden sich am Abend zwischen 1500 und 2000 Menschen am Kotti ein.

Die Bullen waren massiv präsent, hielten sich aber zurück. Weitgehend schweigend wurde fast eine Stunde lang den nervtötenden Ansagen aus dem Lautsprecherwagen der Bullen gelauscht, das noch über eine Anmeldung und Routenführung verhandelt werde, anstatt einfach loszugehen, wie das im letzten Jahr einige Male erfolgreich praktiziert wurde , und wie es auch an diesem Abend möglich gewesen wäre.

Schliesslich setze sich die mittlerweile angemeldete Demo in Bewegung und während die Demospitze massiv von Bullen begleitet wurde, nutzten die zahlreichen schwarzgekleideten Kleingruppen im hinteren Teil der Demo keine der möglichen Aktionsräume in Bezug auf Baustellen und Banken, die auf der Route lagen. Am Heinrichplatz wurde dann die selbsternannte Berliner Avantgarde an der Demospitze zwar mit den Bullen allein gelassen und einfach in die Mariannenstrasse abgebogen, eine einfache Bullenkette konnte jedoch den Ausflug ohne grössere Probleme stoppen. Im Verlauf des Abends konnten die Berliner Bullen dann mal wieder ihre Allmachtsansprüche ausleben und stürmten immer wieder prügelnd und demoralisierend in Menschenansammlungen. Auch die späteren Kleingruppenaktionen konnten am traurigen Verlauf des Tages nichts mehr ändern.

Die gestrigen Aktionen rund um den geplanten Nazi Aufmarsch in Kreuzberg waren zwar erfolgreich in dem Sinne, das die Nazis nur einige hundert Meter gelaufen sind, gleichzeitig zeigen sie aber auch den Stand der Autonomen Antifa in Berlin auf.

Während das zivilgesellschaftliche Bündnis Nazifrei Berlin ohne grössere Behinderungen durch die Bullen mehrere Blockade etablierten konnte, sah es für die Autonome Antifa nicht so rosig aus. Zwar gab es schon seit dem frühen Morgen mehrere, teils brennende Barrikaden jenseits der Aufmarschroute, die allerdings eher die Streifenhörnchen und die Feuerwehr als die EHu in Atem hielten.

Im Gegensatz zu vergleichbaren Aktionen gegen Naziaufmärsche in anderen Städten gab es in Berlin keine (informellen) Vorabtreffpunkte für autonome Antifas. Das verringert zwar das Risiko, von den Bullen markiert, begleitet oder gar eingekesselt zu werden, gleichzeitg sorgte u.a. dies aber auch dafür, dass es fast den gesamten Tag über keine grösseren, handlungsfähigen autonomen Strukturen gab. Materialblockaden gab es den ganzen Tag über nicht, Aktionen gegen anreisende Nazis waren ausschliesslich dem zufälligen Aufeinandertreffen geschuldet. Erst mit dem halbherzigen Versuch der Bullen, die Nazis doch am Märkischen Museum vorbei eine Alternativroute zu ermöglichen, kam es zu direkten Aktionen.

Aber auch hier zeigte sich die Unfähigkeit, als grösserer Mob geschlossen zu agieren. Nur einige wenige dachten überhaupt daran, Steine auszubuddeln, der immergleiche 20iger Trupp Bullen konnte mehmals hunderte Menschen die Rungestrasse runtertreiben, darunter etliche im modischen black bloc style gekleidete. Wenn sich dann allerdings genug Mutige fanden, die die Bullen mit Wurfgegenständen eindeckten, zog sich der Trupp eiligst zurück. Der für ca. eine Viertelstunde entstandenen Freiraum wurde allerdings nicht genutzt, um sich grundsätzlich zu finden und z.B. die Strassen zu verbarrikadieren. So konnten von hinten herbeieilende Bullen-Verstärkungen wieder die totale Kontrolle erlangen und ihr zermürbendes Konzept von Menschenmassen durchmischen durchziehen.

Im Ergebnis waren bis auf die Nazis von Wowi bis Ströbele alle zufrieden und die taz war immerhin so ehrlich, die Prise Militanz zu würdigen, die notwendig sei, um Nazi-Aufmärsche erfolgreich zu blockieren. Auch die Berliner Bullen dürften zufrieden gewesen sein, ihrem finnischen Kollegen ein erfolgreiches Beispiel des crowd control präsentiert zu haben.

Zu den ritualisierten Abläufen des 1. Mai in Berlin ist im Verlauf der letzten 25 Jahre wohl alles gesagt worden

Dás sich trotzdem jedes Jahr zwischen 10.000 und 15.000 Menschen zusammenfinden, dürfte weder der unsäglichen Qualität der Aufrufe, noch den immer schlechter werdenden Plakaten geschuldet sein. Selbst das Hammer-Video der NaO dürfte wenig Anteil daran haben. Es spielt ja eigentlich auch keine wirkliche Rolle, Revolten lassen sich eben nicht konservieren, dass gilt für die Pariser Kommune genauso wie für den 1. Mai.

Also geht es eigentlich immer nur um die Frage, inwieweit der Tag auch nur ansatzweise etwas damit zu tun hat, was er abfeiert. Die Bullen und die politische Klasse wiederum sind in den letzten Jahren mit ihrem Versuchen, den 1. Mai zu befrieden, ein ganzes Stück weitergekommen. Das Myfest hat mittlerweile die grosse Lücke, die das Ende der Love Parade hinterlassen hat, fast gänzlich gefüllt, das Barrio Antifaschista verleiht ebenso wie die Cortex Bühne der Aufstandsbekämpfungsmaßnahme street credibility. Die gleichen Gruppen, die seit Jahren den 1. Mai vereinnahmt haben und mit stolzgereckter Brust ihre rote Fahnen an der Demospitze in die Luft recken, kassieren seit Jahren über das Myfest staatliche Kohle ab.

Den Verdrängungskampf um das begehrte Terrain 36 hat das Myfest mittleile auch gewonnen. War es in den Anfangsjahre des Myfestes noch nicht ausgemacht, ob das Fest nicht auch taktische Nachteile für die Bullen mit sich bringen könnte (so kam es z.B. anfänglich vor der Hip Hop Bühne in der Naunynstrasse regelmäßig zu Massenschlägereien unter den Gangs, die die Bullen zwangen, aus ihren Bereitsstellungsräumen in den Hinterhöfen zu kriechen, um dann von allen Beteiligten Steine und Flaschen zu kassieren), ist das Terrain des Myfest mittlerweile fest unter Kontrolle der Bullen. So wird es am 1. Mai 2014 wohl zu dem surrealen Bild kommen, dass EHu’s mitten auf dem Oranienplatz stehen, um eine Wiederbesetzung durch Flüchtlinge zu verhindern, während unmittelbar daneben die Party vor der Bühne weitergeht.

Auch hat sich die 18:00 Uhr Demo mit dem fulminaten 2009 aus dem Gebiet rund um den Heinrichplatz verabschiedet. Freiwillig wird das polizeiliche Kalkül der Trennung von Demo und Fest mitgetragen, die abendlichen Brennpunkte Kotti und Adalbertstrasse haben die Bullen mittlerweile gut in den Griff bekommen.

2010 war nach der Verhinderung des mittäglichen Nazi Aufmarsches im Prenzlauer Berg eh nur eine symbolische Runde durch Neukölln und 36 angesagt, die in sagenhaften 60 Minuten absolviert war und mit einigen Flaschenwürfen am Spreewaldplatz endete, wo die Bullen mit mehreren Sperrriegeln verhinderten, dass die Leute weiter in Richtung Heinrichplatz zogen.

2011 sah dann eine 18:00 Demo, auf der anfänglich einiges möglich war, die Bullen sogar etliches einstecken mussten, dann aber die Situation statisch und damit unter Kontrolle bekamen. Abends dann, als die letzten Reste der aufgestoppten Demo in 36 eintrudelten, eine Kottiparty, die sich gewaschen hatte.

Nach 75 Jahre Oktoberrevolution und dem Nationalfeiertag der DDR mussten wir dann 25 Jahre 1. Mai überstehen. Der Sturm auf den Winterpalais endete schon in der Lindenstrasse, wer nicht hören will, muss fühlen, was bitter für alle war, die den grosskotzigen Parolen geglaubt und dafür verprügelt oder festgenommen wurden.

Unter anderem als Reaktion auf die Erfahrung 2012 gab es dann 2013 im Vorfeld diverse Aufrufe und Debattenbeiträge aus dem autonomen und anarchistischen Spektrum, sowie die Organisierung eines eigenen Blockes. Aufgrund der vom Demobündnis mit den Bullen verhandelten Routenführung musste sich dieser jedoch bald wieder auflösen, um nicht von Bullen in einer taktisch ungünstigen Situation aufgeraucht zu werden. Anschliessend kam es noch zu einer mob action in Neukölln, sowie der Verlängerung des 1. Mai bei den Berliner JobCentern.

Und Nun?

Die Walpurgisnacht im Wedding ist nach der Revolutionären 1. Mai Demo der neueste Anlauf einer Restlinken, mit Mythos Politik zu machen. Nach einem zumindestens stimmungsmäßig angenehmen Anlauf im ersten Jahr mit über 5000 Leuten ist das Ganze innerhalb kürzester Zeit zu einem Bullenspektakel geworden, das nur Ohnmacht und Alkleichen zurücklässt. Wer eine Ahnung davon bekommen will, was dieser Tag mal war und die traumatische Erfahrung des Boxhagener Platzes hinter sich lassen will, schlendert vielleicht lieber des Nachts in den Viktoriapark, wo seit Jahren hunderte Jugendliche in den 1. Mai reinfeiern und sich regelmäßig gegen die aufdringlichen Bullen zur Wehr setzen. Völlig unbeachtet von bürgerlicher Presse und Szene kreist hier Jahr für Jahr der Bullenhubschrauber bis tief in die Nacht über dem unübersichtlichen Terrain.

Die ungemeldete 17:00 Demo am Marianneplatz am 1. Mai ist auch schnell Teil des Spektakels geworden. Regelmäßig wird das bunte Tuch vor das Gesicht gezogen und hektisch-ängstlich kreuz und quer durch das Myfest gezogen, wobei in dem Gedrängel regelmäßig zweidrittel der Demo verloren gehen. Am Ende kommen ein paar hundert Leute rotangelaufen am Startpunkt der 18:00 Uhr Demo an und feiern das als Erfolg. Die Bullen sehen das ganze mittlerweile gelassen, gelegentlich brüllt sogar ein begleitender Zivi seine westdeutschen Kollegen an, sie sollen gefälligst die Strasse für die unangmeldete Demo freigeben.

Für die 18:00 Demo am 1. Mai wurde mittlerweile ( wie aus den letzten Jahren gewohnt) die Route nochmals entsprechend der taktischen Anforderungen der Bullen angepasst, wofür diese sich auch lobend über die Anmeldergespräche äußerten. Zu erwarten ist eine zurückhaltene Bullentaktik, solange sich die Demo in Gänze an die Route weit weg von Myfest und dem Oranienplatz hält und die Vermummung vereinzelt bleibt. Der Winterpalais ist dieses Jahr die SPD Zentrale, die selbstverständlich in Schutt und Asche gelegt werden wird. Gekleistert wird wenig, Flugis sind eh oldschool und irgendwie kriegen auch die 5.000, die jedes Jahr am Ende der Demo mit Mate oder Becks in der Hand mitschlendern, mit, wo das Ganze startet. Die Teilnehmerzahl mit 10.000 plus ist eh genauso garantiert wie ein ausverkauftes Helene Fischer Konzert.

Was bleibt, um Hoffnung für diesen 1. Mai zu haben, sind also nur die Faktoren Eigendynamik und Glück.

Scheinbar ein dünnes Brett, was da gebohrt wird.

Allerdings war dies am 1. Mai 1987 auch nicht viel anders, bloß damals eben ein paar Bullen weniger.