Zwischen Spaltung und Auftrieb – anarchistische Bestrebungen gegen Syriza

Wenige Tage nach der Regierungsübernahme von Syriza, ereignete sich am 6. Februar im Athener Stadtteil Exarchia ein Vorfall, der die Konflikte innerhalb der anarchistischen Bewegung Griechenlands sichtbar werden ließ.

Ein einzelnes Polizeifahrzeug hatte an diesem Abend gegen das weithin akzeptierte Verbot normaler Streifentätigkeit in diesem Gebiet verstoßen und sich in die Spiridon Trikoupi Straße begeben, um einen Streit unter Autofahrern zu klären.

Seit der Ermordung von Alexis im Dezember 2008 ist es der Polizei nicht möglich in diesem Gebiet Bagatellen im normalen Dienst zu verfolgen, Einsätze wegen schwerer Delikte werden von Einheiten der MAT begleitet oder von zivilen Kommandos erledigt, Streifenfahrten werden im reduzierten Umfang von Teams der Sondereinheit DELTA durchgeführt.

Der Versuch eine Verkehrsangelegenheit durch eine Funkstreife bearbeiten zu lassen, kann als Testballon der neuen Administration gewertet werden, ob sich die Herrschaft über dieses Viertel wieder vollkommen herstellen lässt.
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Ende einer Dienstfahrt in Exarchia am 6.02.2015

Allerdings blieb der Streifenwagen nicht lange unbemerkt, seine Besatzung wurde durch Steinwürfe vertrieben und das Fahrzeug angezündet. Die Darstellungen über den genauen Ablauf gehen auseinander, fest steht, es wurden einige Barris errichtet und die MAT rückte ins Viertel ein, wie immer wahllos Menschen mit Gas und Knüppeln angreifend, einige Leute wurden festgenommen.
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Abtransport eines Testballons

Noch am selben Abend tauchte die erste Meldung auf Indymedia Athen auf, die wie alle weiteren Texte dazu, kontrovers kommentiert wurde. Die Schilderungen des Vorfalls gingen teilweise weit auseinader, einige Schreiber_innen behaupteten, die Angreifer hätten nicht nur die Bullen angegriffen sondern auch Leute geschlagen, die sich ihnen in den Weg stellten. Andere Darstellungen berichten von Pesonen, die handgreiflich versuchten den Angriff auf die Streife zu verhindern.

In den folgenden Tagen erschien ein Text vom K*BOX , der die Position vertrat, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für solche Angriffe sei, man müsse Syriza Zeit geben ihre Politik durchzusetzen, die Aktion sei eine Provokation. Die Argumentationslinien des K*BOX ähneln denen der Linkspartei nahen leipzig.antifa.de, die zur Gewalt gegen Bullen und Amtsgericht auf einer Sponti in Leipzig erklärte:

„Die bestehende Ordnung lässt sich nicht dadurch verändern, dass die Polizei angegriffen wird, die sie verteidigt.“

Andere Kommentare werfen den Angreifern Hooliganismus und Mackertum vor.

Kurz darauf meldete sich der Gefangene Nikos Maziotis aus dem Knast zu Wort. In einer Erklärung nahm er den Text des K*BOX förmlich auseinander und argumentierte, dass Angriffe auf die Polizei immer und überall gerechtfertigt seien. Besonders hier dran ist die Solidarität, die Nikos Maziotis eigentlich aus dem Umfeld des K*BOX genießt.

In vielen Texten und Kommentaren spielte dann auch die Frage der Provokation von Einsätzen der MAT im Viertel eine Rolle. Bei welchen Gelegenheiten es gerechtfertigt sei diese anzugreifen und wie deren wahllosen Gegenschläge zu bewerten seien, außerdem das Agieren von DELTA, deren Auflösung Syriza zwar versprochen aber nicht realisiert hat.
Natürlich haben unter den Reaktionen der Bullen auch immer Unbeteiligte zu leiden, allerdings sind die Auseinandersetzungen der einzige Gegenpol zu dem depressiven Abhängen vieler Jugendlicher auf der Platia Exarchion, die dort rund um die Uhr kiffen und trinken.

Auch die Gefangenen der Verschwörung der Zellen des Feuers meldeten sich auf dem Blog Inter Arma zu Wort und griffen jenen Teil der anarchistischen Bewegung scharf an, den sie als Kaffee Haus Anarchisten bezeichnen und deren Neigungen zu Syriza sie verurteilen. Sie kündigen an sich nicht mehr auf Indymedia Athen an Diskussionen beteiligen zu wollen.

Nach einigen über Facebook mobilisierten Demonstrationen für die Regierungspolitik gegenüber der Troika und der EU, fand am 26. Februar eine kleine Demonstration nach Aufrufen von trotzkistischen und sozial-anarchistischen Gruppen gegen Syriza statt. Im Gegensatz zu fast allen kleinen Demonstrationen aus diesem Spektrum, die in den vergangenen Jahren nie die Durchsetzungsfähigkeit gegen das Polizeiaufgebot entwickeln konnten und daher immer nur große Demos als Ausgangspunkt für Straßenschlachten suchten, zogen jetzt kleinere Zusammenhänge nach Exarchia und suchten hier die Konfrontation mit den Bullen:

https://www.youtube.com/watch?v=LGq3t0h5Kf0

Auch hier entstand im Nachgang ein Streit über Sinn und Zweck dieser Aktionsform, die aufrufenden Gruppen der Demo stellten im Nachhinein klar, dass sie nicht zu Ausschreitungen aufgerufen hatten.

Mit dem Beginn des Hungerstreiks der Gefangenen am 2. März wurde der Konflikt zwischen den nicht immer zu Recht als „Nihilisten“ bezeichneten und den sogenannten Sozial-Anarchisten um einiges komplizierter. Gleichzeitig wird mit dem Hungerstreik Syriza massiv unter Druck gesetzt.

Im Vergleich zum Hungerstreik von Nikos Romanos im November/ Dezember 2014 ist die gesellschaftliche Zustimmung zum Kampf der Gefangenen jetzt scheinbar verhaltener, die Militanz nimmt jedoch zu. Syriza hat bisher keine ihrer Versprechungen eingehalten liefert aber eine gekonnte Hinhaltetaktik ab und der Teil der Anarchisten, die in Syriza Hoffnungen setzten ist natürlich jetzt hin und her gerissen. Die Hatz von vermummten DIAS Streifen im Zentrum Athens auf Flüchtlinge findet weiterhin statt, jetzt aber Dank Syriza nicht mehr unter der Bezeichnung „Operation Xenios Zeus“. Und wenn die Knäste irgendwann nicht mehr Typ C genannt werden, sind die Gefangenen doch der Freiheit nicht näher gekommen.

Dem kämpferischen Spektrum des anarchistischen Raumes ist es in den letzten Wochen gelungen den Konflikt auf der Straße sichtbar zu machen, die Bullen werden nicht mehr nur bei großen Events angegriffen sondern wöchentlich in Exarchia in längere Auseinandersetzungen verwickelt, die nach Jahren der Pause auch wieder aus dem Polytechnikum heraus geführt werden, wie hier nach einer Demonstration am 17. März:
https://www.youtube.com/watch?v=V_Y1CrBRsMU

womit sich in die Tradition der Kämpfe aus den vergangenen Jahrzehnten gestellt wird. Für viele ehemalige Militante aus eben dieser Vergangenheit wird es schwieriger ihre Unterstützung für Syriza weiter zu begründen, der Konflikt wird somit auch zwischen Generationen ausgetragen.

Zwischen dem anarchistischen Milieu und anderen, linksradikalen oder basisdemokratischen Strömungen, scheint es momentan wieder eine größere Distanz zu geben, was an der Fixierung auf die Gefangenenfrage liegen mag. Im Kampf um die Deutungshoheit hat dieses Milieu in letzter Zeit verstärkt die Auseinandersetzungen selbst dokumentiert, entsprechende Videos auf Youtube werden aber schnell wegen angeblicher Jugendgefährdung gesperrt. Hingegen kann ein Verschwörungstheoretiker wie Wassilis Aswestopoulos ungehindert auf heise online die Gefangenen als Terroristen bezeichnen und über die Demonstration am 7. April behaupten:

„Den Sympathisanten der Inhaftierten geht es jedoch nicht schnell genug. Sie besetzen aktuell die Kapodistrias-Universität Athens und schlagen nahezu täglich auch an anderen Orten zu. Am Dienstagabend, dem Vorabend von Tsipras Treffen mit Putin, war die Wut soweit aufgestaut, dass eine Gruppe von Anarchisten kurzerhand die Gegend um die Technische Hochschule Athens in Flammen legte. Polizisten, Journalisten und Passanten, welche sich der kurzfristig besetzten TH näherten, wurden mit Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörpern und Steinen beworfen. Der Spuk hielt an, so lange die streitwütigen Besetzer Wurfgeschosse zur Verfügung hatten. Die Polizei hingegen hielt sich auf Befehl von Bürgerschutzminister Giannis Panousis zurück.“

https://www.youtube.com/watch?v=lB9rItJ8ofA
Von Nikos Maziotis liegt inzwischen auch seine, mit einer Analyse der Syriza Regierung verbundene Erklärung zur Beendigung seines Hungerstreiks vor. Seine Einschätzung, „dass die Entwicklungen im Kontext dieses Kampfes abgeschlossen sind und das diesbezügliche Potenzial erschöpft ist, auch unter Berücksichtigung der Solidaritätsbekundungen die stattgefunden haben.“
drückt die Problematik im anarchistischen Raum aus; die Leute stehen wieder, wie vor dem Dezember 2008, alleine auf der Straße wenn es gegen die Bullen geht.
https://www.youtube.com/watch?v=m_O-CVmyhtc