Über die Unruhen in Charlotte

In Charlotte hat die Ermordung eines Afroamerikaners (Keith Scott) am 20. September Krawalle ausgelöst, doch es kommt noch schlimmer: Während den Krawallen wurde ein weiterer Afroamerikaner (Justin Carr), mit einem Schuss in den Kopf, ermordet. Beide Morde haben eine Spirale aus Repression, spontanen Organisationsformen und Revolten hervorgebracht.
Letztere sind besonders interessant, weil sie nicht nur Bankenviertel, Privateigentum, Symbole des Kapitalismus und die Polizei konsequent angreifen, sondern nach Möglichkeiten suchen um die Momente der Revolte zu intensivieren, d.h. es werden Möglichkeiten gesucht um die Dynamik der Revolte zu verbreiten und sie vor den Lügen und den rekuperativen Intentionen der Reformisten, Pazifisten, Priester, Journalisten, Linken, Sozialarbeiter und sonstigen Verächter der Revolte, zu schützen.


 
Die generalisierte Unzufriedenheit, die sich durch die Revolte von Ferguson wie ein Flächenbrand verbreitete,

ist nicht mehr zu bändigen. Die unzähligen Kritiker der aufständischen Bewegung, sprich die friedensstiftende Linke, die Gemeindeverbände, die Nationalgarde und die faschistischen Gruppierungen, konnten bis jetzt die Revolte nicht zum schweigen bringen. Keine Unwahrheit schafft es den ätzenden Geruch der Wahrheit verschwinden zu lassen. Seitens der Aufständischen des 20. Septembers ist eine klare Strategie zu beobachten: Sie haben, angesichts der rassistischen Morde seitens der Polizei, mit dem kollektiven Delirium des sozialen Friedens, an das Millionen von Menschen noch festhalten, gebrochen. Eine schöne und kollektive Praxis ist seit den letzten zwei Jahren der Revolte zu beobachten: Die Interstate 85 wurde gestürmt, Sattelschlepper wurden geplündert und angezündet.

 
21. September, Tag 2
 
Am zweiten Abend der Unruhen, wurde bereits nach 30 Minuten, die angebliche (ethische) Homogenität der Black Lives Matter Bewegung demaskiert. Denn was als homogene Bewegung bezeichnet wird, ist eigentlich ein Zusammenschluss verschiedener Tendenzen. Darunter gibt es natürlich bestimmte Kräfte die eine friedliche Umstrukturierung der Polizei, Körper-Kamaras oder einen Untersuchungsausschuss fordern. Diese Fraktionen (linke Gruppierungen, Kirchenverbände, Studentenorganisationen und die „weißen Verbündeten“ )stellen innerhalb der B.L.M. Bewegung eine revisionistische und reformistische Position dar. Andererseits gibt es auch schwarze, aufständische ProletarierInnen, Kommunistische Gruppen, Straßengangs und wütende ArbeiterInnen.
 
Am 21. September um 19:00 Uhr, marschierten 600 Menschen zur Kirche im Stadtzentrum von Charlotte. Als einige Leute anfingen zu beten, wurden sie von vermummten Jugendlichen unterbrochen: „Fick diese Jesus Scheiße“!, schrien sie. Es war eine klare Abgrenzung zwischen denjenigen Elementen zu beobachten die die Krawalle fortsetzten wollten, und denjenigen, die friedlich demonstrieren wollten. Die Mehrheit entschloss sich die Bullen zu jagen. Eine kleine Gruppe Polizisten musste sich folglich im Hotel Omni verschanzen, das Hotel wurde angegriffen und Justin Carr, ein Demonstrant ,wurde erschossen. Das Blut war über die ganze Straße verbreitet. Die Situation eskalierte. Tausende plünderten den NC Hornets Laden um die Ecke.
 
„Wir bekamen eine Nachricht, in der stand, dass jemand in der Nähe des Hotel Omni erschossen wurde. Wir parkten das Auto und liefen zur Demonstration. Als wir dort ankamen, wurde die Menschenmenge mit Tränengas beschossen. Schockgranaten explodierten vor unseren Füssen. Links und rechts von mir waren überall Vermummte, die damit beschäftigt waren Tränengasgranaten in Richtung Polizei zurück zu werfen. Ich habe mich ebenfalls vermummt. Hunderte Leute schrien und applaudierten, einige waren am husten. Ein junger Mann, voller Tattoos und mit einer Gasmaske schrie zu mir: Das ist es! Willkommen zum Ende der Welt! Danach sah ich inmitten der Tränengaswolke die Bereitschaftspolizei.
Eine Stunde lang kontrollierte die Menschenmenge die Straßen rund um das Stadtzentrum, es wurden Barrikaden errichtet um die Straßen zu blockieren. Die revoltierende Menge griff das Hotel Hyatt und andere Geschäfte an, die Barrikaden wurden irgendwann außer Acht gelassen, doch es wurden Mülleimer angezündet und Polizeifahrzeuge mit Hämmer angegriffen, während andere Gras rauchten und zum mittlerweile berühmten „Fuck the Police“ von Lil´ Boosie (die „Hymne“ der Bewegung), mitrappten.“

 
„Als die Bereitschaftspolizei sich der Menschenmenge näherte, wurden sie mit Steinen und Feuerwerke angegriffen. Daraufhin wurde noch mehr Tränengas und Gummischrot in die Menschenmenge geschossen. Die Menge wurde dadurch in mindestens zwei Gruppen zerstreut, die weiterhin die ganze Nacht plünderten und randalierten.“
„Ein Kerl schreit vor Schmerzen, während sein Kollege versucht mit einer Jacke, ihm die Augen abzuwischen um die Schmerzen zu lindern. Ich packe meine Wasserflasche aus und spüle seine Augen aus. Der Kerl steht auf, nimmt etwas aus seiner Hosentasche und schreit: „Wer weiß wie man den Stift einer Schockgranate zieht?“, bevor er die Schockgranate in Richtung Motorradpolizisten wirft: „Ja, wir haben auch solchen Scheiß!“. Nach ein paar weiteren Steinen zieht sich die Polizei zurück. Die Menge applaudiert.“

 
In Uptown ist die Hölle los
Der tödliche Schuss der Keith Scott traf, wurde in North Charlotte abgefeuert, weit entfernt von den Finanzgebäuden und sonstigen Wirtschaftssymbole, für die Charlotte normalerweise bekannt ist. Die Revolte vom Mittwoch fand jedoch im Herzen der Stadt statt, genauso wie die darauf folgenden Unruhen. Das ist der Unterschied zu den jüngsten Unruhen in Milwaukee. Am zweiten Abend der Unruhen im Sherman Park (Milwaukee), wurde fast alle Geschäfte in der Umgebung geplündert oder angezündet, daraufhin waren die unmittelbaren Angriffsziele Polizei und Medien. In Uptown Charlotte, war alles in der Umgebung zerstörenswert, sogar das Nascar Museum.

Da die Revolte in einem wichtigen Finanzquartier stattfand, waren ihr auch bestimmte Grenzen gesetzt. Die Mehrheit der Stadtzentren wurden, nach der großen Welle der Rebellionen der 60er Jahre, zwecks Aufstandsbekämpfung, komplett renoviert. Alles was befestigt und festgeschraubt werden kann, wurde festgeschraubt, es gibt überall Kameras und die Menschenmenge wird durch die „intelligente“ Infrastruktur perfekt durch die zahlreichen Unternehmen und Einkaufspassagen geführt. Der Mangel an Wurfgeschossen erschwerte die Verteidigung gegen die Angriffe der Polizei. Ohne Menschen mit taktischer Erfahrung hätte es womöglich noch viel weniger Wurfgeschosse gegeben.

Der Mangel an Wurfgeschossen wurde gegen Ende des Abends zu einem Problem, da eine Barrikade, von dem Angriff einer kleineren Polizeigruppe in einem gepanzerten Golfwagen, nicht verteidigt werden konnte. Dadurch gelang es der Polizei eine große, kämpferische Menschenmenge zu zerstreuen, die wiederum dem Angriff nichts entgegenzusetzen hatte.
Der gepanzerte Golfwagen war ein großer Vorteil für die Polizei, denn so konnten Polizeikräfte schnell von einem Ort zum anderen mobilisiert werden. Die Mobilität der Polizei ist für die USA untypisch und ist eher in Griechenland oder in Katalonien üblich. Solche Methoden der Polizei müssen im Kopf behaltet werden um das nächste mal vorbereiteter zu agieren: Die gepanzerte Golfwagen haben, wie jeder andere Golfwagen auch, ganz normale Reifen und können entsprechend aufgeschlitzt werden, zudem haben sie weder Seitentüren noch Fenster, was den Angriff erleichtert. Sie sind mit einer „Geräuschkanone“ ausgestattet und können bis zu 5 Polizisten in Vollmontur transportieren (wenn ein oder zwei Polizisten hinten aufspringen).

 
Interne Dynamik der Menschenmenge

In der Nacht vom 21. September schien die Menschenmenge ein einheitliches Ziel zu verfolgen: Wo die Polizei keine Kontrolle hatte, wurden öffentliche Räume besetzt und alles in der Umgebung zerstört und geplündert. Da die Unruhen im Finanzgebiet Uptown Charlotte stattfanden, gab es nicht zu verlieren, alles war angreifbar. Nach ein paar Schockgranaten rannten die Friedensstifter der Bewegung schnell nach Hause. Diejenigen die Schaufensterschieben einschlugen, ernteten für ihren Mut Beifall. Hunderte vermummte Menschen halfen sich gegenseitig: Sei es um Sachen anzuzünden, um Tränengasgranaten zurück zu werfen, oder um Wurfgeschosse zu sammeln um sich vor der Polizei zu schützen. Doch nicht nur das Eigentum um die Polizei bekamen die Feindseligkeit der aufgebrachten Menge zu spüren, auch die „ethnischen“ Dynamiken innerhalb und außerhalb der Menschenmenge gilt es zu beachten:

1. Die weißen Revoltierenden wurden, genau wie in Milwaukee, mehr oder weniger von den größtenteils schwarzen Demonstranten toleriert. Ein Teilnehmer sagte, als er einige weiße Leute während den Unruhen beobachtete: „Heute Nacht sind wir alle Schwarz“

2. Weiße Autofahrer wurden mit Parolen aufgefordert die Faust zu heben, sich solidarisch zu zeigen und zu schreien „Black lives matter“. Wer sich weigerte, dem wurde das Fahrzeug demoliert. Auch die Fahrzeuge von schwarzen Menschen wurde angegriffen, was eine gewisse Anti-soziale Haltung innerhalb der Menschenmenge zum Ausdruck bringt. Hauptsächlich wurde die gesamte Situation „ethnisch“ eingeordnet. Solche Dynamiken waren vor allem zu beobachten, als es nichts zu zerstören gab und keine Polizei in der Nähe war.

3. Demzufolge scheint die „ethnische Einordnung“ als Kernpunkt einer ethischen Haltung betrachtet worden zu sein.
 
„Wir haben die Kreuzung in der Nähe vom Hyatt ungefähr eine Stunde unter unserer Kontrolle, wir zünden Feuer an und zerstören das Hotel. Zwei vermummte Kinder tragen einen Zementblock in die Menge und zerschlagen ihn um Wurfgeschosse für die Revoltierenden bereitzustellen, da ein polizeilicher Angriff unmittelbar bevorsteht. Eine Frau schreit aus dem nichts, „diese weißen Leute sind nicht auf unserer Seite, sie sollen verschwinden“. Sie geht zu den zwei Kindern, reißt ihnen den Zementblock aus den Händen und wirft ihn Weg. Eine große Menschenmenge beobachtet diese Szene und fordert die Kinder auf den Zementblock wieder zu holen. Währenddessen schnappt sich ein schwarzer Mann den Zementblock und fängt an ihn zu zerschlagen. Die Polizei taucht auf, schmeißt Tränengas und räumt die Gegend.“
 
Die notwendige Party
„Die Bereitschaftspolizei greift von der Autobahnausfahrt aus unsere Autobahnblockade an. Wir rennen einen angrenzenden Hügel hoch, weil wir denken dass auf der anderen Seite eine Straße ist, doch hinter dem Hügel befindet sich die Stadtbahn-Station. Endlich haben wir genug Steine, wir greifen die Polizei von einer Brücke aus an. Einer von den Bullen konnte gut Zielen, denn es landeten einige Tränengasgranaten auf der Brücke. Wir flüchten durch ein Hotel, steigen mehrere Treppen hinunter und sind wieder auf der Straße. Überall werden Schaufenster eingeschlagen. Ein 7-11 Supermarkt wird geplündert. Leute schmeißen mit Steinen auf Polizisten auf Fahrrädern, doch verfehlen sie und treffen die dahinter liegenden Fenster. „Zerstört diesen Scheiß, zerstört diesen Scheiß!“ schreit jemand während wir auf ein beleuchtetes Gebäude der Bank of America treffen. Der ganze Block wird zerstört. Die Polizei scheint nun entschlossener zu sein uns zu zerstreuen und wir werden langsam nervös. Wir haben einige Stunden lang die Stellung gehalten, doch unsere Möglichkeiten um weiterzumachen sind beschränkt.“
 
Am 22. September, drei Tage nach der Ermordung von Keith Scott, fand eine weitere Demonstration in Uptown Charlotte statt. Die Verhafteten vom letzten Abends sind, nach Informationen der Nationalgarde, immer noch hinter Gitter. Der Kongressabgeordnete Robert Pittenger erzählt in den Nachrichten, dass alle Demonstranten weiße Menschen hassen, weil „weiße Menschen erfolgreich sind“. Die Massenmedien verbreiten das Bild von „ethischen Spannungen“, die eigentlich innerhalb der Demonstrationen minim oder größtenteils gar nicht präsent waren. Die Linke hingegen, versuchte auf naive Art und Weise als Vermittlerin zwischen DemonstrantInnen und Polizei zu fungieren, sie stellten die revoltierende Menge als bloße Protestbewegung dar, als Opfer die in erbärmlicher Manie durch einen übermächtigen, militarisierten Feind schikaniert werden.
 
Hunderte Menschen versammelten sich und blockierten die I-277. Die Polizei antwortete mit Tränengas und Gummischrot. Priester, Anwälte, Linke und andere Menschen versuchten mittels physischer Kraft und Einschüchterung die Menge zur Ruhe aufzufordern, sie versuchten die Vermummten, die mit Flaschen die Polizei angriffen oder sie beleidigten, auszuschließen. Konterrevolutionäre, reaktionäre, pazifistische und reformistische Elemente versuchten die Kraft der Revolte einzudämmen, um ihr jegliche revolutionäre Perspektive zu berauben. Dies sollte sich als unmöglich herausstellen.
 
Die experimentelle und kämpferische Kraft die Amerika spaltet und sie vor zunehmender Unsicherheit und Transformation stellt, sollte eine kontinuierliche Dimension annehmen. Es müssen Orte und Zeit gefunden werden, um sich zu treffen und zu diskutieren. Wir brauchen die Kirchen, die Parks, Radiosender, soziale Zentren, Stadtzentren, Geschäfte, besser gesagt, jeden Ort, in dem Leute zusammenfinden können, um die Idiotie der Reformisten und der Polizei zu bekämpfen. Vielleicht hätte eine fiktive Organisation eine Erklärung an die Medien schicken können, in der zu tiefgreifenderen und dreisteren Methoden des Kampfes aufgerufen wird. Vielleicht hätte eine kleine Gruppe, engagierter Leute, Aktionen durchführen können um die Phantasie der Revoltierenden anzuspornen, wie z. B. eine Sabotageaktion gegenüber den Nachrichtensendern, wie in Griechenland während der Revolte von 2008, oder mittels destruktiven „flashmobs“, um die Korrelation der Kräfteverhältnisse für die nächste Wochen neu zu durchmischen.
Ist es wirklich unmöglich sich vorzustellen, das eine Gruppe mit entsprechenden Kenntnissen, eine vorübergehende Aufnahmestation für die Verletzten durch Tränengas, Pfefferspray und Gummischrot, einrichtet? Was für leerstehende Gebäude hätten besetzt werden können und in Begegnungsorte für revolutionäre Inhalte verwandelt werden können? Solche Perspektiven, Kapazitäten und Werkzeuge entstehen nicht über Nacht.

Es ist klar dass sich etwas bewegt, man schaue sich die Blockade der No Dakota Acess Pipeline an, der nationale Gefängnisstreik und die Bewegung und Unruhen angesichts der rassistischen Morde seitens der Polizei. Aus den Unruhen in Ferguson ist eine Kraft ausgegangen, vor allem in diesem Jahr ist diese Kraft wieder zu spüren. Wir müssen die verschiedenen Methoden der Insurrektion intensivieren, dass aufbauen was innerhalb unserer Möglichkeiten liegt und das zerstören was innerhalb unserer Reichweite ist. Wir müssen zusammen leben und kämpfen. Die Macht- und Kontrollstrukturen müssen auf irreversible Art und Weise zerstört werden, ansonsten werden neue Kontrollmechanismen auftauchen, die sicherer und unanfechtbar sind. Die engagiertesten unter uns können sich nicht mit bloßen Unruhen zufrieden geben.

Die Wahrheit revoltiert.
R.I.P. Keith Lamont Scott und Justin Carr
Internationale der Agitatoren
September 2016