„Den Rahmen für ein Bild zu setzen und es zu verbreiten ist eine Praxis der Macht.“ (Philip Rizk, Kairo)
Die Frage nach dem Zustand autonomer Politik in Berlin würde vermutlich überwiegend negativ beantwortet werden. Individuelles Erleben und das Warten auf Resonanz spielen dabei genauso eine Rolle wie leider immer noch die Reaktion der Presse. In den letzten Monaten haben sich Situationen ergeben, die bei genauerem Hinsehen eigentlich nicht das Bild einer zerfallenden autonomen Bewegung bieten, sondern Ausdruck einer Trennung von unterschiedlichen Strömungen sind.
Den Erfolg einer Politik an der vermeintlichen Akzeptanz in der Bevölkerung und damit auch an Medienberichten zu messen ist genauso falsch wie Autonome auf Militanz zu reduzieren. Genau hier setzt die Strategie der PR Abteilung der Berliner Sicherheitsbehörden an; eine gleichgeschaltete Presselandschaft verkündet das Scheitern der Autonomen, wenn es keine Krawalle gibt oder wenn dem Innensenator eine geschickte Spaltung gelingt. Drei Beispiele:
Antirepressionsdemo am 22. März
Mit dem Markieren des Architekturbüros ICL am 26. Januar 2014 begann eine militante Aktionsreihe, die bis heute nicht abgerissen ist. Mit Bezug auf die Demonstration wurde die Bundesdruckerei mit Farbe angegriffen, der Eingangsbereich vom Amtsgericht Lichtenberg angezündet, die CDU in Magdeburg markiert, WISAG in Friedrichshain eingehämmert und eines ihrer Autos in Frankfurt angezündet, die Jobcenter Hellersdorf, Charlottenburg und Lichtenberg angegriffen, SPD und Ordnungsamt in Neukölln eingeworfen, ein Auto von B.I.N.S.S. angezündet und Canon entglast, ein Amt in Dresden eingeworfen, die nigerianische Botschaft markiert, ein GSE-Protect Auto angezündet und eins der Morgenpost umgedreht. Entgegen vergleichbaren Aktionen in der Vergangenheit wurden diese in der Presse nur am Rande erwähnt und nicht skandalisiert oder mit Kritik an angeblichem Versagen der Politik verbunden. Die Presse war deutlich bemüht nicht durch ihre Berichterstattung den AktivistInnen auftrieb zu geben. Auch der spektakuläre Angriff auf die BVG Zentrale war den meisten Zeitungen nur eine Kurzmeldung Wert, obwohl der Sachschaden beträchtlich gewesen sein muss, die nebenbei attackierte Bank im selben Gebäude war noch Wochen später wegen Vandalismusschäden geschlossen.
Die Demo selbst war natürlich ein Desaster, nicht weil sie sich weder in Moabit noch abends in Kreuzberg gegen die Bullen durchsetzen konnte, sondern weil ohne Not vielen Menschen Ohnmachtsgefühle vermittelte wurden. Das lag einerseits an dem legalistischen Anspruch einiger Gruppen aus der Vorbereitung und andererseits an der Unfähigkeit den eigenen Worten Taten folgen zu lassen. Viele meinten es ehrlich, andere betrieben nur Labelpolitik für ihre Gruppe. Eine Demo, die so mobilisiert wird, das mit einem Bulleneinsatz zu rechnen ist, der sich nicht überraschen lässt, sondern eine harte Linie der Bullen erwarten lässt, setzt ein flexibles, dynamisches und eigenverantwortliches Handeln der TeilnehmerInnen voraus. Dieses Handeln zu erreichen war eines der Ziele der vergangenen Polizeikongressdemos und der Carlo Demo 2011. Das passive Konsumieren von Demos wird unter anderem ausgelöst durch „Erwartungs-Brüche“ in Mobilisierungen. Zum Beispiel wenn Menschen öfters zu Aktionen mobilisiert werden, die zwar verbalradikal klingen, aber in Wirklichkeit gar nicht auf eine Eskalation aus sind – wie beim Naziouting von Christian Schmidt am 7. März im Prenzlauer Berg. Warum ein Nazi geoutet wird bevor andere Leute was mit den Infos anfangen können bleibt das Geheimnis der NEA. Die Mobi zu der Kundgebung vor dem Arbeitsplatz von Schmidt wurde zuerst konspirativ betrieben, um dann die Sache doch noch anzumelden.
Genauso fragwürdig wurde auch mit der Adresse von Frank Henkel umgegangen, die erst plakatiert wurde, um sich dann bei einer Demo zu dessen Wohnung den Bullen weitgehend auszuliefern. Wie es anders geht, haben Leute in Hamburg gezeigt.
Die Schwäche der Autonomen bei der Demo am 22. März wurde von der Presse natürlich breit dargestellt und den Bullen bescheinigt, die Lage voll im Griff gehabt zu haben. Tatsächlich war diese Demo eher von linken Gruppen vorbereitet und Autonome haben sich nur teilweise daran beteiligt, ohne eigene Akzente setzen zu können. Sie war ein erneuter Versuch ein angebliches Herz der Bestie zu lokalisieren (Innenministerium in Moabit) und keine Vorbereitung einer unkontrollierbaren Situation.
Räumung des Oranienplatzes am 8. April
Autonome Politik hat beim Camp auf dem O-Platz völlig versagt. Dafür, dass diese Besetzung so lange existierte ist erstaunlich wenig inhaltlich und praktisch über eine Räumung diskutiert worden. Auch die offenen Versammlungen in den Monaten davor haben sich verweigert nach Wegen zu suchen, die einen gemeinsamen Kampf mit Flüchtlingen ermöglichen. Der Berliner Senat, Parteien und Bullen haben rund um die Uhr an einer Spaltung der Flüchtlinge gearbeitet und die Medien als williges Sprachrohr benutzt, um die Nachbarschaft im Kiez aufzuhetzen.
Das viele Flüchtlinge keine anderen Ziele als der Rest der BerlinerInnen hat ist nicht überraschend, schlimm ist nur das in diesem Konflikt wieder das Delegieren an vermeintliche SprecherInnen, auch aus Unterstützerkreisen, akzeptiert wurde. Wegen der Lage auf dem O-Platz kam es zu einigen Aktionen, beginnend mit dem Einwerfen des Grünen Büros in Schöneberg am 10. Februar. Auch die SPD gibt bekannt, dass sie unter den ständigen Angriffen auf ihre Büros leidet. Als das Auto des BZ Journalisten Gunnar Schupelius brennt, gehen auf einmal alle Berliner Tageszeitung auf den Anschlag und das BekennerInnenschreiben ein, auch der SPD Fraktionsvorsitzende äußerte sein Bedenken über das Ausmaß „des linken SA-Terrors“ in Berlin. Das relative Schweigen über alle anderen Aktionen, die in Berlin so gelaufen sind sowie die Drohungen gegen Kurt Wansner, ist wiederum mit der Angst begründet, die Deutungshoheit zu verlieren. Von den Betroffenen antirassistischer Anschläge wird nämlich eine Distanzierung vom Rassismus erwartet, die aus Anklägern schnell Angeklagte macht.
Der 1. Mai
ist nicht ohne die NPD Demo am 26. April zu sehen. Die Mobi gegen die Nazis war schwach, viele glaubten nicht, dass sie wirklich kommen und der Zerfall antifaschistischer Strukturen war deutlich spürbar. Die Bullen taten alles, um den Erfolg der Verhinderung den friedlichen Blockaden zuschreiben zu können. Waren sie in der Vergangenheit gegen diese noch rücksichtslos vorgegangen, hat sich hier ihre Taktik deutlich geändert.
Das dezentrale Konzept rückte auch durch die Berichterstattung der Medien in den Hintergrund, obwohl die Bullen sicher auch deshalb darauf verzichteten durch Räumungen der Blockaden das Aktionsgebiet weiter zu vergrößern. Ihnen war klar, dass eine Situation entstehen kann, bei der sie immer weiter den Gruppen hinterher rennen müssen, die anscheinend seit dem Morgengrauen am Rand Kreuzbergs aktiv waren. Es wurden mehrere Autos und Barrikaden angezündet und ein brennender Container auf die Bahngleise geworfen. Das erstaunliche Fazit von Bullen und Presse danach: friedlicher Protest, obwohl auch etliche Steine flogen. Traurig ist hingegen, dass der eigentlich richtige Schritt der Walpurgisnacht vom Boxhagener Platz nach Wedding von absolut legalistischen Gruppen getragen wird. Ungeachtet der guten inhaltlichen Arbeit von diesem Bündnis ist die Demo in Wedding nie mehr, als Teil eines Bullenmanövers, Kontrollverluste sind nicht vorgesehen.
Die sogenannte „Revolutionäre 1. Mai Demo“ ist inzwischen endgültig Teil des Myfest geworden oder Love Parade Ersatz. Unerklärlich, warum mehr Menschen als je zuvor den immer beliebigeren Aufrufen und unsäglichen Plakaten folgen. Vielleicht weil die 18 Uhr Demo der Ersatz für die Sozialproteste der Vergangenheit von Gewerkschaften ist oder weil es einfach hip ist. Autonome hatten sich aus der Vorbereitung zurück gezogen, als sich immer mehr Personen dort als Vertreter der Linkspartei vorstellten, zusammen mit den üblichen Gruppen, die nur auf dieses Datum hinarbeiten und der DKP eine unerträgliche Situation demonstrieren: wieder mit Anmeldung, wieder ins Herz der Bestie (SPD), wieder für die Revolution mit Parteien. Was seit Jahresbeginn in Berlin auch noch geschah und den legalen Rahmen negierte, fand in den Aufrufen der Revolutionäre keine Beachtung: Autos von Nazis, Sicherheitsfirmen, Vattenfall, DHL, Wall, Ordnungsamt, Botschaften (Kambodscha, Griechenland) und eine Bank wurden angezündet. Auf dem Tempelhofer Feld wurde Bürgerbeteiligung wörtlich genommen und ein Propaganda Container zerstört, Aktionen richteten sich gegen Zwangsräumung und Luxuswohnungen und vieles mehr.
Das Scheitern der 18 Uhr Demo liegt an der Unfähigkeit autonomer, anarchistischer/antiautoritärer oder linksradikaler Gruppen sich durchzusetzen gegen einen Block aus SDAJ, ZK, Arab, IL oder wie sie alle heißen. Strukturen, die irgendwann in eine andere Richtung abgebogen sind, als MitarbeiterInnen von Abgeordneten oder GewerkschafterInnen und auch gar nicht an einer „Revolution“ interessiert sein können.
So überraschte es auch nicht von den Organisatoren wie Michael Prütz im Vorfeld der Demo zu hören, dass „Militanz nicht bedeutet Steine werfend durch die Straßen zu ziehen.“ Und danach vor allem Lob für die Bullen, die seine Demo mit Verdi.Jugend, Jusos und Syriza wie abgesprochen in einen Kessel laufen lies. Michael Prütz ist ein wahrer Totengräber der Revolution, nur kurz auf linksunten gesucht, findet man ihn als Berufssprecher für „Wir zahlen nicht für eure Krise“, wo er 2010 den Angriff auf Bullen verurteilt, für das Griechenland-Solidaritätskommitee 2012 und jetzt als einer der über die TeilnehmerInnen der 18 Uhr Demo richtet.
Der 1. Mai bietet einigen die Möglichkeit sich zu profilieren, vielen eine Gelegenheit Geld zu verdienen oder das radikale Image zu pflegen, wie dem elenden Barrio Antifaschista. Ein Ritual, welches für Autonome nur noch aus soziologischem Interesse eine Bedeutung hat. Und während sich alle über den ruhigen 1. Mai freuen geht es munter weiter, einige Geldtransporter sind verbrannt und ein Auto von Bosch, zwei Bullenparkplätze wurden mit Mollis beworfen und Berliner Zeitungen übernehmen eine Kurzmeldung der Bullen zu einem Angriff auf die brasilianische Botschaft, wobei in Rio schon aus der Erklärung zitiert wird.
Offenbar haben sich in letzter Zeit eine Vielzahl von kleinen und größeren Gruppen gebildet, die zu verschiedenen Themen mit unterschiedlichen Mitteln arbeiten. Theoretisch ist dazu bislang kein wirkliches Fundament gelegt worden, aber Aktionen und Erklärungen nehmen Bezug auf überregionale und internationale Ereignisse. Hier kommt das Zitat vom Anfang ins Spiel, es liegt an den AkteurInnen selbst den Rahmen zu setzen in dem dieses Bild verbreitet wird. Massenmedien und bürgerliche Presse sind zwar als Ausforschungsobjekte über Ziele und Taktiken des Gegners von Bedeutung, können aber keinesfalls Gradmesser für den Zustand einer widerständigen Praxis sein. Wichtig ist auch eine klare Trennung von reformistischen Gruppen und einer Stellvertreterpolitik, die einige Bewegungsmanager versuchen der Szene überzustülpen.