Offener Brief an Leipzigs OB Jung, Bullenchefchen Merbitz, den Stadtrat, die Bullen, den Verfassungschutz, all die Möchtegernexpert_innen, die Staatsanwaltschaft, die Gerichte, die Parteien von rechts bis links
Vor etwas mehr als einer Woche zogen wir auf unsere unverwechselbare und unversöhnliche Art und Weise vom Johannapark Richtung Innenstadt, um dort dann Richtung Bundesverwaltungsgericht abzubiegen. Es war ein kurzer Spaziergang und er war leider viel zu schnell zu ende.
Seitdem ist fast kein Tag vergangen, an dem nicht von euch dazu in der Zeitung zu lesen war. Ihr alle versucht, die Deutungshoheit zu erlangen, über das, was geschehen ist.
Nicht nur für die erfreulichen Geschehnisse vom Freitag, sondern auch in Bezug auf die anderen schönen Tage, an denen wir euch besuchen kamen. Ihr versucht, jede Gelegenheit zu nutzen, euch in ein gutes Licht zu rücken und gleichzeitig uns zu diskreditieren. Helfend zur Seite stehen euch dafür die Medien, die nicht müde werden, jedes noch so jämmerliche Geschwätz von euch abzudrucken oder abzuspielen. Und ihr alle, egal aus welchem politischen Lager ihr kommt, unterstützt euch gegenseitig in der gewohnt ungewöhnlichen Einigkeit: Wir seien keine politischen Menschen, wir seien einfach nur eine Horde krimineller Irrer, denen es um nichts ginge als blinde Zerstörung. Nun gut. Wir sind diesen Titel gewohnt und tragen ihn mit Fassung und Würde.
Und dennoch ist es nötig, ein paar Dinge klar zu stellen. Zuerst einmal: Unser Ziel war nicht das Stadtfest. Ihr könnt sagen und spekulieren, was ihr wollt, es stimmt nicht. Wir hatten nie vor, das Stadtfest zu besuchen. Um ehrlich zu sein, dieses lächerliche Stadtfest war und ist uns vollkommen egal. Es ist eine Fantasie von euch, dass wir unsere Angriffe willkürlich gegen irgendwelche Menschen richten würden, die ihre Abende damit verbringen, sich auf euren öden Feierlichkeiten herum zu treiben, weil diese jämmerliche Stadt für sie nicht mehr zu bieten hat. Es ist ein Wunsch von euch, dass auf der einen Seite wir, und auf der anderen Seite die ganze Stadt stehen würde, die ganze Stadt, repräsentiert durch euer beknacktes Stadtfest. Das hättet ihr gerne so, und deswegen müsst ihr auch so etwas behaupten. Ihr hättet das gerne so, aber es ist nicht so.
Unser Ziel wart ihr. Und nur ihr. Es war nicht das Stadtfest, nicht die amerikanische Botschaft, nicht die Leute in der Stadt oder den Parks. Nur ihr. Getroffen hat es vor allem die Bullen, die sich freiwillig und ohne jede Not in unseren Weg gestellt haben. Getroffen hat es sie dafür, dass sie dachten, es sei eine gute Idee, uns aufhalten zu wollen. Für ein paar von ihnen stellte sich heraus, dass es keine gute Idee war. Und auch wenn ihr in der Öffentlichkeit immer mit dem großen Fragezeichen über dem Kopf auftretet, ihr wisst genau, warum wir zu euch wollen. Ihr wisst selbst um jede Schweinerei, für die ihr die Verantwortung tragt, ihr wisst um jede Entscheidung, die ihr getroffen habt, ihr wisst, warum ihr sie getroffen habt, und ihr wisst, warum wir sie scheiße finden. Ihr wisst, warum wir uns gegen euch richten. Es ist peinlich, wie ihr euch davor verstecken wollt. Ihr stellt euch mit zitternden Knien hinter die Stadtfestbühne und keift, dass die Chaoten das Stadtfest angreifen wollten, dass die Chaoten sich gegen Leipzig, gegen die Leipziger Bürger_innen richten würden. Und wenn man euch fragt, wieso wir das wohl gewollt haben könnten, dann sagt ihr, ihr wüsstet es nicht, und das wir eben verrückte Irre seien, die ohne jeden Grund die Stadt überfallen würden. Ihr könnt das sagen so oft ihr wollt und ihr werdet auch immer jemanden finden, der euren Unsinn glaubt. Aber wir wissen, dass es nicht stimmt. Und ihr wisst es auch.
Die Gewalt beginnt nicht mit uns, sie beginnt bei euch und eurer Politik Ihr werdet ja nicht müde, zu sagen, dass die Gewalt von uns aus gehen würde, dass ohne uns ein friedlicher Zustand herrschen würde. Ihr sagt, dass ihr alles tut, um Gewalt zu verhindern. Doch das stimmt nicht. Es stimmt deshalb nicht, weil die Gewalt schon da ist, bevor wir kommen. Der ganze Zustand in dem wir leben, ist ein Zustand der Gewalt. Richtig ist vielleicht, dass eure Gewalt nicht so offensichtlich ist. Eure Gewalt ist so leise, wie das Einwerfen eines Briefes, der an einen Hartz4 Bezieher geschickt wird, in dem ihm wieder einmal seine Leistungen gekürzt oder ganz verweigert werden. Ihr selbst sagt, Hartz4 sei das Existenzminimum – dann sagt uns auch, wie oft dieses Jahr bereits dieses Existenzminimum unterschritten wurde, wie oft es ganz verweigert wurde. Und sagt uns nicht, das Unterschreiten des Existenzminimums sei keine Gewalt. Eure Gewalt ist so heimlich, wie die Bullen, die früh morgens kommen, um jemanden, der aus welchem Grund auch immer nach hier geflohen ist, abzuholen und abzuschieben. Wie viele Menschen wurden dieses Jahr bereits abgeschoben? Was wisst ihr über das Schicksal dieser Menschen? Was wisst ihr über das Elend derer, die zurück bleiben und sich Sorgen über diejenigen, die ihr verschwinden lasst? Sagt nichts von eurer Gewaltlosigkeit. Eure Gewalt ist so unsichtbar wie das Leben der Eingesperrten hinter den Mauern der Heime und Knäste. Sagt nicht, dass ihr nicht wisst, was wir meinen, niemand von euch würde auch nur eine Nacht im Knast, nur eine Nacht im Flüchtlingsheim verbringen wollen, ihr wisst wieso, wir wissen wieso. Alle wissen, wieso. Eure Gewalt ist so alltäglich, wie das Steigen der Mieten, die es immer schwieriger machen, bezahlbaren und guten Wohnraum zu finden. Ihr unterstützt den Umbau der „schicken“ Stadtviertel, unterstützt die sogenannte Aufwertung, die nichts anderes ist als die Verdrängung der ärmeren Menschen in Gegenden, in denen weder ihr noch sonst jemand leben will. Ihr entwerft die Zukunftsmodelle, wie es hier in 10, 15, 20 Jahren aussehen soll, nicht die Menschen, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden. Eure Gewalt ist so geheim, wie eure Zusammenarbeit mit den Nazis und der Aufbau ihrer Strukturen. Wie viele Bullen von euch sind mit Nazis befreundet, oder sind selber Nazis? Welche Verbindungen hat der Verfassungsschutz in die militante Neonaziszene? Wie viel Geld geht über eure V-Mannstruktur dorthin? Unsere Gewalt ist grob, sie ist laut, sie kommt mit Feuer und Rauch, mit Krawall und Zerstörung. Unsere Gewalt ist nicht leise, heimlich, unsichtbar. Wir ziehen an die Oberfläche, was ihr verstecken wollt, hinter Feierlichkeiten und Einkaufmeilen, hinter eurem liberalen Geschwätz und zur Schau getragener Offenheit für alternative Lebensformen. Die Gewalt, die mit uns kommt, es ist eure Gewalt. Wir bringen sie dorthin zurück, wo sie herkommt. Zu euch. Sie richtet sich gegen euch. Sie richtet sich nicht gegen denjenigen, die von den Bullen verprügelt werden, sie richtet sich gegen die Bullen. Sie richtet sich nicht gegen diejenigen, die abgeschoben werden, sie richtet sich gegen die, die abschieben. Sie richtet sich nicht gegen die Ausgebeuteten und Verdrängten, sondern gegen die Ausbeuter und Verdränger, gegen euch und eure Strukturen, gegen die Gerichte, die Bullen, die Staatsanwaltschaft, die Behörden.
Wir waren am Freitag nicht viele. Wir hätten uns gefreut, wenn wir mehr gewesen wären. Aber wir waren entschlossen, euch trotz aller Gefahr und aller Risiken zu zeigen, dass wir euren falschen Frieden nicht gefressen haben. Dass wir nicht blind sind und uns von euch nicht blenden lassen, angesichts des Elends in aller Welt und der Art und Weise, wie es sich in Leipzig nieder schlägt. Ihr könnt 100 Mal sagen, dass wir nur ein isolierter kleiner Haufen sind, hinter dem niemand steht und den alle nur scheiße finden. Ihr könnt es 1000 Mal sagen. Aber ihr wisst es nicht. In euren endlosen Wiederholungen offenbart ihr vielmehr nur euren Wunsch, dass es so ist.
Wir jedenfalls können euch versichern: Wir waren nicht alle. Und wir hoffen, dass wir beim nächsten Mal mehr sein werden. Wir hoffen, dass jene, die den Weg noch nicht zu uns gefunden haben, ihn finden werden und an unserer Seite stehen, wenn wir euch wieder einmal besuchen kommen. Haltet den Blick immer auf die Dunkelheit gerichtet.
Der Aufstand wird kommen.