Nach intensiver Recherche ist es unserem Reporterteam endlich gelungen mit zwei ChaotInnen zu sprechen, die am 12./13. Dezember an der RTS in Zürich teilgenommen haben. Dazu haben wir Laura und Enno an einem subversiven Ort zum sonntäglichen Frühstück getroffen. Dieses Gespräch wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten!
Hallo Laura, hallo Enno, ihr seid also zwei von den unzähligen Chaoten, die am Freitag durch Zürich zogen?
Enno: „Das könnte man vielleicht so sagen. Wir können und wollen jedoch nicht für andere Leute sprechen, denn soweit wir das mitbekommen haben, handelte es sich um einen Anlass mit heterogenen Aktionsfeldern. Einige Leute waren am tanzen, viele am trinken, es gab tolle Soundwägen, manche verschönerten die Wände und wieder andere sorgten dafür, dass der Umzug ungestört durch Zürich laufen konnte. Und das ist alles auch richtig so!“
Laura: „Was wir jedoch können, sind einige Dinger aus der subjektiven Sicht von zwei Menschen, die am Freitagabend vor Ort waren, darzustellen, über welche bisher nicht gesprochen wurde und ein wenig darüber zu diskutieren, wieso wir diese Stadt nach diesem Abend wieder ein wenig farbiger und kreativ in Erinnerung haben.“
Farbiger und kreativer?
Laura: „Nun ja, bis vor kurzem stand beispielsweise die Europaallee noch als äusserst grauer Beton- und Glasklotz im Herzen von Zürich und nun schien mir, als ich letzthin wieder einmal daran vorbei gelaufen bin, dass dieser äusserlich ein wenig mehr dem entspricht, wie ich mir diesen Ort eigentlich vorstelle.“
Enno: „Richtig, die Europaalle wurde ja am Freitagabend auf vielfältige Weise angegriffen und noch heute sind die Spuren davon auf dem Gebäudemassiv ersichtlich. Und gerade diese Spuren sind es, die uns so gefallen, denn nun sind die verschiedenen dazugehörigen Gebäude bis auf weiteres als Ort der Aufwertung markiert. Während sich diese äusserst aggressiv ihren Weg in unser Quartier bahnt, müssen Menschen aufgrund der darauf folgenden steigenden Mieten ihre Wohnungen verlassen. Andere werden von ihren Plätzen vertrieben, weil sie dort nicht mehr ins Stadtbild und ihr propagiertes investorenfreundliches Klima passen.“
Laura: „Es ist dies eine Aufwertung, die in Zürich vor nichts Halt macht. Die Europaalle ist dabei auch längst auch nicht der einzige Ort, der aufzeigt, in welchen Interessen in dieser Stadt gebaut und geplant wird. Auf der einen Seite entstehen neue Luxuswohnungen und Konsumstätten auf der anderen Seite werden ärmere Anwohner verdrängt und vertrieben.“
Enno: „Eine Verdrängung, die sich ja auch als äusserst gewalttätig zeigt. Und hier zeigt sich einmal mehr, mit wieviel Doppelmoral der bürgerliche Gewaltbegriff arbeitet. Während die staatliche Gewalt stets gut ist, darf es gemäss dem heutigen System die Antwort hierauf niemals sein. Nur ist ein solcher Begriff von Gewalt vollkommen absurd. Wer seine Miete nicht mehr bezahlen kann und aus seiner Wohnung geschmissen wird, der kann ja mal versuchen, wie es die bürgerlichen Medien aktuell mit unseren Aktionsformen tun, zu schreien, dass dies aber gewalttätig sei und man bitte mit dem Rauswurf stoppen solle. Dem Staat wird das reichlich egal sein und ihn weiter aus seiner Wohnung verdrängen.“
Dann habt ihr euch also gegen einen solchen Staat zu Wehr gesetzt?
Laura: „Der bürgerliche Staat und seine Repressionsorgane sind gewalttätig, ja. Aber das bedeutet längst nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss und sich nicht auch dagegen organisieren und sich wehren könnte. Das hat ja der vergangene Freitag ebenfalls gezeigt. Denn ganz vergessen geht oftmals, dass die Polizei ja versuchte den Demoumzug am Bahnhof Wiedikon zu stoppen aber an der massiven Gegenwehr der UmzugsteilnehmerInnen scheiterte. Wäre an dieser Stelle nicht reagiert worden, so hätte der Umzug schon hier stoppen müssen. Oder um mit den beliebten Worten aus so mancher Zeitung zu sprechen: So ist es einzig dem beherzten Eingriff einiger TeilnehmerInnen zu verdanken, dass die Tanzenden, Sprayenden und sonstige Aktivitäten ausführenden Menschen weiterhin fröhlich durch Zürich ziehen konnten.“
Enno: „Wir haben auch nicht vergessen, wie die Schweizer Repressionsmachinerie in den vergangenen Jahren aufgetreten ist, Demos verhindert hat oder Freunde von uns angegriffen hat. Tja und am Freitag sah es halt einmal umgekehrt aus, dass hierbei auch eine gehörige Portion Wut mit im Spiel war, ist hierbei auch nicht weiter verwunderlich.“
Laura: „Selbstverständlich. Und trotzdem darf man auch mal sagen, dass es ein Erfolg war, wie wir uns selbstbestimmt die Strasse genommen haben und der Umzug ebenso selbstbestimmt wieder aufgelöst wurde. Grosses Kino ist natürlich wie nun die Polizei das ganze nun als Erfolg verbuchen will. Vielleicht sollten sie nochmals ihren eigenen Einsatzrapport durchlesen aber wenn wir uns nicht täuschen, hatte die Polizei den Umzug weder nach 45 Minuten, noch nach zwei Stunden unter Kontrolle. Ja getraute sie sich nach den erfolgreichen Angriffen beim Bahnhof Wiedikon nicht einmal mehr in die Nähe des Umzugs.“
Dann wart ihr also gegen die Polizei und gegen die Aufwertung auf der Strasse?
Laura: „Nochmals wir können nicht für andere TeilnehmerInnen sprechen, doch glauben ich, dass wir genau das getan haben, was wir wollten, nämlich uns die Strasse zurückerobern. Die Aufwertung und die Repression sind dabei sicherlich zwei wichtige Themenfelder aber längst nicht die einzigen, mit welchen wir uns in unserem Alltag beschäftigen und mit welchen man sich die Strasse zurück erobern sollte.“
Enno: „Und gerade bezüglich der Aufwertung konnten ja auch wichtige Zeichen gesetzt werden. Eben beispielsweise bei der Europaallee. Oder man kann auch einmal erwähnen, dass eines dieser ominösen Restaurants, welche angegriffen wurde und von dem ständig die Rede ist, jedoch niemand den Namen nennen möchte, das Hooters war. Nicht gerade ein Ort, der für seine progressive Geschäftspraxis bekannt ist.“
Dabei gab es aber auch sehr militante Angriffe?
Laura: „Ja natürlich. Aber wenn ich mit meinen Freunden an einem solchen Umzug teilnehme und wenn wir dabei gemeinsam die Polizei verjagen, dann frage ich nicht zuerst bei den bürgerlichen Medien und Kommentarschreibern nach, ob sie dies auch für moralisch vertretbar halten. Ich glaube, dass der Repression, der Aufwertung und anderen schrecklichen Dingen unserer Gegenwart etwas entgegengesetzt werden muss und zwar mittels verschiedenen Aktionsformen und auf verschiedenen Ebenen.“
Enno: „Ich richte mich nach dem Prinzip der Legitimität und nicht nach der Legalität. Und es ist beispielsweise äusserst legitim die Akteure der Aufwertung anzugreifen, sei dies bei der Europaalle oder bei den Architekturbüros, die dahinter stehen. Ob das unseren spiessigen Zeitgenossen nun in den Kram passt oder nicht, ist mir dann relativ egal. Das soll aber nicht heissen, dass man nicht auch kollektiv darüber sprechen sollte, wer denn diese Akteure genau sind und wer eher nicht.“
Laura: „Das sehe ich ähnlich. Auch über die Vermittelbarkeit von Angriffen auf gewisse Ziele könnte man sicherlich noch einmal reden, ebenso über den Umgang untereinander oder die Frage, wie den verschiedenen Inhalten an einem solchen Ort mehr Raum geboten werden könnte. Das sind aber Diskussionen, die wir unter uns Teilnehmenden führen müssen und sicherlich nicht über die bürgerlichen Medien.“
Wart ihr trotzdem überrascht von den Reaktionen der Medien im Nachhinein?
Enno: „Überrascht ist vielleicht der falsche Begriff hierfür, doch wundert es mich doch stets von neuem, mit welchen Bandagen die bürgerliche Presse zum Angriff ausholt, sobald sie ihr geliebtes Eigentum in Gefahr sieht.“
Laura: „Absolut! Vom Faschismus Vergleich des Tagi Kolumnisten, hin zur Subkulturanalyse des FDP Exponenten Marc Bourgeoise ist so ziemlich jeder Blödsinn behauptet worden, den man sich so vorstellen kann. Die NZZ muss gar den selbst ernannten Extremismus-Experten Eckhard Jesse zitieren, um zu belegen, dass Rechts und Links eigentlich gleich seien. Derjenige Jesse, der nebenbei auch findet, dass Rechtsextremismus mehr „Phantom als Realität“ und die Berichterstattung darüber einzig der „vielfach privilegierten jüdischen Position“ geschuldet sei.“
Enno: „Und genau da kehrt es bei mir dann wieder und ich muss an manchen Stellen nur noch lachen. Wenn ich mir so denke, welche selbst ernannten Experten und Insider sich in den letzten Wochen zu Wort gemeldet und versucht haben die Ereignisse zu deuten, statt sich einfach mal die banale Überlegung anzustellen, wieso Menschen Banken und Aufwertungsobjekte angreifen und was diese zu verantworten haben, dann merke ich doch, dass all diejenigen Leute, die am Freitagabend auf der Strasse waren, mir einiges mehr zu sagen haben, als die gesamte bürgerliche Presse.“
Es war also nicht das letzte Mal, dass wir euch auf den Strassen von Zürich angetroffen haben werden?
Enno: „Nein, wohl nicht.“
Laura: „Mit Sicherheit nicht! Und vielleicht können wir euch noch einige Worte zum Abschluss mitgeben. Informiert euch rechtzeitig über die Vorgehensweise der Repressionsorgane und mögliche Folgen des Abends. Passt auf euch und eure Freunde auf und vergesst niemals: Anna und Arthur halten das Maul. Oder um zeitgenössisch zu bleiben: vor den Cops und den Richtern: Psssst!“