Bei den meisten Auseinandersetzungen in Metropolen spielen strategische und taktische Erwägungen kaum eine Rolle. Fast immer enstehen Konfrontationen mit staatlichen Sicherheitskräften spontan und ein strategisch/taktischer Umgang damit würde eine Kontinuität voraussetzen, die subversive, autonome/antiautoritäre oder andere widerständige Gruppen nicht besitzen.
Wenn wir vereinfacht unter Strategie ein Ziel verstehen, welches wir erreichen wollen und mit Taktik den Weg dorthin, lohnt sich ein Blick auf Mittel, die zurzeit Verwendung finden.
Leipzig – Massenmilitanz 26/09/2015
Zunächst wollen wir mitteilen, dass wir uns sehr darüber freuen das es in letzter Zeit vermehrt zu massenmilitanten Aktionen in Leipzig kommt. So blicken wir auch erfreut auf den gestrigen Tag zurück, an dem es zu mehreren erfolgreichen Angriffen auf Nazis und Bullen kam.
Damit sich dies weiter fortsetzen kann ist es wichtig auf einige Selbstschutzmaßnahmen zu achten, deshalb informieren wir über die möglichen Maßnahmen der Bullen (nicht um abzuschrecken, sondern um vorbereitet zu sein). hier klicken zum weiterlesen…
Bullenfreie Zonen
Karren, Knarren, Autonomie
Zu den Feinheiten der jüngsten Revolte in Ferguson, MO
Das Folgende ist das Transkript einer Unterhaltung zwischen zwei Freund_innen kurz nach dem Aufstand in Ferguson, Missouri. (+++) war dort und (***) war nicht dort, aber wir beide haben in den letzten Jahren an Erhebungen gegen Bullen an der Westküste und im Mittleren Westen teilgenommen. Wir veröffentlichen dies im Bemühen, die Komplexitäten jüngster Ereignisse in den Vereinigten Staaten zu untersuchen, aber auch, um etwas zu den fortlaufenden Diskussionen und Attacken gegen die bestehende Ordnung überall beizutragen.
*** Eines der interessantesten Experimente von Rebell_innen in der Bay Area in den letzten Jahren war es, im Herbst 2011 die Oscar Grant Plaza (das Zuhause von Occupy Oakland auch bekannt als die Oakland Commune) als bullenfreie Zone zu etablieren. Die Logistik dieses Experimentes war tatsächlich ziemlich einfach: immer wenn die Bullen versuchten, das Camp zu betreten, versammelte sich eine Menge um sie und zwang sie abzuhauen. Manchmal bedeutete das, zu schreien, während es andere Male lediglich bedeutete, die Bullen wissen zu lassen, dass sie einen Riot an der Backe haben würden, wenn sie eindringen würden. Die Leute auf dem Camp ergriffen verschiedene Maßnahmen, um sich selbst gegen die Präsenz der Bullen zu verteidigen. Grundlegend horteten die Bewohner_innen der Kommune Materialien um Barrikaden zu bauen und Geschosse, um diese gegen jegliche unerwünschte Bullenpräsenz einzusetzen. Sie eigneten sich Bullenbarrikaden für ihre eigenen Zwecke an und bauten eigene Barrikaden. Sie rissen die Pflastersteine aus dem Platz um sie auf Bullenangreifer_innen zu werfen. Kulturell reproduzierte sich die bullenfreie Umgebung selbst, indem sie Feindseligkeit gegenüber den Bullen förderte sowie eine Kultur eines straßenbasierten Widerstandes gegen sie. Als das Camp unter der Belagerung fiel, wurden die Bullen und ihre Wachen Opfer einer chaotischen Welle der Vergeltung. Da Demos und Riots gegen die Bullen frühzeitig ihre Grenzen erreichen, fragen wir uns immer wieder, wie diese Aufhebung der Ordnung länger als wenige Tage erhalten werden kann. Eine Möglichkeit ist, dass die Kultivierung bullenfreier Zonen eine Antwort auf dieses Dilemma liefern könnte. Wenn die Beteiligten der Oakland Commune dadurch, eine bullenfreie Zone zu erhalten, einen Beitrag geleistet haben für die Kämpfe aller, die daran arbeiten, Gebiete gegen die Bullen zu erschaffen – um ihr Zuhause, ihre Wohngegenden und Städte gänzlich feindlich gegenüber der Besetzung durch die Bullen zu machen – könnte argumentiert werden, dass der jüngste Aufstand in Ferguson weit über dieses Experiment hinausging. Es scheint als wäre die Revolte in Ferguson beispiellos in den vergangenen Jahren, nicht nur im Leben vieler Personen und was die Dauer angeht, sondern auch bezüglich der Intensität dessen, was passierte. Es scheint auch so, ähnlich wie zu der Situation in Oakland, waren die Leute in Ferguson in der Lage, auf viel kämpferischere Art als es zuvor getan wurde, Raum einzunehmen und eine bullenfreie Zone zu kreieren.
+++ Ich würde bis zu einem bestimmten Grad zustimmen. Ich denke es wurden Schritte gemacht, einen befreiten Raum oder eine autonome Zone zu kreieren. Allgemein denke ich, ist ein Riot eine Situation, in der ein Raum geöffnet wird, der frei von Bullen oder staatlichen Gesetzen ist. Also wurden jede Nacht, in der es Riots gab, diese temporären gesetzlosen und bullenfreien Zonen geöffnet. Was den Unterschied zu anderen Riots ausmachte, ist, wie lange diese andauerten. Und auch wie nach drei Tagen Riots die Leute die niedergebrannte QT als Zentrum der Aktivitäten des Aufstandes zurückgewannen. Ich denke die Bedeutung der QT war, dass sie die Autonomie und die Gesetzlosigkeit der nächtlichen Riots in den Tag ausweitete. Es wäre unehrlich zu sagen, die Gesetzlosigkeit und die Stimmung gegen die Bullen während der Riots wurden komplett auf die QT übertragen. Es gab Zeiten, zu denen hochrangige Bullenoffiziere auf den Parkplatz kamen, um Statements gegenüber der Presse zu geben. Aber es kreierte zumindest eine Umgebung, die ihnen gegenüber unglaublich feindlich gesinnt war, und für gewöhnlich wurde jeder Streifenwagen und jeder niedrigrangige Bulle, die in Sicht kamen, angegriffen oder durch Schreien aus dem Gebiet vertrieben. Es war für die Bullen und für die Rebell_innen offensichtlich, dass die QT unser Raum war, nicht der Raum der Bullen oder Kapitalist_innen.
*** Es scheint so als wäre es für die Leute, die nicht da waren, einfacher, die spektakulären Dinge zu sehen – die Plünderungen, die Brandstiftungen, die Molotov Cocktails – aber leider sind die Anstrengungen, einen Raum frei von Bullen zu kreieren, schwerer aus der Ferne zu sehen. Es scheint offensichtlich, dass dies wirklich zentral war für die Heftigkeit dessen, was passierte. Wie fühlte es sich an, bei der QT zu sein? Wie war dieser Raum? Und was waren einige der spezifischeren Arten, auf die Leute die Bullen daran hinderten, dorthin zu kommen oder in andere Gegenden, die abgesteckt worden waren?
+++ Nun, die meiste Zeit über war die QT dieser unglaublich festliche und freudenvolle Ort tagsüber, an dem Leute Graffiti machten, mit riesigen Barbecues auffuhren und Hunderte von Hot Dogs verteilten; alle brachten Wasser, um es miteinander zu teilen, nichts kostete etwas, alles war umsonst. Sie wurde auch zum eigenartigen Kulturzentrum. Da gab es Rapper_innen, Leute die breakdancten, eine Teenager-Step-Crew. Zeitweise herrschte eine freudige Straßenfest-Atmosphäre. Zur selben Zeit teilten Leute Vermummungen für die Nacht aus und erzählten Geschichten der vorherigen Nächte. Einmal hing ich mit einem Mann ab, der Photos von all den Schuhen, die er in der Nacht zuvor geplündert hatte, zeigte und wir tauschten Geschichten aus. Die Leute redeten darüber, was zu tun sein, wenn sie von dieser Seite Gas schießen würden, was zu tun sei, wenn sie von jener Seite kämen. Während also diese festliche und feierliche Stimmung herrschte, war hier klarerweise ebenso ein Raum, in dem die Leute Strategien entwickelten, sich unterhielten und miteinander verbanden. Da es der zentrale Treffpunkt war, kamst du jeden Tag hierher zurück und fingst an, Leute zu sehen und Gesichter wiederzuerkennen; vielleicht hattest du vergangene Nacht mit einer oder einem geredet oder dich mit ihnen an etwas beteiligt und nun konntest du sie wieder treffen und reden; du fingst an, Beziehungen zu knüpfen und Ideen zu teilen. Das war wirklich aufregend. Gegen Abend drängten die Bullen schließlich Richtung QT, aber die QT selbst war über eine halbe Meile von dort entfernt, wo die meisten Konflikte stattfanden, also waren sie oft erst nach Stunden von Straßenkämpfen in der Lage, sie zu erreichen. Sie brauchten so lange, weil sie große Angst davor hatten, in die Menge zu gehen, besonders tagsüber, wenn Tausende Menschen drumherum waren. Die Gegend von St. Louis hat eine Geschichte von Bullen, die angeschossen werden und die Bullen sind sich dessen sehr bewusst. Die Bullen wissen, dass die Leute bewaffnet und gewillt zu schießen sind. Von Beginn des Aufstandes an, machten dies die Rebell_innen sehr deutlich: eins der ersten Dinge die passierten, nachdem sie Mike Brown getötet hatten, war, dass Schüsse in die Luft gefeuert wurden. Und dann am Sonntag, die erste Riot-Nacht, während der Plünderungen, feuerten Leute erneut Schüsse ab. Ich kann mich an eine bestimmte Situation erinnern, in der die Bullen versuchten, reinzukommen, und die Leute eine Linie bildeten, um sie zurückzuschlagen. Als die Pattsituation endete, befeuerten die Bullen die Menge feige mit Gas und hauten ab. Augenblicklich wurde auf dieser ganzen Meilenstrecke hinauf und hinunter die Straße auf die Bullen geschossen. Du konntest überall Schüsse hören und Leute aus Autos springen und schießen sehen; auf sie schießen, grob in ihre Richtung. Die Leute lernten, dass es nicht einmal nötig war, auf sie zu schießen, sondern, dass unbestimmt in ihre Richtung zu schießen oder sie wissen zu lassen, dass du bewaffnet warst, ausreichte, um die Bullen zurückzuhalten. Die Knarren hielten sie uns also vom Leib. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so ein krasses Level an bewaffneter Aktion in einem Riot oder einer Demonstration oder wie auch immer du das, was dort oben abging, nennen magst, gesehen habe. Zweitens, eine andere Sache, die ich nie zuvor gesehen habe, die spezifisch für diese Situation war, war die Auto Kultur und wie Karren auf verschiedene Arten benutzt wurden, um die Bullen zu verwirren, zu blockieren und auch um sie einfach lahmzulegen. West Florissant, die Hauptstraße, in der all die Riots, Plünderungen und Kämpfe stattfanden, ist ein vierspuriger Highway. Oben und unten am Streifen benutzten die Leute ihn als Platz zum Cruisen mit unzähligen Autos die vollgestopft waren mit Leuten, aus denen Musik dröhnte, auf deren Dächern ein halbes Dutzend Kids saßen, die hupten, während alle brüllten. Dies schuf eine Situation, in der es für die Bullen unmöglich war, in die Menge zu fahren, die Karren waren so voll und dichtgedrängt. Auch der allgemeine Lärm kam zum Irrsinn der Situation hinzu, sodass es völliger Quatsch war, dort draußen zu sein. Es war eine absolut unkontrollierbare Situation, und sie hatten keinerlei Idee, was zu tun sei. Wenn sie zu Fuß reinkämen, würden sie angegriffen werden; wenn sie mit Autos kämen, würden diese stecken bleiben und angegriffen werden. Auch wurden viele der Knarren in den Autos der Leute aufbewahrt, also waren diese mobil und bewaffnet. Manchmal waren Autos auch Waffen. Eines nachts durchbrachen Autos sogar Bullensperren. Die Leute benutzten die Karren als Barrikaden; alle fuhren mit ihren Autos quer über die Straße, parkten sie und bildeten Linien hinter ihnen. Ich erinnere mich an einen Moment, als zwei junge Mädchen ihre Autos Motorhaube an Motorhaube parkten und damit alle vier Verkehrsspuren blockierten, während auf der anderen Seite der Autos, auf die Bullen gerichtet, alle Knarren hatten. Die Autos wurden als Barrikaden verwendet, von denen aus geschossen werden konnte, als Mittel, um mobil zu bleiben, als feierliche Paradefahrzeuge, und allgemein als Mittel, um die Bullen zu verwirren und einzuschüchtern. Ich denke wirklich, dass diese beiden für Ferguson spezifischen Dinge, die Knarren Kultur und die Karren Kultur, dabei halfen, diese autonome bullenfreie Zone herzustellen und zu erhalten. Nicht zu vergessen, die Tatsache, dass Tausende von Leuten sich beteiligten.
*** Aus einigen Erzählungen habe ich den Eindruck, dass es nicht nur die QT war, bei der die Bullen Angst hatten, einzudringen. Ich habe gehört, dass sie meistens ihre Aktivität auf West Florissant begrenzten und dass es bestimmte Straßen und Gegenden gab, in die sie keinen Fuß setzten.
+++ Das stimmt definitiv. Insbesondere die Gegend, in der Mike Brown lebte, Canfield Apartments, die Canfield Ave runter. Die Bullen fuhren diese Straße nicht entlang. Die Leute kapierten das schnell, aber setzten das auch durch. Wenn die Nacht also voranschritt und die Bullen die Leute vom Hauptstreifen runterzwangen, fielen die Leute einen oder einen halben Block zurück und das war oft dort, von wo aus Leute auf die Bullen schossen. Sie fuhren den Streifen runter und wurden aus den Seitenstraßen beschossen. Jedesmal, wenn ein Bulle in die Seitenstraßen kam, fielen die Leute weiter in die Wohngegenden zurück. Wenn ein Bulle versuchte, weiter zu folgen, wurde auf sie gefeuert, aus dem Gebüsch, aus Häusern, aus Karren. Die Leute verbrannten Müll auf der Straße, so dass sie nicht reinkommen konnten. Und dies war eine sich wiederholende Sache, Nacht um Nacht kämpften die Leute in West Florissant bis sie die überwältigende Bullenpräsenz (Tränengas und Gummigeschosse eingeschlossen) von der Hauptstraße drängte. Entweder kämpften sie dann weiter, um die Bullen aus der Gegend fernzuhalten oder sie warteten, bis sich der Gasnebel gelegt hatte, um wieder auf der Straße zu kämpfen.
*** Beim Zurückdenken an das Oakland Commune Camp ist offensichtlich, dass es entscheidend für diesen Kampf war, einen Raum zu schaffen, in den die Bullen nicht eindringen konnten. Aber was ich speziell wundervoll fand war, dass er mehr war als eine Verteidigungszone; dass er zu einer Art Basis wurde, von der aus andere Attacken gestartet werden konnten. Zu mehreren Anlässen starteten Demos vom Camp aus; weil Medienkameras nicht erlaubt waren, war es relativ sicher für die Leute, dort ihre Kleidung zu wechseln und sich zu vermummen. In wahrscheinlich einem Dutzend Fällen in den ersten Wochen des Camps, wurden naheliegende Bullenwachen und Fahrzeuge kaputt gemacht. Denkst du, dass der Raum, der in Ferguson, bei der QT und anderswo, gestaltet wurde, dabei half, offensive Manöver zu verbreiten, darüber hinaus, dass es ein Raum war, um sich zu treffen und zu verteidigen?
+++ Ich denke, es gab Teile von beidem. Es gab Punkte in Nächten, in denen Leute da waren und sich organisierten, um irgendwo weiter weg plündern zu gehen. Und vielleicht hätten Leute auch die Initiative ergriffen, das zu tun, auch wenn sie nicht in Ferguson an dieser Stelle gewesen wären, aber ich glaube wirklich, dass das Zusammensein von allen dort den Leuten erlaubte, anzufangen, kollektiv zu handeln. Wir waren dort draußen in einer Nacht und Leute begannen zu skandieren „Walmart! Walmart!“ und alle rannten los zu ihren Karren, ließen die Reifen durchdrehen und rasten mit heulenden Motoren los. Walmart war vier Meilen entfernt von dort, wo die Riots stattfanden, und ich glaube nicht, dass das passiert wäre, ohne den Kontext eines Platzes, an dem die Leute diskutieren konnten „Oh, wir sollten losziehen, um Walmart zu plündern!“ und sich sicher und wohl genug fühlen konnten um das zu tun. In mancher Hinsicht ermöglichte das diese Art von Verbreitung. Aber in anderer Hinsicht denke ich, dass es das nicht tat, weil die Leute so an
diesen Ort gebunden waren, den sie befreit hatten (und es fühlte sich wirklich an wie ein Freiraum), dass sie sich nicht vorstellen konnten, zu expandieren oder zu gehen. Die Leute waren so fokussiert auf die QT und Canfield und West Florissant, dass es schwer war, sich vorzustellen, dass sich die Riots irgendwo anders ausbreiten würden. Dieser Raum war so wichtig geworden für die Leute, dass sie bereit waren, viel dafür zu tun, um ihn zu verteidigen. Bis zu einem gewissen Grad wurde er als Raum genutzt, um Angriffe oder Enteignungen in anderen Teilen der Stadt zu planen, aber die Rebellion breitete sich nie wirklich weit über dieses zentrale Gebiet hinaus aus.
*** Es ist inspirierend, dich über einen Teil Fergusons als Freiraum reden zu hören, denn das ist die gleiche Art, in der viele von uns über das Oakland Commune Camp dachten. Das erste, was passierte, nachdem wir den Platz eingenommen hatten, war, ihn in Oscar Grant Plaza umzubenennen, und damit war es beinah so, als wäre der Raum verzaubert worden. Die Dinge fühlten sich anders an, wenn du auf dem Platz warst. Viele Leute redeten davon, dass sich die Zeit anders anfühlte, wenn sie an diesem Ort waren; die Belange und der Druck ihrer Beziehungen und ihrer Jobs und all der Dinge, die für gewöhnlich auf ihnen lasteten, schienen dahin zu schmelzen, wenn die Leute das Camp betraten. Ich denke, dass sich in diesem Raum mehr Dinge möglich anfühlten und für mich war das etwas, dass ich nirgendwo sonst erlebt hatte – diese immense Öffnung für Möglichkeiten und die Fähigkeit, mit Leuten auf eine Art und Weise zu reden, die sich zuvor unmöglich anfühlte. Es fühlt sich wie eine komplett andere Welt an, so weit weg von einem Leben der Arbeit und Verantwortungen und Demütigungen. Auf eine Art ist es vielleicht das, was beim Erschaffen von Räumen wie diesem auf dem Spiel steht: magische Orte zu erschaffen, an denen wir neue Dinge über uns selbst herausfinden können.
+++ Definitiv. Auf viele Arten fühlte es sich ähnlich an. Eine der kleinen Rollen, die Anarchist_innen hatten, war es, auf eine Änderung des Namens der QT zu drängen; Leute begannen sie Mike Brown Plaza zu nennen, in einer Art Erinnerung an die Besetzungsbewegung. Es war ein klares Wissen, dass uns nicht das Recht gegeben worden war, uns zu versammeln oder zu protestieren oder was auch immer. Alle wussten, dass wir nur tun konnten, was wir taten, weil wir es uns genommen hatten. Und aufgrund dieses Wissens, dass wir den Bullen, dem Bürgermeister und dem Gouverneur die Macht genommen hatten, wurde dieser Ort unglaublich wichtig für die Leute. Also ja, eine ähnliche Sache passierte. Zeit machte dort keinen Sinn. Irgendwie warst du dort und plötzlich waren acht Stunden verschwunden. Ich erinnere mich an eine Nacht, in der wir alle rumhingen, es war viel geplünder worden, der Schnapsladen brannte und wir saßen alle nur herum, schauten zu, wie er brannte, und dieser Mann sagte „Fuck, wieviel Uhr ist!? Ich muss morgen arbeiten gehen.“ Unsere Freundin lachte, weil sie auch morgens zur Arbeit musste und sie fragte, „Willst du es wirklich wissen?“ und er antwortete „Nein, scheißegal; Zeit ist egal. Scheiß auf Arbeit, Arbeit ist egal.“ und er machte einfach weiter Party. Ja, die Dinge veränderten sich echt, und wie du gesagt hast, änderte sich wirklich die Fähigkeit, mit Leuten zu reden. St. Louis ist ein unglaublich ausgrenzender Ort, von rassistischen Spannungen durchdrungen, aber dort oben ließ die Spannung nach. Die Leute konnten sehen, wer da war. Die Leute konnten sehen, oh, du bist hier, ich bin auch hier, das ist etwas, dass wir teilen und wodurch wir uns verbinden können. Das war besonders wahr zwischen den Militanten des Aufstandes. Zwischen den Leuten, die kämpften, entwickelte sich ein gegenseitiger Respekt. Dadurch wurde es viel einfacher, mit Leuten zu reden. Diese Identitäten, diese Beschränkungen, die die Gesellschaft uns auferlegt, um uns voneinander zu trennen und zu isloieren, begannen dahin zu schwinden, wenn auch für die kürzesten Momente. Offensichtlich gab es nach wie vor sehr starke Dynamiken die mit Race und Gender zusammenhingen oder mit den wahrgenommenen Hintergründen oder Motivationen von Leuten, aber irgendwie begannen sie sich aufzulösen.
*** Wenn ich nochmal an die Oakland Commune zurückdenke und daran, wie wichtig das Camp dabei war, diese Arten von Möglichkeiten und Beziehungen zu erschaffen, wird offensichtlich, dass die Kehrseite natürlich ist, dass soviel zu verschwinden schien, nachdem das Camp geräumt und uns weggenommen worden war. Als die Bullen einmal eine völlig militarisierte Besetzung des Ortes durchgesetzt und es unmöglich gemacht hatten, ihn zurückzugewinnen, fühlte es sich wirklich an, wie der Anfang vom Ende. Von nun an fühlte es sich an, als wäre jeglicher Versuch, ähnliche Räume zu schaffen oder den Schwung zu behalten, völlig zerstört. Deshalb frage ich mich, wie die letztendliche Abzäunung und Wieder-Besetzung (durch die Bullen) der QT das beeinflusste, was bei den Riots abging, wenn dem überhaupt so war.
+++ Ich meine es könnte Zufall sein, aber es fühlte sich wirklich so an, dass auf den Tag, an dem sie die QT umzäunten (zehn Tage oder so nach dem ersten Riot), die erste Nacht folgte, in der der soziale Frieden in die Straßen von Ferguson zurückkehrte. Nun, da sie diesen Raum genommen hatten, fühlten sich die Leute nicht in der Lage, zusammenzukommen und verloren diesen sozial sehr wichtigen Raum. So verschwand viel von der Kampflust. Außerdem waren die Leute müde und die Nationalgarde war auf der Straße, und dies, verbunden mit der Rückgewinnung durch linke und religiöse Führer_innen, trug dazu bei, die Dinge zu beenden. Es war wirklich ein harter Schlag für den Aufstand, die QT und dann die Straßen von West Florissant zu verlieren.
*** Für mich wirft das die Frage auf nach der Beziehung von Anarchist_innen zu solchen Räumen, an denen sich zuvor unvorstellbare Arten von Rebellionen abspielen. Andere, die an Momenten wie diesem beteiligt waren, in denen die Aktivitäten gewöhnlicher Leute weit
hinter sich lassen, was Anarchist_innen tun, haben die Frage gestellt, wie neben diesen zu handeln oder nicht zu handeln sei. Es scheint als gäbe es dazu zwei Ideen. Eine davon ist es, da zu sein, unter anderen, das Wissen und die taktischen Perspektiven, die wir haben, zu teilen; in der Menge zu sein und dazu beizutragen, die Dinge dorthin zu pushen, wohin wir dies können. Eine andere Idee ist es, dass wir, anstatt uns in den Straßen dieser spezifischen Orte (der Plätze, etc) zu beteiligen, unsere eigene Projektualität woanders voranbringen könnten und andere Öffnungen und Momente finden könnten, um zu handeln und unsere Intentionen auszuführen. Ausgehend von deiner Erfahrung in Ferguson, wie denkst du über diese Frage?
+++ Ich glaube nicht, dass dies wirklich eine Dichotomie ist, in der du das eine oder andere wählen musst. Ich glaube in Ferguson war es unglaublich wichtig, dort oben zu sein, insbesondere als eine größtenteils weiße Gruppe, um Schritte zu machen, um die Ausgrenzung, Isolation und rassistische Spannung, die in dieser Stadt existieren, aufzulösen und in Solidarität mit anderen zu handeln; auch, um Verbindungen zu knüpfen. Auch haben viele von uns nie diese Art von Rebellion erlebt und ich glaube es war nötig für Leute, diese Art von Erfahrung in den Straßen zu machen; zu erfahren, was es heißt, kollektiv zu kämpfen und zurückzuschlagen. Ich finde nicht, dass das zwangsläufig heißt, dass Leute nicht auch andere Sachen machen sollten. Als wir dort oben waren, fanden wir uns schnell von anderen Rebell_innen hinter sich gelassen. Also selbst wenn du an eine anarchistische Avantgarde glaubst, war das keine wirkliche Möglichkeit, da die Leute schon so viel weiter fortgeschritten waren als wofür die meisten Anarchist_innen vorbereitet waren. Außerdem mussten die als weiß wahrgenommenen Außenseiter_innen aufgrund rassistischer Spannungen ihre Arten sich einzubringen begrenzen und eher folgen als Initiative ergreifen. Es war so eine angespannte Atmosphäre, dass die Dinge jeder-zeit in jede Richtung gehen konnten, was sich sehr seltsam anfühlte. Zur gleichen Zeit fühlte es sich unglaublich an, dort oben zu sein und mit Leuten zusammen zu kämpfen. Darum denke ich, dass es für uns als Anarchist_innen sehr wichtig war, uns im Herzen des Aufstandes zu beteiligen. Allerdings haben wir darüber hinaus als Anarchist_innen diese speziellen Fähigkeiten entwickelt, die wir über die Jahre als Anarchist_innen auf der Straße gelernt haben, und wir sollten darüber nachdenken, wie wir diese Fähigkeiten in kritischen Momenten in verschiedenen Teilen der Stadt verwenden können, die große Auswirkungen haben oder dazu beitragen könnten, Dinge auf andere Orte auszuweiten. Eine der cooleren Sachen, die an einem anderen Ort passierten, schlossen alle Tränengas- und Pfefferspray-Lieferungen, die transportiert wurden, ein. Es gab ein Verteilungszentrum in Minnesota, in dem Wildcat Arbeiter_innen sich weigerten, jegliches Gas nach Ferguson zu transportieren. Nicht, dass dies notwendigerweise spezifisch für Anarchist_innen ist, aber es ist interessant, festzustellen, dass es Schlüsselorte gibt, an denen unsere Feind_innen einen entscheidenden Schlag erhalten können, indem sie nicht die Lieferungen oder Vertsärkung bekommen, die sie in den Straßen benötigen. Dies kann ihre Fähigkeit zu handeln begrenzen. Ich denke, Anarchist_innen sollten beides tun, wir sollten auf der Straße sein und wir sollten über Wege nachdenken, um dazu beizutragen, die Situation auszuweiten und zu verlängern; die Bestrebungen der Bullen, sozialen Frieden wiederzuerlangen, zu sabotieren; uns Wege vorzustellen, auf die sich Dinge ausbreiten können, die Stadt zu beobachten und zu studieren für andere Funken, die geschürt werden können; Zeichen des Bruchs überall in der Stadt aufzuzeigen, selbst Graffiti oder kleine Angriffe – alles wurde wahrgenommen in diesen Wochen.
*** Es scheint als gehöre zu den anderen Dingen, die Anarchist_innen in diesen Situationen tun können, Leute zu ermutigen, sich zu vermummen, Überwachungssysteme anzugreifen, zu versuchen, mehr oder weniger böse oder subtile Arten von Rückgewinnung oder linker Bestrebungen, Kontrolle zu gewinnen, zu untergraben. Diese Dinge sind beinahe Konstante, die wir erwarten sollten und denen gegenüber wir einige strategische Perspektiven haben sollten.
+++ Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Anarchist_innen eine Kultur schufen – beinahe in Eigenregie – sich zu vermummen. Während der ersten paar Nächte sagten die Leute offen „Warum sollte ich mich vermummen!? Ich bin stolz auf das, was ich tue, ich will, dass die Leute wissen, dass ich das tue“, während sie verrückte Straftaten begingen. Später in der Woche war es beinahe ein modisches Statement, ein T-Shirt um deinen Kopf zu binden. Ich denke eine andere Sache, wie Anarchist_innen dazu beitrugen, einen sichereren Ort für Leute zu schaffen, für die Beteiligung an kämpferischeren Aktionen war es, Medien-Crews anzugreifen und sie aus den Straßen zu drängen oder wenigstens zurück zu den Bullensperren. Bevor das passierte gab es Dutzende von Filmteams, die Filmmaterial von Plünderer_innen machten, von denen viele unvermummt waren oder sichtbare Tattoos hatten.
*** Während solcher Situationen , scheint es Potenziale – sowohl im Mittelpunkt als an ihren Rändern – für alle möglichen Menschen zu geben, eingeschlossen Anarchist_innen, um eine Art individuelle Selbstverwirklichung zu finden. Ebenso wie ihre eigenen Projekte weiter voranzubringen. Indem sie dies tun, könnten sie auch dazu beitragen, den sozialen Konflikt zu verbreiten und ich glaube genau am Schnittpunkt dieser Möglichkeiten passieren einige der aufregendsten Dinge. Es fühlt sich ziemlich eindeutig an, dass vieles, über das wir geredet haben, auf die eine oder andere Art mit Identität zu tun hat und ich denke, dass wir in diesen konfliktiven Situationen tatsächlich verstehen können, wie Identität gegen uns arbeitet. Eine grundlegende Behauptung vieler Leute, die aus den Kämpfen in der Küstengegend kommen, sei es die Oscar Grant Rebellion oder die Besetzungen, ist die Idee, dass Identität ein Werkzeug des Staates ist, das verwendet wird, um die Leute fern voneinander zu halten und um die sozialen Rollen zu erzwingen, von denen erwartet wird, dass sie gespielt werden. Es wird ebenso klar, dass in diesen Momenten des Aufbruchs Identitäten beginnen, auseinanderzubrechen und in sich zu zerfallen. In Konsequenz ist dies der Ort, an dem die Bullen zuerst versuchen, die Kontrolle wiederzuerlangen, durch die Logik der Identität und durch Wiederauferlegen der Identitätskategorien, die zuvor auseinanderfielen. Deiner und anderer Erzählungen zur Folge macht es den Eindruck, dass dies auch in Ferguson eine Rolle spielte.
+++ Das ist definitiv wahr, und ich denke, dass der Küstenstaat den modernen Gebrauch von Identität als Form der Kontrolle perfektioniert hat, insbesondere in Situationen wie der Oscar Grant Rebellion. Nach Beobachtung dessen, was dort passierte, ist es sehr interessant, die Parallelen zu sehen, Wort für Wort, wie der Staat hier reagierte. Nach der ersten Nacht Riots kam beinahe unmittelbar der Sheriff heraus und sagte „dies ist eine kleine Gruppe weißer, anarchistischer Agitatoren von außerhalb, die hier her kamen, und Aufruhr verbreiteten“. Für mich war es offensichtlich, dass dies eine Bestrebung war, präventiv jegliche Art von Einheit zwischen Schwarzen und Weißen zu stoppen. Historisch gesehen ist die Rassifizierung von Situationen eine der ersten Maßnahmen, die der Staat ergreift, um Rebellionen zu unterbinden. Ob dies nun Klassenrebellionen gegen den Staat im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert waren oder Anti-Bullen-Kämpfe in den vergangenen Jahrzehnten. Der Begriff „Agitator von außerhalb“ („Outside Agitator“) wurde tatsächlich zuerst in den Vereinigten Staaten in den 60ern von einem Sheriff aus dem Süden verwendet, um Weiße zu bezeichnen, die mit Schwarzen zusammenarbeiteten und gegen die rassistischen Trennungen und Isolierungen kämpften. Nie war ich so nah dran mit Leuten zusammen tatsächliche Schritte zu machen, um ihre Identitäten, die auf race, gender, Klasse, anarchistisch-sein, etc. basierten, aufzubrechen, wie während dieses Aufstandes. Offensichtlich waren diese Identitäten nicht einfach verschwunden, und es waren immer noch viele Dynamiken im Spiel, die auf ihnen basierten, aber sie begannen, schwächer zu werden. Und so war dies eins der ersten Dinge, die der Staat (und viele Mikro-Staaten oder irgendwer, der oder die versuchte Kontrolle über die Situation zu erlangen) versuchte, zu reinstallieren. Das wurde sichtbar, als die Bullen von „weißen Anarchisten“ redeten und unmittelbar einige linke Gruppen die gleiche Sprache aufgriffen. Es gab außerdem einen starken Vorstoß „radikalerer“ Gruppen wie der Nation of Islam, und der New Black Panther Party, um die Dinge zu rassifizieren. Sie waren auf der Straße und versuchten die Linie zu pushen, dass dies eine schwarze Angelegenheit sei und ein Kampf für black power. Anders als die Linken oder die Politiker_innen waren diese Gruppen jede Nacht auf der Straße, aber es war dennoch offenbar, dass ihre Bestrebungen, die Dinge zu rassifizieren, nur dazu dienten, Kontrolle über eine Menge zu gewinnen und ihre politische Agenda durchzusetzen.
*** Es scheint so, als wäre gender auch ein Schlüsselfaktor gewesen. Ich hörte Erzählungen von Al Sharpton und anderen, die nach „starken schwarzen Männern“ riefen, um anzutreten, dabei zu helfen, die Demonstrationen zu überwachen, und sich an die jungen Männer richteten, die an den Riots teilnahmen, ihnen sagten, sie sollten „groß und Männer werden“, indem sie helfen sollten, die Krawalle zu beenden, oder ebenso Frauen dazu aufriefen, nach Hause zu gehen und „bei ihren Kindern zu sein“. Es scheint als wäre gender neben race eine offensichtliche Achse, die Politiker_innen verwendeten, um zu versuchen, die Dinge zum Erliegen zu bringen.
+++ Ja, es war tatsächlich ziemlich lustig, das Vor und Zurück der selben Gruppen zu sehen. Die Linken, die versuchten, Kontrolle zu gewinnen waren dort draußen und sprachen darüber, dass alle Randalierer junge Männer waren und es keine älteren Leute oder Frauen unter ihnen gab, im Bestreben, die Riots zu diskreditieren. Erstens stimmte das einfach nicht, es gab so viele unterschiedliche Menschen, die da draußen kämpften. Noch lustiger war ihre Antwort, Dinge zu kreieren wie Al Sharptons „Schüler der Gerechtigkeit“, die 100 schwarze Männer waren, die er abgerufen hatte, um die Dinge zu kontrollieren. Sie pushten wirklich diese Geschlechterrollen, dass Frauen nach Hause gehen oder weiter zurückfallen müssen, „es sind Frauen und Kinder hier draußen, es ist gefährlich“ oder eines Nachts war die Nation of Islam dort draußen und sagte „Bringt eure Frauen heim!“ Wenn du zurücktrittst und dir die Situation anschaust wird ersichtlich, dass die Leute, die die Riots dafür diskreditierten, dass größtenteils Männer in den 20ern daran beteiligt seien, entweder die gleichen Parteien waren oder mit den gleichen Parteien arbeiteten, die versuchten, Frauen und Kinder nachts von der Straße zu drängen, die versuchten, die Kämpfe im Namen der Verteidigung von „Frauen, Kindern und Alten“ zu stoppen. Aber die Sache ist, dass die Leute das nachts auf der Straße, wenn es konfliktiv war, einfach nicht annahmen. Jedes Mal, wenn Leute versuchten, Dinge zu rassifizieren oder strikte Geschlechterrollen geltend zu machen, dass Männer die Kämpfer sein und Frauen nach Hause gehen sollten, lehnten Leute das aktiv ab, schrieen sie an, sagten ihnen, sie sollten nach Hause gehen, sagten „Fick dich, das ist unser Kampf“.
*** Es gibt eine weitere sehr raffinierte Art, die ebenso sehr vorsätzlich ist. An der Küste und in Ferguson können wir sehen, wie der Staat, die Medien, die Linken, die Bullen, alle die gleiche Linie pushen. Es ist der Versuch, diese verrückte rassifizierte Gewalt, diese tagtägliche Kampagne zur Vernichtung hauptsächlich junger schwarzer Männer, zu diesem begrenzten „Fall“ einiger rassistischer Bullen oder den Bedarf an einer Handvoll kleiner Reformen zur Überwachung oder Strafverfolgung zu machen. Indem sie dies tun, mystifizieren sie den Fakt, dass race keine „Angelegenheit“ ist, sondern dass race und rassifizierte Gewalt die Grundlage der…
+++ amerikanischen Gesellschaft ist!
*** Ja, all das Elend, dass Leuten hier zugefügt wird.
+++ Ja, es macht Sinn. Deshalb versuchen sie unmittelbar, die Dinge auf ein Thema zu reduzieren. Weil solche Rebellionen und Momente wie dieser wirklich das Potenzial dessen aufbrechen, was passieren kann. Die Leute sprachen darüber, inwiefern das kein Thema ist, dass es nicht nur um Ferguson geht, dass es keine Sache zwischen Schwarzen und Weißen ist. Sondern eine der Leute gegen die Blauen, dass es eine Sache des Systems ist. Dies geht weit über eine Angelegenheit hinaus, das war eine Bruchstelle. Dies war nicht nur ein Riot gegen die Bullen, es war ein Aufstand gegen die herrschende Gesellschaft, gegen die Art, auf die Dinge existieren, gegen Klasse, gegen weiße Vormacht. Es ging nicht mehr nur um einen bösen Bullen oder Gerechtigeit. Was die Leute wollen ist Freiheit und dort oben begannen wir, herauszufinden, wie wir Schritte machen konnten, um diese zu bekommen. Und das ist erschreckend für die Linken und die Politiker_innen und alle, die irgendeine Art von Behaglichkeit in dieser Welt verspüren, die sie verlieren könnten. Es macht also Sinn, dass diese Gruppen sich Kräften anschließen, um die Dinge zu beruhigen und den Frieden wiederherzustellen. Die Linke spricht darüber, Schritte Richtung Reform zu unternehmen und diesen ganzen Bullshit, aber die Leute konnten durchschauen, dass dies ein Versuch war, sie zurück in die gleichen alten Käfige zu drängen, in denen sie immer sitzen.
*** Damit ist eine andere Art darüber nachzudenken der Blick auf die Frage der anarchistischen Identität. Auf die gleiche Weise, auf die die gegenderten und rassifizierten Barierren fern voneinander halten und uns davon abhalten, auf bestimmte Arten zu handeln, tut die die anarchistische Identität. Sie löst sich ebenso in solchen Momenten auf. Einerseits hast du jegliche Art von Leuten, Anarchist_innen oder nicht, die anarchische Aktivitäten verbreiten, Brandstiftungen, Plündereien. Und dann, andererseits, hast du alle möglichen Leute, die keine Anarchist_innen waren, aber von den Medien so genannt werden. Für diejenigen von uns, die Anarchist_innen sind und an diesen Kämpfen teilnehmen, hört es also beinahe auf zu zählen, wer Anarchist_in ist und wer nicht. Oder vielleicht zählt es für uns, aber im weiteren Sinne tut es das nicht.
+++ Idealerweise würde ich gern glauben, dass sich die anarchistische Identität in einer solchen Situation auch auflöst. Wenn es einen Aufstand gibt, macht es Sinn, seine Identitäten zu verlieren; Nicht seine Ethik oder Ideen oder Leidenschaften oder die Spannungen, die eine_r aus einer anarchistischen Perspektive heraus gegenüber der Welt erhält, sondern die Art und Weise zu verlieren, in der Identität gegen uns verwendet werden kann. Wir haben gesehen, wie das umgesetzt wurde, als der Staat Leute als Anarchist_innen labelte und versuchte, das zu benutzen, um Militante draußen auf der Straße zu separieren. Ich denke, dass es wichtig ist, diese Identitäten loszulassen ebenso wie jegliches soziales Gepäck, das wir daher haben, Teil einer anarchistischen Szene zu sein, mit allen Vor- und Nachteilen. Eine Sache, an die ich denken muss, und auf keinen Fall will ich Scheiße reden, aber ich kann mich erinnern, dass während der Riots in London, in einer Situation, in der das ganze Land brannte, sich die FAI verantwortlich für drei niedergebrannte Autos erklärte. Und während ich diesen Angriff absolut respektiere ebenso wie die Individuen, die ihre Sicherheit riskierten, um ihn auszuführen, macht es in meinem Kopf keinen Sinn, sich selbst zu isolieren und sich selbst auf diese Art abseits zu stellen. Wir sollten handeln, aber wir sollten nicht handeln, um uns selbst von den Leuten abzuspalten. Also ja, ich glaube, dass es wichtig war für die anarchistische Identität, sich neben allen anderen Identitäten aufzulösen.
*** Auf eine bestimmte Art sind Momente wie diese klärend, in Bezug darauf, warum wir kämpfen und warum wir tun, was wir tun. Ich richte das an Anarchist_innen, insbesondere an diejenigen von uns, die sich nach Revolte sehnen, was auf dem Spiel steht ist nicht ein Kampf, um eine anarchistische Identität oder Ideologie zu bestätigen, sondern wirklich für Anarchie zu kämpfen.
+++ Definitv.
*** Die abschließenden Gedanken und Fragen, die ich habe, gehen darum, was in den nächsten Monaten kommen wird und was jetzt passiert. Der Raum, der in Ferguson erschaffen wurde, ist verschwunden, aber die Spannungen, die zu dieser Revolte führten, existieren immer noch. Und die Tausenden von Leuten, die an dieser Revolte beteiligt waren, tragen ihre Erfahrungen und ihre Selbsttransformation, die sie durchlaufen haben, mit sich. All das geht weiter und so erscheint es intuitiv, dass die Dinge ebenso weitergehen werden. Es ist nur eine Frage, wie wir die Dinge verbreiten können und wie diejenigen von uns, die nicht in Ferguson sind, ihre Solidarität ausdrücken können, wenn sie gebraucht wird.
+++ Zunächst, ich weiß nicht. Die Stadt fühlt sich so an, als würde sie nie wieder dieselbe wie vor dem Aufstand sein. Die Dinge fühlen sich anders an und die Spannungen gibt es immer noch. Auf eine Art fühlt es sich so an, als ob ein Dampfdeckel weggeblasen wurde und ein bißchen Ärger sich Luft gemacht hat während der 12 Tage Riots. Es ist schwierig, sich mit Leuten zu verbinden, weil die Stadt so weitläufig und entfremdet ist, aber ich glaube es ist wichtig, weiterhin Signale der Unordnung zu zeigen, sichtbare Angriffe und Zeichen des Widerstands zu haben. Auch die Linke beginnt schließlich, Fuß zu fassen und diese großen Aktionstage zu organisieren. Diese sind absolut erholungsfördernd, aber gleichzeitig gibt es immer noch große Gruppen von Leuten, die sich weigern, von diesen Politiker_innen und Aktivist_innen kontrolliert zu werden und darum macht es Sinn, sich in diese einzubringen. Sei es einfach um sie zu stören oder um sie in verschiedene Richtungen zu bringen. Ich denke auch, dass es Sinn macht, in Verbindung aber außerhalb dieser Events, zu agieren. Wir befinden uns in einem sehr wichtigen Moment, in dem alles wahrgenommen wird, und dies schafft uns eine Situation, in der wir, als Anarchist_innen, in der Lage sein könnten, neue Analysen vorzustellen, neue Taktiken und hoffentlich Dinge auf neue Gebiete ausweiten können, sowohl wortwörtlich als auch im übertragenen Sinne. In Bezug darauf, was Anarchist_innen an anderen Orten tun können… während ich denke, dass Solidaritäts angriffe immer beeindruckend sind und nicht davon abraten würde, denke ich auch, dass sie im weiteren Sinne nur von Anarchist_innen wahrgenommen werden. Das ist nicht zwangsläufig eine schlechte Sache, es gibt uns Wärme und Stärke, andere angreifen zu sehen, aber ich glaube, dass es für Rebell_innen Sinn macht, darüber nachzudenken, wie sich Dinge verbreiten können und wie sie auf Arten handeln können, die Rebellionen an ihren eigenen Orten inspirieren. Oder auch auf Arten zu handeln, die die Bemühungen der Bullen in Ferguson beeinflussen oder abhalten könnten. Ich bin mir nicht total sicher, wie dies aussehen könnte, aber ich weiß, dass Leute kreativ sind.
Oktober 2014 – USA
und weil es so wenig Videos aus USA gibt, hier was aus Bahrain:
Salidas – militante Propagandataktik in Chile
Salida kann mit Ausgang, Ausfall oder Ausweg übersetzt werden. In Chile findet dieses Wort Verwendung für den Angriff aus einem Schul- oder Unigelände heraus auf Bullen. Die Carabineros dürfen diese Gelände nur mit Einwilligung des Rektors betreten, unter den SchülerInnen und StudentInnen besteht eine gewisse Zustimmung zu Gruppen, die auf diese Weise agieren. Mit den überfallartigen Salidas wird fast immer eine propagandistische Botschaft verbreitet, z.B. Hinweis auf Hungerstreiks von Gefangenen oder ermordete GenossInnen.
Einige Beispiele:
Salida an der Uni von Santiago für Alex Lemun , 2002 von Bullen ermordet
Salida am 14.August 2013 für die Gefangenen Hans Niemeyer und Rodrigo Melinao
Salida 2013 in Erinnerung an Mauricio Morales
Salida August 2012 in Santiago – Macul con Greccia, für Gefangene Mapuche
Salida an der Universität von Valparaiso am 4.September 2013 – für ermordete und gefangene GenossInnen
#defensive Taktiken
Der Einsatz von Molotov Cocktails bei Straßenschlachten wird oft überbewertet, handelt es sich doch eigentlich um eine Defensivwaffe. Für den Angriff auf unbewegliche Ziele durchaus geeignet, ist der Molli in dynamischen Situationen nur zur Abwehr geeignet, schließlich kann die angezündete Fläche auch von den WerferInnen nicht genutzt werden. Zwei typische Situationen in diesem Video aus Athen, 6/12/2013:
bei Minute 0:12 fliegen Steine und ein Molli gegen anlaufende MAT Bullen, die daraufhin zurück gehen.
bei Minute 0:34 fliegt eine einzelne Flasche gegen Bullen an der nächsten Ecke, diese weichen problemlos aus.
In Armutlu verteidigten BewohnerInnen im Juli 2013 ihr Viertel gegen Bullen, indem sie brennende Sachen und Steine von den Dächern warfen und Laserpointer einsetzten.
#gescheiterte Taktiken
Besonders in Berlin sind Auseinandersetzungen mit den Bullen sehr gefährlich, weshalb es gut zu überlegen ist, wann, wo und in welcher Form diese gesucht wird. Den Ausschreitungen am 1.Mai wird zu Recht eine ritualisierte Erscheinung vorgeworfen. Steigende Verhaftungszahlen bei sinkender Vermittlung des politischen Inhalts müssten eigentlich zu neuen Taktiken führen. Das Problem besteht jedoch auch in einer fehlenden Strategie. Waren die Mairandalen zunächst ein mobilisierender Faktor und Stachel im Fleisch der Sicherheitsstrategen, gelang es dem Berliner Senat die Oberhand zu gewinnen. Weil der Riot immer den gleichen Verlauf nahm, ließen sich die Einsätze der Spezialeinheiten leicht vorbereiten und die Bevölkerung in dem Gebiet von Kreuzberg wurde mit Geld und anderen primitiven Anreizen gekauft, gleichzeitig durch das Myfest eine Konzentration von Menschen erreicht, die gegen Veränderung ist.
Die letzte Straßenschlacht nach altem Muster – 1.Mai 2003 in Kreuzberg. Jugendgangs und Autonome am Heinrichplatz gegen die Hundertschaften, danach war es nicht mehr möglich sich zu sammeln und länger an einem Ort zu agieren. In den folgenden Jahren führten diese Situationen zu zahlreichen Verhaftungen und Auseinandersetzungen mit Myfestordnern.
Am 1.Mai 2009 konnten die BFE Einheiten der Bundespolizei nochmal erfolgreich durch eine schnellere Bewegung der militanten Demonstration überlistet werden. Weil die Demo nicht stehen blieb, während Steine flogen, gelang es den Bullen nicht das Ding zu stoppen:
Texte zur 1.Mai Demo in Berlin 2013, hier und hier.
Auch in Hamburg kann der sich jährlich wiederholende Ablauf der Riots beim Schanzenfest als gescheitert betrachtet werden. Zu einer für die Bullen vorhersehbaren Zeit wird die HASPA eingeworfen, dann gehts los. Diese Art der Randale wurde von den Bullen inzwischen leicht reguliert und hat die Spannungen in unsere Bewegung zurück getragen. Text zum Schanzenfest 2012.
In Athen wurde einige Jahre lang versucht die Regierungspolitik der sozialen Kürzungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten und innerer Aufrüstung mit militanten Generalstreiks zu stoppen. Die Taktik bestand aus dem massenhaften Bewerfen der Bullen vor dem Parlament mit Mollis und Steinen. Diese Konfrontationen wurden immer an den Abstimmungstagen zu neuen Sparpaketen auf dem Syntagma Platz gesucht, meistens zur selben Zeit an den gleichen Stellen. Nach zwei Jahren hatten MAT und DELTA Einheiten die Lage im Griff, die Bullen hatten bessere Schutzkleidung und reagierten auf die vorhersehbaren Angriffe schneller und flexibler. Dadurch stiegen die Zahlen der verletzten und verhafteten DemonstrantInnen an, immer weniger Menschen kamen zu den Generalstreikdemos, die Mobilisierungsaufrufe nahmen ab, die letzten Sparpakete wurden ohne Proteste durchgesetzt. Im Jahr 2013 fanden keine Auseinandersetzungen auf dem Syntagma statt.
Der letzte erfolgreiche Generalstreik in Athen – 26.09.2013:
http://www.youtube.com/watch?v=jdRAJjpn0VM
Zusammenfassend lässt sich sagen, alle Versuche den Staat am immer gleichen Ort und mit einem ritualisierten Ablauf anzugreifen, müssen scheitern. Zwangsläufig werden sich Bullen spätestens nach dem zweiten Treffen an der selben Stelle so gut vorbereiten, dass unsere Vorteile verschwinden. Damit ist auch keine Mobilisierung unseres Potentials mehr möglich.
Vergleiche hiermit die Vorbereitung und den erfolgreichen Verlauf des Generalstreiks am 29.März 2012 in Barcelona; Broschüre „Die Feuerrose ist zurückgekehrt“
# gescheiterte Strategien
Autobrandstiftungen sind seit Beginn der 90er Jahre zuerst in Berlin, dann auch in Hamburg, eine taktische Variante um ein bestimmtes Thema zu pushen oder einen Konflikt zu eskalieren. Der sprunghafte Anstieg seit 2007 kann durchaus als Teil einer Strategie bezeichnet werden. Die militante Kampagne gegen den G8-Gipfel wurde damit angetrieben und das Thema Gentrifizierung gelangte mit dieser Aktionsform ins allgemeine Bewußtsein. Autobrandstiftungen sind heute weltweit eine Variante des urbanen Widerstands, die nicht nur Vorteile mit sich bringt. Brennende Autos bieten der Propaganda der herrschenden Gesellschaftsordnung viele Angriffsflächen. In Deutschland ist das antagonistische Spektrum diesem Druck auf dem Höhepunkt der Feuerwelle 2011 nicht gewachsen gewesen. Dabei waren Autobrandstiftungen die einzige Aktionsform, die von sogenannten „Trittbrettfahrern“ übernommen wurde. Die Hoffnung jeder militanten Kampagne, nämlich Vermassung durch andere Gruppen und Einzelpersonen, wurde nicht strategisch reflektiert. Die Definititionshoheit über Sinn und Zweck dieses Kampfmittels wurde aus der Hand gegeben. Vor einiger Zeit ist ein Text veröffentlicht worden, der verschiedene Aspekte beleuchtet, aber noch ohne Resonanz im Raum steht; Mietenkämpfe, Zwangsräumungen, Widerstand: „Die Eigentumsfrage stellen – Stadt übernehmen / Strategiepapier aus anarchistischer Sicht“
# dezentrales Konzept
Wird eine Demonstration von einer Übermacht der Bullen umklammert oder ein Viertel von ihnen besetzt, bieten sich dezentrale Konzepte an. Indem der Aktionsraum ausgedehnt wird, zersplittern die Kräfte der Bullen und der Überraschungsmoment wird durch uns zurückgenommen. Beispielsweise Räumung der Liebig 14 im Februar 2011: