Chile: Tag des jungen Kämpfers

In Chile wird der 29.März als „Tag des jungen Kämpfers“ begangen. An diesem Datum im Jahr 1985 traf die Polizei, angeblich die Carabineros Francisco Toledo Puente, Jorge Marín Jiménez, Mauricio Muñoz Cifuentes und ihr Chef Alex Ambler Hinojosa an der Kreuzung Las Rejas/ Avenida 5 de Abril in Santiago auf Rafael und Eduardo Vergara Toledo und tötete sie. Die beiden Brüder waren in den bewaffneten Kampf gegen die Diktatur Pinochets involviert. Eduardo, 20 Jahre alt, wurde auf der Stelle erschossen, während Rafael, 18, den Hinterhalt der Polizei überlebte und später in einer Polizeistation hingerichtet wurde. Der älteste Bruder der Familie, Pablo, der 1983 aus politischen Gründen von der chilenischen Polizei schwer gefoltert wurde, und die Schwester, Anita, flohen ins Exil. 1988 kehrten sie heimlich nach Chile zurück. Im November 1988 wurden Pablo Vergara und Aracli Romo, beides Militante des MIR, tot aufgefunden in der Nähe eines explodierten Strommasten. Alle forensischen Beweise deuten darauf hin, dass sie woanders getötet wurden und an diesem Ort plaziert wurden, während die Explosion vom Militär ausgeführt wurde.

Die Mutter, Luisa Vergara Toledo, fing an Proteste zu organisieren um die Wahrheit über den Tod ihrer drei Söhne heraus zufinden und forderte die Bestrafung der verantwortlichen Polizisten. Auf bewundernswerte Weise setzte sie diese Proteste nach dem Ende der Diktatur 1990 fort. Mindestens 74 kämpfende Jugendliche wurden in den letzten Jahren der Diktatur und den beiden Jahrzehnten der Demokratie bei Auseinandersetzungen getötet.

Der jährliche Protest findet in dem proletarischen Viertel Villa Francia von Santiago statt, an dem Ort wo Rafael und Eduardo getötet wurden, obgleich der Tag des jungen Kämpfers viel umfassender begangen wird als mit einem Protest von Menschenrechtsgruppen, Marxisten, Linken und anarchistischen Gruppen. StudentInnen stoßen typischerweise mit der Polizei an der Kreuzung Macul con Grecia zusammen. Nachts werden in vielen Poblaciones Barrikaden errichtet und es kommt zu Kämpfen mit der Polizei. Auch in den meisten anderen Städten Chiles kommt es zu Riots.

Am 29.März 2013 versammelten sich fast tausend Menschen am Ort der Ermordung von Rafael und Eduardo um die Reden von Luisa und Manuel, dem Vater, zu hören; ebenso der Mutter von Matias Catrileo und der Mutter eines weiteren ermordeten Jugendlichen. Die drei Mütter verteilten dann selbstgebackenes Brot an die Anwesenden, mit der Aufforderung diese Teilen des Brots als lebenslange Verpflichtung für den Kampf zu begreifen, nicht nur an diesem einen Tag, sondern an jedem Tag. An diesem Ort sorgte Luisa, die schon sehr alt ist, für Aufsehen als sie sagte: „Ich möchte Steine werfen gehen.“
Danach zog die Menge durch Villa Francia, begleitet von einer Gruppe traditioneller Tinku Tänzer und Musiker. Sie kam in einem Park an wo mehrere Punk Bands und Hip-Hop Acts auftraten, ebenso wie Sprecher des Mapuche Kampfs, linken Gruppen und bewaffneten Gruppen. In ihrem Schlusswort forderte Luisa erneut die Menge auf den Kampf ernst zu nehmen, vorsichtig zu sein aber hart zu zuschlagen, sich bewusst zu sein das es eine Frage von Leben und Tod ist und in Erwägung zu ziehen, sich mit Waffen zu versorgen, „weil diese nicht vom Himmel fallen.“ Danach vermummte sich die Menge um mit der Polizei auf der Avenue 5.April zusammen zu stoßen.
http://www.youtube.com/watch?v=l3DHde4SxW8

Macul con Grecia
Inzwischen setzten bei Macul con Grecia, an der Universität, 50 Vermummte eine Barrikade in Brand und bewarfen die Polizei mit Molotov Cocktails. Sie hielten die Straße eine Weile bevor sie sich zurück zogen.
Während der Nacht setzten AnwohnerInnen in den Poblaciones La Victoria, Villa Francia, La Pincoya und Pudahuel Barrikaden in Brand. Die Polizei reagierte aggressiv und versuchte die Kontrolle mit Tränengas, Gummigeschossen, Panzern, Guanacos und Zorillos zu erlangen. Die Bevölkerung in den Vierteln kämpfte mit Steinen, Molotovs, Schleudern, Pistolen und automatischen Waffen.

Die Medien versuchten dieses Jahr die Riots herunterzuspielen, so dass kaum Zahlen über Verletzte und Verhaftete vorliegen. Angeblich wurden 54 Menschen verhaftet.

Videos vom 29.März 2012:

Auf der Seite memoriaviva.com finden sich detailierte Berichte über die Ermordung der Vergara Brüder und anderer Verbrechen der Pinochetdiktatur.

Warum jetzt diese Veröffentlichung?
Am Morgen des 11.Dezember 2013 wurde der anarchistische Genosse Sebastián Oversluij Seguel in Pudahuel, einem Vorort von Santiago, bei einem versuchten Banküberfall erschoßen. Der private Wachschützer der Banco Estado tötete den 26 jährigen mit sechs Schüssen. Seitdem gibt es zahlreiche Reaktionen aus der anarchistischen Bewegung auf diesen Mord. Am 21.Januar betrat die Genossin Tamara Sol Farías Vergara
eine Filiale der gleichen Bank im Zentrum Santiagos und eröffnete das Feuer auf den Wachmann, dabei rief sie:“Rache!“ Sie soll danach die Waffe des Securitys mitgenommen haben. Kurz darauf wurde sie festgenommen. Tamara verweigert jede Zusammenarbeit mit den Behörden und sitzt in Untersuchungshaft.
Video aus der Bewegung mit der Ermordung von Sebastián und der Vergeltungsaktion von Tamara:

Tamara Sol Farías Vergara ist die Nichte der Brüder Vergara.

In Chile kann von einer ständigen Reaktion auf staatliche Gewalt gesprochen werden. Es wird aber nicht nur reagiert sondern auch agiert, indem der Angriff auf Repressionsorgane nie einer Rechtfertigung bedarf sondern weit über das anarchistische/linksradikale Spektrum hinaus akzeptiert ist, zum Beispiel in den Poblaciones oder auf Bildungsstreiks. Im Zusammenhang mit dem Aktionstag gegen Repression am 22.März könnten die Beziehungen von unterschiedlichen Repressionformen auf unser Bewusstsein und unser Handeln untersucht werden um die vergleichsweise starke Abstumpfung in unseren Regionen zu verstehen. Die Kombination repressiver Massnahmen in Santiago (Bullen,private Sicherheitsdienste,Kameras…) und den Widerstand dagegen, bietet sich für solche Untersuchungen an.

Aktuelle Kooperation Deutschlands mit Pinochets Nachfolgern
Am 25.Januar wurde Marie Emmanuelle Verhoeven auf dem Flughafen Hamburg festgenommen. Grundlage dafür ist ein Haftbefehl aus Chile, welcher die 54 jährige beschuldigt 1991 als Kommandantin Ana den Pinochet Berater Senator Jaime Guzmán in Santiago erschossen zu haben. Diese antifaschistische Aktion wurde von der FPMR ausgeführt und kann auch heute noch als legitimer Akt des Widerstands betrachtet werden. Die Bundespolizei feiert sich selbst in gewohnter Weise mit einer Pressemeldung:

Der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann, sagt zu dieser Festnahme: „Ich bedanke mich bei den beteiligten Kolleginnen und Kollegen für diesen bedeutenden Erfolg. Er ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Bundespolizei mit im vergangenen Jahr etwa 12.000 vollstreckten Haftbefehlen einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherheit unseres Landes leistet. Die Bundespolizei ist die Fahndungspolizei!“