übernommen von linksunten:
Die GenossInnen von urban resistance haben Anfang September dazu eingeladen, sich öffentlich darüber zu äußern, ob und wie der beiden Toten im Januar 2015 gedacht werden könne. Dem wollen wir gerne mit einigen Überlegungen nachkommen.
Am Anfang jeder Revolte steht die Empörung. Eine Botschaft macht die Runde. In der Nachbarschaft, unter den Gangs, zwischen GenossInnen.
Eine Idee, ein Vorschlag fängt an zu zirkulieren, wird aufgegriffen, es braucht einen Ort der Begegnung. Die Vollversammlung, die Strasse, die Kneipe. Es ähnelt sich immer. Manchmal sind Linke, Revolutionäre, beteiligt, häufig kommt die Angelegenheit auch ohne sie aus. Manchmal verhindert ihre Anwesenheit sogar, dass es zum Äußersten kommt.
Manchmal stiegen die Preise, manchmal hatte es einer mit der Korruption übertrieben oder die Zurschaustellung des Pompösen war nicht mehr auszuhalten. Häufig, ja sehr häufig steht am Anfang des Aufruhrs ein Bulle, der einfach losküppelt, losballert. Was eigentlich niedermachen, den gesteckten Rahmen, in den dem sich alles zu bewegen hat, festklopfen soll, bewirkt das Gegenteil. Die Verhältnisse fangen an in Bewegung zu geraten.
Es kommt zur offenen Konfrontation. Historisch betrachtet mag es sich in den meisten Fällen nur um Mikrosekunden der Menschheitsgeschichte handeln, meistens verblasst der Glanz der vom Feuer erleuchteteten Nächte sogar innerhalb weniger Generationen. Weil sie in Vergessenheit geraten, von den Verwaltern der niedergeschriebenen Geschichte übersehen oder nicht für überlieferungswürdig befunden werden. Uns aber bedeuten sie alles.
Die Szene, oder das was sich gerne als die Szene bezeichnen lässt, hat ihre Wirkungsmächtigkeit immer dann entfalten können, wenn die Figur des Aktivisten als vorherrschender Charakter der Handlung durch etwa anderes abgelöst worden ist. Das war so, als die Treber und Lehrlinge 68ff dazustießen, dies geschah, als sich in den besetzen Häusern Westberlins Anfang der 80iger Junkies, Ausreisser und proletarische Jugendliche sammelten und dem Staat den Krieg erklärten.
Es wäre ein Irrtum zu glauben, das es kein Bewusssein über die Dimension des sozialen Krieges geben würde. Das gibt es zur Genüge, ein paar Abende an den Tresen dieser Stadt genügen als empirischer Beleg. Woran es mangelt, ist der Glaube daran, dass die eigene Ohnmacht zu überwinden wäre. Autonome Politik war im Kern, jetzt aller operaiistischen Theorie, immer ein Vorschlag, wie denn diese Ohnmacht konkret zu überwinden wäre.
Dazu braucht es aber im allgemeinen eine Sichtbarkeit autonomer Politik, die Möglichkeit, teilzunehmen, ohne sich der Mühe zu unterziehen, sich dem sekterischen Gehabe der Peergroups zu unterwerfen. Das Terrain, auf dies möglich ist, haben die antagonistischen Reste ohne Not aber weitgehend aufgegeben.
Die Argumente dafür sind ebenso austauschbar wie beliebig. Die Repression hat entgegen den immer wiedergekäuten Behauptungen nicht zugenommen, wohl selten waren so wenige Linke inhaftiert wie zu den heutigen Zeiten. Auch mögen die heutigen Bullenhundertschaften ihre Konzepte von Durchmischung von Menschenansammlungen immer weiter perfektioniert haben und jeder Bulle im Riotgear doppelt so breit erscheinen, im Kern beruht aber ihre Dominanz bei Auseinandersetzungen ausschließlich auf einer erfolgreichen Einschüchterung und der fehlenden Entschlossenheit unserseits. Wie wenig all die USK´s und sonstigen Eliteeinheiten wert sind, hat der 21.12. in Hamburg gezeigt, als sie sich immer wieder, mit Angst in der Fresse, zurückziehen mussten. Und dies bei eher mäßigen Bewurf, der auch noch in den meisten Fällen aus grösserer Distanz erfolgte. Wer sich also mit der Fragestellung beschäftigen will, warum auf der Strasse so selten noch etwas geht, wird sich eher mit der Verfasstheit der eigenen Reihen beschäftigen müssen, als sich am Popanz der geschlossenen Einheiten abzuarbeiten.
Viele haben sich als Reaktion auf die ständigen Ohnmachtserfahrungen auf der Strasse auf ihre Kleingruppen und demonstrative nächtliche Aktionen zurückgezogen. Das Problem ist, dass diese Praxis, weil sie nicht vermassbar ist, die Ohmacht nur für die Beteiligten auflöst, dem Rest bleibt nur die klammheimliche Freude, sofern er oder sie überhaupt von den nächtlichen Aktivitäten etwas mitbekommt. Eine Ausnahme davon war die Praxis der nächtlichen Inbrandsetzung von Fahrzeugen der gehobenen Preisklasse, die sich für einen Zeitraum von 2 Jahren durch Berlin und Hamburg frass und in Hamburg von den Medien gezielt nur noch in Kurzmeldungen berichtet wurde. Es darf, ohne in Spekulation zu verfallen, behauptet werden, dass hier über den Rahmen der üblichen Verdächtigen hinaus auch andere am Werke waren, die sich in der kapitalistischen Zurichtung der Stadt als Verlierer erleben.
Die zentrale Frage aber ist, wie es gelingt, wieder offensive Momente zu schaffen und mit wem dies überhaupt möglich ist. Dabei geht es nicht um eine militaristische Sichtweise, ein Vorwurf, der an dieser Stelle immer wieder gerne von all Jenen erhoben wird, die ein gesteigertes Interesse daran haben, das ihre hegemoniale Deutungshoheit erhalten bleibt. Die Frage der konkreten Praxis ist nämlich immer auch eine Frage nach sozialer und politischer Konstitution. Die Fragen, wer, warum und wie kämpft, sind ineinander verwoben. Das Behaupten eines Primats versucht nur davon abzulenken, wer welche Vorteile davon hat, dass die Dinge so (beschissen) laufen, wie sie laufen.
Die Tode von Oury Jalloh und Laye-Alama Condé haben ohne Zweifel viele empört. Die Untersuchung der Umstände durch nichtstaatliche Stellen haben es wohl für viele denkbar gemacht, dass die Figur des Bullen, der aus rassistischer Motivation einen Gefangenen umbringt, nicht unbedingt aus einem amerikanischen film noir stammen muss, sondern auch mitten in der zivilgesellschaftlichen BRD anzutreffen ist. Trotzdem war die Anzahl der Menschen, die sich dazu verhalten haben, überschaubar.
Eine mögliche Mobilisierung zum zehnten Jahrestag Anfang 2015 muss daher jenseits der üblichen Art und Weise erfolgen, wenn sie mehr sein will, als ein Kraftakt, um einen beschränkt militanten Event für sich selber zu schaffen.
Der (diffuse) Hass auf die Bullen bei den Jugendlichen, die ständig an Orten sogenannter Kriminalitätsschwerpunkte kontrolliert werden ist ebenso da wie die Erfahrung tagtäglicher rassistischer Willkür durch Behörden und ihre Repräsentanten bei Tausenden von Menschen, die als MigrantInnen gelten. Ebenso ein Wissen um das tagtägliche Sterben an den Aussengrenzen der EU. Die Unterstützung für die O Platz – und – Ohlauer- Besetzer ging und geht weit über die üblichen Kreise hinaus. Die Frage ist, ob es gelingt , die Zusammenhänge zwischen all dem und den Morden an Oury Jalloh und Laye-Alama Condé außerhalb des eigenen Milieus zu vermitteln. Und mögliche Aktionen als einen Ort zu skizzieren, an dem die eigene Ohmacht aufgehoben werden kann.
Autonome aus Berlin