Die folgenden Zeilen erheben weder den Anspruch in der Tiefe Kritik zu leisten, noch können sie einfache Wege aus der desaströsen Situation anbieten. Sie sind an all Jene gerichtet, die nach Perspektiven jenseits der Milieus suchen. Sie erinnern fragmentarisch an den großen Erfahrungsschatz derjenigen, die im Allgemeinen als die Autonomen bezeichnet werden, auch wenn viele eine solche Kategorisierung für sich eigentlich ablehnen. Wir grüßen alle, die Nächtens unterwegs sind, alle, die sich den Kopf heiß reden, sowie die VerfasserInnen der Debatten Beiträge der letzten Monate.
“Wir haben euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass”
Autonome Politik in der BRD war immer vorwiegend auf den unmittelbaren Zusammenstoß mit dem Staat ausgerichtet. Gab es in Italien eine breite Diskussion in der Autonomia Operaria um die Fragestellung, wie eine autonome Arbeiterklassenmilitanz, die sich im Zuge der Binnen- Migrationsprozesse ab Mitte der 50iger entwickelt hatte, vermasst und weiterentwickelt werden könne, kursierten solche Art von Überlegungen hier nur in Zirkeln um die Materialien für einen neuen Antiiimperialismus und der Karlsruher Stadtzeitung, der späteren wildcat. Beide Ansätze, die als Strömumgen zu bezeichnen, vermessen wäre, entstanden in der Perspektivlosigkeit Mitte, Ende der 70iger, die der Marsch durch die Instutionen auf der einen, sowie die diversen Kommunistischen Sekten und das gesellschaftlich isolierte Stadtguerilla Konzept auf der anderen Seite, hinterliess.
Der italienische Ansatz der Autonomia Operaria hatte sich schon durch die massive und radikale feministische und subkulturelle Kritik (die immer auch eine der ganz handfest praktischen Art war) an ihrem leninistischen Konzept als irreführend erwiesen, als ihr vom Staat im Zuge der Zuspitzung der Auseinandersetzung mit den bewaffneten Gruppen (u.a. die Entführung von Aldo Moro, führender Repräsentant der Democrazia Christiana durch die Brigade Rosso) Ende der 70iger der Garaus gemacht wurde.
Die cani sciolti, die herumstreunende Hunde, die parteilosen Feministinnen, die Stadtindianer, die proletarischen Jugendlichen, die sich mit Schwarzarbeit, Hausbesetzungen und organisierten, massenhaften Diebstählen und Plünderungen dem alles durchdringenden Verwertungszwang zu entziehen versuchten, betraten die gesellschaftliche Bühne. In der Zuspitzung 1977, in deren Verlauf gegen die brutale Repression der Bullen auf der Strasse in unvorstellbarer Vermassung Steine, Molotovs und auch häufig Schusswaffen bei den Strassenkämpfen eingesetzt wurden, fanden die beiden Strömungen der Autonomia ein vorletztes Mal zueinander, bevor sie sich im Abwehrkampf gegen die Repression des Staates Ende der 70iger als Geschwister tausendfach im Knast oder Exil wiederfanden.
In Wahrheit wusste die Revolte, die sich Anfang der 80iger aus den Grosstädten Westdeutschlands bis in die tiefste Provinz in Bayern verbreitete, nicht viel von dieser Bewegung aus Italien, von der sie den Namen erbte. Wohl reisten abenteuerlustige Emissäre nach Italien und kamen mit teilweise hundertseitigen Pamphleten zurück, die in der deutschen Übersetzung noch kruder und unverständlicher erschienen als die italienischen Orginale. Ein diffuses Bezahlt wird nicht mag mitgeschwungen haben, wenn sich besetzte Häuser in den Lebensmittelabteilungen der Kaufhäuser gratis bedienten, eine vage melodia erklungen sein, wenn eine Broschüre über die ganz praktischen Anregungen einer Guerilla Diffusa als Broschüre durch die besetzten Häuser und Zentren kursierte. Mehr aber auch nicht. Vielleicht war es aber genau diese Diffusität, diese begriffliche und theoretische Unschärfe, die die Autonomen zu dem machte, was sie waren. Einem hochgerüsteten Staat, der nur wenige Jahre zuvor bei der gezielten Liquidierung von Kadern der Stadtguerilla gezeigt hatte, wozu er fähig und bereit war, einfach den Krieg zu erklären, kann nur einer betrunkenden Leidenschaft geschuldet sein. Während die Überreste der 68iger Bewegung sich in Angst und Lähmung an Kalkar und Stammheim klammerte, strömte eine neue Generation unbekümmert auf die Strasse. Die Hassmaske und die Bauarbeiterhandschuhe adrett aus der Hosentasche baumeln lassend, wurde in die Innenstadt geschlendert und das Pflaster aufgerissen.
Wie immer deutet sich der Niedergang erst im Nachhinein an, wenn man das Geschehen aus der Rückschau betrachtet. Allerdings gibt es immer wieder jene Vögel, die schon das Ende von den Dächern pfeifen, bevor der eigentliche Spaß erst anfängt. Wenn wir uns an dieser Stelle (u.a. aus Platzgründen) auf das Geschehen in (West) Berlin beschränken wollen, so wurde das nahende Ende der Bewegung schon Ende 81 von den Propheten der Bewegung (beispielsweise in der radikal) besungen. Während die einen also verzweifelt überlegten, wie sie ihre BewegungsErbmasse in trockene Tücher retten könnten (Legalisierung) und unter der Käseglocke Schutz suchten, waren es anderen nicht so vordringlich wichtig, den besetzten status quo zu verteidigen, außer er eignete sich dazu, den Bullen aus taktisch abgesicherten Terrain ein paar Steine auf die Helme zu werfen. Über die Totengräber der Bewegung weitere Worte zu verlieren, wäre der Ehre zuviel, zeigt doch der Werdegang eines Hans Panhoff, der heute noch im Kerngehäuse residiert, mit wem wir es zu tun ha(tt)(b)en. Die Freunde des Aufstandes waren der Teilbereichsbewegung schon lange entwachsen, bevor diese Begrifflichkeit überhaupt en vogue wurde. Das sich unter ihnen so viele fanden, die für sich keine Zukunft im Verwertungsprozess sahen, weil sie sich keinerlei Ilusionen über ihre Stellung im postfordistisch aufgelockerten Kastensystem hingaben, mag nur jene verwundern, die die Protagonisten der Geschichte mit Jenen verwechseln, die die Mittel kontrollieren, um ihre Überlieferung weitgehend zu selektivieren. Dem Winter der scheinbaren Ratlosigkeit folgte ein fulminanter Sommer 82, der am 11.06. kulminierte. Der Zusammenstoss mit dem Staat rund um den Nollendorfplatz, der so gewollt und zielstriebig vorbereitet wurde (wobei die örtliche Begrenzung lediglich dem taktischen Vorgehen der Bullen geschuldet war), hatte sich vielleicht schon beim Besuch des US amerikanischen Aussenministers Haig 81 angekündigt. Nun aber fand eine militante Entgrenzung statt, die eine neue Qualität darstellte. Hier gab es nichts mehr zu vermitteln, der offene Hass durfte und musste sein. Zwar gesellschaftlich mikroskopisch, aber trotzdem im Willen zur Konfrontation visionär markierte eine nihilistische Tendenz ihr antagonistisches Anliegen. Es erschien erstmalig möglich, das der Beton doch brennen könne. Ohne eine soziale Bewegung im Rücken, die sich genötigt sieht, ihr Handeln mit gesellschaftlichen Mißständen zu legitimieren, konstituierte sich der unbedingte Wille zur Zerstörung .
Was folgte, war Jahre der Divergenz. Manche suchte die Nähe zu den Apologeten des Frontkonzepts, weniger aus einer geteilten Analyse heraus als aus dem Willen, Verbündete für den bedingungslosen Kampf gegen das Schweinesystem zu finden. Andere brachen zu regelmäßigen Ausflügen an die Mönchbruchwiesen im Hessischen auf. Die folgenden Jahre brachten regelmäßige Scharmützel mit den Bullen zu den beliebigsten Anlässen sowie diverse nächtliche Aktionen, bei denen regelmäßig mit Sprengstoff und zeitverzögerten Brandsätzen hantiert wurde. Viele aber verabschiedeten sich aus den aktionistischen Zirkeln. Ausbildungen wurden aufgenommen oder fortgesetzt, Familien gegründet oder es ging zurück ins Heimatkaff. Unter denVerbliebenen gab es jedoch weiterhin eine grundsätzliche Zirkulation von Ideen und Freundschaften und Connections wurden gepflegt. Man traf sich bei Vollversammlungen und im Specki, jedoch schmorte man weitgehend im eigenen Saft. Es kamen kaum neue Leute hinzu und Aktionen wurden, im Gegensatz zu den Zeiten der Besetzerbewegung, als von Zehlendorf bis Spandau Flugblätter verteilt und Bullenwache mit Feuer bedacht wurden, weitgehend nur noch in den Innenstadtbezirken gestartet. Trotzdem gab es zu immer wieder verbindliche militante Organisierungen, an denen sich viele hundert Menschen beteiligten, so z.B. anlässlich der Ermordung von Günther Sare oder bei den Aktionen gegen die Atom Industrie (Brokdorf, Wackersdorf).
Der 1. Mai 1987 brachte die Politik des Zusammentoßes wieder an die Oberfläche. Was in den Jahren zuvor durch kleinere Zusammenhänge propagiert und praktisch vorgelebt wurde, schlug nun in eine Vermassung um. Die existierenden militanten Kerne waren in der Lage, die Zusammenstösse mit den Bullen zu forcieren. An den Brennpunkten stiessen spontan jeweils hunderte Anwohner und Festbesucher hinzu, mit der Erfahrung aus den zahlreichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre wurde offensiv und strategisch vorgehend gehandelt, sodass den Bullen nur der grundsätzliche Rückzug blieb. In den folgenden zwei Jahren wurden bei jeder sich bietenden Gelegenheit Supermärkte zur Plünderung freigegeben (woran sich immer wieder etliche Anwohner beteiligten) und die Bullen permanent angegriffen, sodass diese (zu mindestens Nächtens) keine normalen Streifen mehr fahren konnten, sondern ihre Funkwagen bei ihren Fahrten durch den Kiez mit Wannen und Zivikarren absichern mussten. Der Gegner wurde so gezwungen, permanent repressiv aufzutreten. Da sich die Gewalt der Bullen häufig unterschiedslos gegen alle richtete, die bei den diversen Gelegenheiten auf der Strasse waren, staute sich ein entsprechender Hass auf. Am 1.5.1989 wurde dann diese Rechnung beglichen. Auf der Demo am Nachmittag gab es von Anfang an einen grossen vermummten Block, von Kreuzberg bis nach Neukölln wurden Wachschutzunternehmen, Supermärkte, Banken und Kaufhäuser angegriffen und geplündert. Als die Bullen ihre Einheiten endlich umgruppiert hatten und mit zahlreichen Hunderschaften seitlich der Demo auftauchten, wurde nicht an dieser Stelle die Konfrontation gesucht, sondern bis zum frühen Abend gewartet. Bei den folgenden Auseinandersetzungen in 36 wurde ein bestens vorbereiteter Gegner, der mit knapp 2000 Bullen im Einsatz war, massiv in die Enge getrieben. Hundertschaften mussten sich immer wieder im Steinhagel zurückziehen, überall brannten Barrikaden, Wasserwerfer und Räumpanzer wurde die ganze Zeit über mit Molotowcocktails bekämpft. Den völlig überforderten Bullen gelangen bei den Kämpfen, die bis tief in die Nacht gingen, nur 20 Festnahmen.
War sich die Szene bis Mitte der 80iger bei aller Bereitschaft zur Klüngelei und zum Sektierertum in den wichtigen Fragen weitgehend einig gewesen, so brach dieser Konsens angesichts der Auseinandersetzungen 1987ff auf. Während eine autonome Tendenz die Auseinandersetzungen weiter vorantreiben wollte, wähnte sich der andere Flügel erstmalig einer autonomen Realpolitik verpflichtet. Während die einen Supermärkte öffneten und dabei mit (oftmals migrantisch-proletarischen) Anwohnern gemeinsame Sache machten, initierten die anderen Kiezpalaver, auf denen man auf Angehörige der Alternativszene traf, die dabei waren, ihre Rolle im Verteilungskampf neu zu definieren. Diese Spaltung, die in der Regel auf beiden Seiten theoretisch nicht besonders unterfüttert war, spitzte sich im (notwendigen) antifaschistischen/antirassistischen Abwehrkampf, der der deutschen Wiedervereinigung folgte, zu. War es in den letzten Jahren (knapp) gelungen, dass diese Konflikte nicht handfest ausgetragen wurden, so kam es angesichts des Pogroms 1991 in Hoyerswerda zu direkten körperlichen Auseinandersetzungen während einer Demo bei der Frage, wie eine militante Antwort auszusehen habe. Diese Spaltung setzte sich angesichts des Pogroms 1992 in Rostock fort, als die Vertreter des autonomen Realo Flügels verbreiten liessen, dass man bei der Demo am Samstag nach dem Pogrom gegen alle vorgehen werde, die sich an Aktionen gegen jene Teile der Bevölkerung, die am Pogrom (aktiv/passiv) teilgenommen hatten, beteiligen würden. Ebenso kam es zu massiven Konflikten in der Frage legitimer antifaschistischer Praxis. Nachdem der Republikaner Funktionär Kaindl bei einer Auseinandersetzung in einem Restaurant in Kreuzberg durch Messerstiche tödlich verwundet worden war, wurde eine Grenzziehung in der Frage der legitimen Mittel eingefordert. An den Solidaritätsaktionen für die im Zuge der Ermittlungen Inhaftierten beteiligte sich nur ein Teil der Szene, anderen war eine öffentliche Distanzierung vordringlicher. Erst nachdem die neu aufgetauchten dogmatischen Zusammenhänge, aus denen später die AA/BO werden sollte, die Führung in der Antifa übernommen hatten, wurden diese Konflikte weitgehend bedeutungslos.
So wie der Punk die Ouvertüre für den Zyklus der autonomen Kämpfe dargeboten hatte, so gehörte ihm nun auch der Schlussakkord. Als sich zu Ostern 1995 fast 2000 Menschen zu einem Autonomen Kongress in Berlin trafen, gab es nur Rat- und Perspektivlosigkeit zu bilanzieren. Die Abschlussdemo war Jenen gewidmet, die sich aufgemacht hatten, jenseits der kleinen Welt der selbsternannten autonomen Strategen das dringenst Notwendigste zu tun: Den Abschiebeknast in Berlin- Grünau in die Luft zu jagen. Dieser zahnlose autonome Spaziergang zu Ostern, der sich in Solidäritätsbekundungen zur Aktion gefiel und sich nur im Habitus vom frömmlerischen Ostermarsch der Friedensbewegten unterschied, verhielt sich zur Initiative des K.O.M.I.T.E.E. wie eine Gehhilfe zu ein paar Rollerskates. Wie anders verabschiedete sich eine andere Bewegung im Spätsommer des selben Jahres in Hannover in die Geschichtsbücher. Lauthals brüllend und lallend wurden bei den Chaostagen Supermärkte geplündert und Bullenhundertschaften mit stundenlangen Steinhageln bedacht. Die ganze Angelegenheit war so inspirierend, dass sich hunderte von örtlichen Jugendlichen spontan anschlossen. Als ein Jahr später die unglaubliche Anzahl von 10.000 Bullen in die Stadt einfiel, hatten sich bis auf ein paar hartnäckige Trinker alle anderen vom Gedanken des Spektakels verabschiedet und die Bullen liefen ins Leere.
Raider heisst jetzt Twix
Jenseits der Dynamik der Bewegung gibt es nur noch das Elend der Konkurrenz. Jeder Event muss sich gegen andere Projekte behaupten. Da eine Hegemonie innerhalb der linken Zielgruppe unter den aktuellen Umständen nicht einmal mehr ansatzweise vorstellbar erscheint, versucht jeder etwas vom Markenkern Autonome abzugreifen, um sich am Markt zu positionieren. Schon die Antifa M in Göttingen gefiel sich darin, zu bestimmten Anlässsen in vollautonomer Tracht zu paradieren. Angetan mit Helm und Hassi wurde durch die Stadt gezogen und die Bullen liessen es gerne geschehen, wussten sie doch, dass hier ein neuer Ordnungsfaktor Einzug gehalten hatte, der die Epoche der “sinnlosen” nächtlichen Randalen in Göttingen beendete. Im Zweifel standen dann auch schon mal ein paar Maskierte vor der Deutschen Bank, damit diese nicht ihre Schaufenster verlor.
Diese Tendenz zur Ikonisierung schreibt sich bis in die jüngsten Konflikte ein. Wenn am 21.12.2013 Hunderte schwarzgekleidet und vermummt im Frontblock vor der Roten Flora stehen und fast eine halbe Stunde einfach nicht auf die Idee kommen, die kleineren Bullentrupps, die immer wieder direkt neben ihnen andere Teile der Demo angreifen, einfach mal zu attackieren (was diese Angriffe sofort und effektiv unterbunden hätte), dann bringt diese Angelegenheit das Elend der (Dress) Codes auf den Punkt.
Es gibt immer wieder Bilder, in denen sich der alte Biss als auch das postmoderne Elend abbilden. Als Andreas , Gudrun und Jan im Herbst 1977 bei Stuttgart zu Grabe getragen wurden, waren der Friedhof und die Straßen im Umkreis von Bullen mit umgehängter MP besetzt, überall Straßensperren errichtet worden. Noch während der Trauerzeremonie hing ein Bullenhubschrauber in der Luft. Trotzdem zogen Tausende zu den Gräbern, man sah GenossInnen mit Helm und Lederjacke ebenso wie die letzten Hippies, die ihre Kinder mitgebracht hatten. Im Winter 80 zog sich ein Zug von um die 10.000 durch die graue Lehrter Strasse in Berliner Stadtteil Moabit, um den Inhaftierten der Revolte vom 12.12. Grüße zu übermitteln. Obwohl das Terrain, das durch die Umzäunungen der Güterbahnhofes und den Mauern des Frauenknastes prädestiniert für einschließende Maßnahmen zu sein schien, den Bullen auch alle taktischen Vorteile versprach, war an diesen Nachmittag keine einzige Uniform zu sehen. Dabei gab es wohl zu jener Zeit in Berlin niemanden aus der Bewegung, der nicht von Bullen verprügelt oder verschleppt worden wäre. Die Gefangenensammelstellen der geteilten Stadt waren Orte der Zirkulation, des Austausches und des Kennenlernens und nicht des Schreckens und der Abschreckung, der Haftrichter ein (zu mindestens ferner) Bekannter.
Als sich im Sommer 2014 ein paar Leute aufmachten, den lustlosen squatting days in Hamburg etwas Leben einzuhauchen und aus einem besetzten Haus in der Breiten Strasse heraus die anrückenden Bullen mit Farbe übergossen und mit Pyrotechnik eindeckten, fanden sich zu einer Solidaritätskundgebung für Jene, die von Bullen einkassiert und beschuldigt wurden, gerade mal vierzig Menschen ein. Dass die bundesweite Antirepressionsdemo am 22. März 2014 zu einem totalen Flop wurde, obwohl im Vorfeld etliche Aufrufe aus den verschiedenen Spektren der radikalen Restlinken kursierten, war eben im Kern nicht den Unterschieden bei den vorbereitenden Gruppen geschuldet, sondern hier bildete sich eines der Hauptprobleme der derzeitigen Situation ab.
Der postautonomen Szene ist es gelungen, sich in ihrem theoretischen Zugriff auf die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung hier weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zur Situation in vielen anderen europäischen Ländern, in denen völlig überholte historische Ansätze gepflegt werden, war sie durch die Wiedervereinigung und der Formierung eines völkischen Mobs gezwungen, sich neu und anders in den gesellschaftlichen Widersprüchen zu verorten. Das sie dabei auf einen hermeneutischen Anspruch verzichtet, entspricht der kybernetischen Realität, die wir vorfinden. Auch wenn davon auszugehen ist, dass hier aus der Not eine Tugend gemacht worden ist, also keine bewusste Absage an allumfassende Erklärungsmuster getätigt wurde, erleben wir dies als Befreiung von theoretischem Ballast. (Das es immer wieder Rückgriffe auf marxistische Ansätze gibt, drückt aber auch das innewohnende Bedürfnis aus, sich in eine regressive Hermeneutik, die identitäre Sicherheit suggeriert, zurück zu flüchten.)
Gleichzeitig aber gelingt es ihr aber nicht mehr, sich gegen die vorherrschende Tendenz zur Atomisierung, zum individuellen Risikomanagement zu stemmen. Wenn wir über die derzeitige (unerträgliche) Situation reden, sind wir gezwungen, über Haltungen zu reden. Als am 02.11.1987 während einer abendlichen Auseinandersetzung in den Mönchbruchwiesen aus einer scharfen Waffe auf die Bullen geschossen und zwei dabei getötet wurden, hielt nicht nur in der Rhein Main Region die Szene den Atem an. Während eine Durchsuchungswelle im Hessischen anrollte und Dutzende sich und andere um Kopf und Kragen redeten, errichteten die Bewohner der Hamburger Hafenstrasse einen Barrikadenbereich um ihre Häuser. Tausende harrten hinter den Barrikaden aus, während aus dem gesamten Bundesgebiet um die 10. 000 Bullen zusammengezogen wurden, darunter Sondereinheiten wie die GSG 9, die sonst nur zur Bekämpfung von Guerillas eingesetzt wurden. Auch wenn beide Geschehnisse ihre Verwurzelung in regionalen Entwicklungen hatten, waren sich die Protagonisten doch immer verbunden gewesen. So wie die Entscheidung zum Errichten der Barrikaden rund um die Hafenstrasse aus der konkreten Situation vor Ort erfolgte, verhinderte das offensiv militante Auftreten doch gleichzeitig auch, dass die autonome Szene bundesweit angesichts der Schüsse und dem Aussage- Karussell in Schockstarre verfiel. Gerade vor dem Hintergrund der toten Bullen an der Startbahn war es eine äußerst bewusste Haltung, sich mit einem derart militanten Auftreten der Gefahr eines Angriffs auszusetzen, bei dem u.U. auch das eigene Leben in Gefahr geriet.
Wenn wir also über die Repression reden, reden wir über unsere Haltungen. Nur wenige aus der Szene haben einen Knast jemals von innen gesehen. Bei Auseinandersetzungen ist häufig eine unglaubliche Passivität zu beobachten. Wie nie zuvor gibt es eine hohe Fluktuation in den Gruppen und Zusammenhängen. Das Aufbegehren erscheint bei vielen nur noch als kurzer Lebensabschnitt, der die Pubertät verlängert. Auch kann in diesem Zusammenhang nicht über die Klassenzusammensetzung geschwiegen werden. Die bundesrepublikanische Linke war immer schon eine Mittelstandsangelegenheit. Allerdings gelang es sowohl Ende der 60iger, Anfang der 70iger über die Treber- und Lehrlingsbewegung proletarische Jugendliche zu gewinnen, wie der Punk und die besetzten Häuser und Zentren Anfang der 80iger der Bewegung einen hohen Zulauf aus der Klasse bescherten. Die ausbleibende Bereitschaft, sich zu konfrontieren, ist auch der Tatsache geschuldet. sich im individuellen Positionskampf im prekären Spätkapitalismus keine zukünftigen Chancen verbauen zu wollen. Selbst bei Jenen, denen zu unterstellen ist, dass sie es ernst meinen, ist deutlich eine Risikoabwägung zu beobachten. Der Rückzug auf nächtliche Kleingruppenaktionen erfolgt nicht nur, weil es immer schwieriger geworden ist, sich auf der Straße gegen die Bullen zu behaupten, sondern auch, weil diese Aktionsformen mit einem wesentlich geringeren Risiko behaftet sind.
Jenseits des Spektakels – Jenseits des Milieus
Die linke Politik der Identität ist am Ende. Zwangsläufig. Identität ist der zentrale Begriff der Postmoderne. Alles wird aufgesaugt, auf Verwertbarkeit abgetastet. Subkultur ist der neue Mainstream. Die Differenz ist die neue Mode. Der binäre Code erscheint (fast) allumfassend. Was bleibt, ist die Suche nach den Orten, an denen das Rauschen überhaupt möglich erscheint. Ohne Zweifel gibt es Gesetzmäßigkeiten und Strukturen, die nicht auflösbar sind ohne ein grundsätzlich anderes System. Die Besitzverhältnisse gehören ebenso dazu wie der Staat und sein Gewaltmonopol, auch wenn dieses an private Repräsentanten delegiert werden kann. Oder in failed states durch andere Macht Optionen wie Gangs, Milizen, o.Ä. ausgeübt wird. Deshalb ist der Angriff auf den Staat, der Angriff auf die Bullen eine Regung, die nicht integriert werden kann, nicht das System modernisiert und noch unangreifbarer macht.
D.h. jeder Ansatz, der es ernst meint mit der Tendenz zur Aufhebung, muss zwangläufig in der strategischen Ausrichtung auf die Konfrontation, auf den Zusammenstoß abzielen, auch wenn er in der taktischen Natur anfänglich andere Wege gehen kann, weil die eigenen Kräfte zu schwach, zu zersplittert, zu unorganisiert sind. Dabei gilt es die vorhandenen Möglichkeiten auch wahrzunehmen. Nur in diesem Sinne macht die Beteiligung an den vom Bewegungsmanagement initiierten Events Sinn. Es wird ein Raum aufgemacht, um sich in der Aktion zu finden, praktische Erfahrungen zu sammeln, Erfolge gegen die Ohnmacht zu organisieren. Der M31 in FFM war ein gelungenes Beispiel dafür, wie so etwas jenseits des anvisierten Spektakels funktioniert, die folgenden blockupy Aktionstage waren dann wieder genau jene Reproduktion von Ohnmacht und Protest. Generell gilt es jene Spektakel zu meiden, ja zu denunzieren, wenn es nicht möglich ist, sie zu nutzen.
Die Möglichkeiten, jenseits des Spektakels eigene Massenaktionen zu kreieren, sind sehr begrenzt. In Berlin gab es die Demo zum zehnten Jahrestag der Ermordung von Carlo und die unangemeldete Demo zum Bullenkongress Anfang 2013. Zu beobachten waren auch hier eine weitgehende Passivität jenseits einiger vorbereiteten Zusammenhänge und ein Gegner, der schnell taktisch dazulernt und solche Aktionen innerhalb kürzester Zeit so unter Kontrolle bekommt, das nur noch demonstrative – oder Kleingruppen Aktionen möglich sind. Ebenso auffällig war, das es nicht gelungen ist, Menschen außerhalb der Szene zu mobilisieren, die tendenziell bullenfeindlich eingestellt sind und z.B. am 1. Mai anwesend sind. Dies erklärt sich u.a. relativ simpel aus den gewählten Aufhängern für diese selbstbestimmten Aktionen. Weder Genua 2001 noch der Polizeikongress haben unmittelbar etwas mit der sozialen Realität jener Leute zu tun.
Aber auch wenn es ausnahmsweise gelingt, konfrontativ in einer sozialen Auseinandersetzung zu intervenieren, wie dies bei den Aktionen 2013 in Hamburg zur Situation der Lampedusa Gruppe und der Flora geschah, hinkt die taktische und strategische Bestimmung, sofern von einer solchen überhaupt geredet werden kann, hinter dem Mut und der Entschlossenheit der handelnden Subjekte zurück. Das Ultimatum an den Hamburger Senat, die rassistischen Kontrollen gegen die Flüchtlinge einzustellen, verknüpft mit der Ankündigung, dass es sonst krachen würde, war ebenso zeitlos atemberaubend wie wegweisend. In den folgenden Wochen gelang es mit unangemeldeten Demos, die häufig militant verliefen, nächtlichen Flash Mobs und zielgerichteten Attacken auf Wohnhäuser von politisch Verantwortlichen, den Senat vor sich her zu treiben. Dass sich an zwei sehr kurzfristig organsierten Massendemos jeweils fast um die 15.000 Leute beteiligten, geschah nicht trotz der militanten Geschichten, sondern genau im Bewusstsein, dass diese selbstverständlicher Teil der aktuellen Auseinandersetzung waren. Dazu brauchte es nicht extra die (auch gerade) in Hamburg sehr regen Netzwerke, sondern eine Betroffenheit, die sich nicht in ohnmächtigen Apellen erschöpfen wollte, sondern nach Wegen suchte, soviel Druck aufzubauen, dass die Flüchtlinge nicht mehr bedroht waren.
Als sich die Floristen entschieden, u.a. gegen die Möglichkeit eines warmen Abrisses durch den formalen Eigentümer, zu einer bundesweiten Demo zu mobilisieren, fanden sich Tausende aus den Resten der (teilweise antagonistischen) Linken ein. Aber auch hier zeigte sich erneut die Unfähigkeit, taktische und strategische Überlegungen jenseits der politischen Vermittlung zu treffen. Der Zeitpunkt kurz vor Weihnachten barg in sich das (eingetretene) Risiko, dass nach der Demo erst einmal die Luft raus wäre und der Auftaktort in der Schanze war für die Bullen ein taktische Geschenk (so gelang es ihnen 10.ooo Leute mit ein paar Hundertschaften in den Griff zu bekommen). Für die angekündigten Aktionen in der Innenstadt gab es keine konkreten Vorstellungen, was nach einem Verbot passieren solle. Was kurze Zeit später folgte, war das Trauerspiel der “Klobürsten Revolution”. Unter den Vorwand eines (erfundenen) brutalen Angriffs auf Bullen vor der Davidswache gingen die Bullen dazu über, in dem Gebiet, in dem in den letzten Wochen die nächtlichen Aktionen stattgefunden hatten, alle zu kontrollieren, die ihnen “relevant” erschienen. Militante Aktionen sollten damit ebenso unterbunden werden, wie spontane, unkontrollierte Aufzüge. Schnell driftete der Diskurs in Richtung Bürgerrechte, während die Zielsetzung dieser Aufstandsbekämpfungsmaßnahme im Eigentlichen schnell erreicht wurde, weil keine nächtlichen unkontrollierten und militanten Aktionen mehr stattfanden. Der “Sieg der Demokratie”, also die Aufhebung der “Gefahrengebiete”, beerdigte zugleich die wohl beeindruckenste spontane Mobilisierung der letzten Jahre in der BRD.
Wir haben ein Jahr der Ohnmacht und der Lähmung hinter uns. Die zahllosen Gruppen des Spektakels haben sich aufgelöst, umgruppiert und umbenannt (ALB, ARAB, Kritik und Praxis FFM, etc…). In Berlin ist die Szene in Stockstarre verfallen, sowohl zur Räumung des Oranienplatzes als auch zur Belagerung der Ohlauer ist ihr nichts Gescheites mehr eingefallen. Nachts brennen Bullenkarre und werden Projekte der Aufwertung entglast, ohne dass sich daraus eine politische oder soziale Perspektive ergibt. Dies ist kein Vorwurf an die nächtlichen GefährtInnen, sondern nur eine ebenso realistische wie trostlose Bilanzierung. Das (fast) alles anders und neu gedacht werden muss, ist ebenso ein Allgemeinplatz, wie zutreffend. Der linke Kanon ist am Ende, eigentlich schon seit Jahrzehnten, erstaunlicherweise scheint aber die Mehrheit der linken Akteure genau dies nicht wahrhaben zu wollen. Dies gilt sowohl im globalen wie im lokalen Kontext. In den Revolten in Nordafrika und Nahost spielten die Linken ebenso keine bis eine total marginalisierte Rolle wie bei der Revolte in Bosnien. In Berlin ergeht sich eine ebenso überschaubare wie zahnlose Ansammlung von Aktivisten in Stadt von unten, ohne dass die integrative Kraft, die z.B. von einer Abstimmung über die Zukunft des Tempelhofer Feldes ausgeht, auch nur ansatzweise hinterfragt wird. Aktionsformen stehen ebenso beliebig nebeneinander wie Begrifflichkeiten. Community Organizing wird z.B. allen Ernstes als mögliche “linke” Perspektive diskutiert. Wer will sich schon dezidiert mit der Modernisierungsfunktion solcher Modelle auseinandersetzen, wo “irgendwie in Bewegung sein” das neue ebenso beliebige wie identitäre Credo ist. Die deutschen Gewerkschaften sind da schon viel weiter, sie nutzen mittlerweile Community Organizing in Pilotprojekten, um ihren sozialpartnerschaftliche Politik auf die Höhe der Zeit zu stemmen. (By the way: Obama kommt da übrigens auch her und H. Clinton hat ihre Bachelor-Arbeit über dieses Thema geschrieben).
Wir befürchten, wir kommen um eine Anstrengung theoretischer Natur nicht herum, wenn antagonistische Politik mehr als sein als will als eine aktivistisch/militante Begleitmusik. Zu fragen wäre z.B., wer denn unsere (eigentlichen) “Bündnispartner” sein könnten, um zumindestens ansatzweise unser totale gesellschaftliche Isolierung zu durchbrechen. Wie können mögliche (temporäre) Zusammenschlüsse aussehen, die sich auf Augenhöhe begegnen und nicht als Networking funktionieren. Dabei gilt es mit dem Unsinn aufzuräumen, dass man den Leuten hinterher rennen muss, es gilt die missionarische Attitüde abzulegen. Wo man authentisch auftritt und sich die Menschen in ihrer sozialen Konfliktualität abgebildet sehen, kommt man (fast) von selbst zusammen.
Die Kämpfe gegen das Frontex System, die Unterstützung der Menschen, die es bis hierher geschafft haben, die Intervention gegen eine faschistisch/rassistische Mobilisierung gegen Flüchtlinge, ist mittlerweile der Schwerpunkt der Szene in Berlin. Das Elend ist nur, dass es ihr dabei nicht gelingt, dass sich hier Kämpfe(nde) auf Augenhöhe begegnen. Wie es anders gehen könnte, hat der gemeinsame Kampf von Flüchtlinge aus Tunesien mit anarchistischen GenossInnen im Frühjahr 2011 in Paris aufgezeigt, dessen Erfahrungen auf deutsch unter dem Titel: “Diskurs über die Methode – Der Kampf mit den Harragas in Paris” im Herbst 2013 veröffentlicht wurden (1), ohne hier auf eine relevante Resonanz zu stoßen.
Wie immer, wenn es ein Elend mehr als nur zu beschreiben gilt, ist die Frage unverzichtbar, wer denn welches Interesse daran hat, dass die Strukturen so sind, wie wir sie vorfinden. Wenn wir über refugee fighter und UnterstützerInnen reden, reden wir über eine Aufteilung, von der offensichtlich alle Beteiligten ihren Gewinn haben. Während so Vieles an Kämpfen und Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in der Szene in Vergessenheit geraten ist, werden tradierte Codes und Positionen scheinbar ins kollektive Bewusstsein eingeschrieben. Die Waffe der Kritik wird dabei durch die Waffe der Moral ersetzt. Die Analyse der sozialen Verortung eines Jeden dient dann letztendlich nur dazu, im internen Frontverlauf Stellungen besetzen und behaupten zu können. Der Diskurs kreist um die Schuld, statt danach zu fragen, wie denn Verantwortung zu tragen, aussehen könne. Aufgeladen mit Kolonialgeschichte und Sklaverei, der andauernden Ausplünderung und Ausbeutung des Trikonts werden Rollen und Sprechorte gesucht und gefunden, die für alle(s) taugen, nur nicht dafür, gemeinsame Kämpfe führen zu können. Die selbstgewählte Festlegung auf eine passive Rolle, die Reduktion auf UnterstützerInnen sorgte u.a. dafür, dass es für eine mögliche Räumung des Oranienplatzes keine eigenen strategischen Überlegungen gab. Ebenso gab es keine wirkliche (kritische) Intervention in die Verhandlungen mit den staatlichen Stellen, als deren Ergebnis es dann zur Räumung des Platzes im wesentlichen durch einen Teil der Flüchtlinge gegen einen anderen Teil kam.
Bilder sind mächtig. Die Bilder von massiven körperlichen Angriffen von Flüchtlingen gegen die Flüchtlinge, die nicht bereit waren, den Platz zu räumen, waren ohne Zweifel absolut wirkungsmächtig und der Punkt, an dem der Kampf gegen das Lagersystem und gegen die Abschiebungsmaschine endgültig vom offensiven Charakter in einen Abwehrkampf kippte. Nun trieb der Staat die Bewegung vor sich her. Mit der Belagerung der besetzten Schule in der Ohlauer konnte eine polizeiliche Notstandsübung durchgesetzt werden, ohne auf mehr als Protest zu stoßen. Nur weil die in der Schule Verbliebenen bereit waren, ihr Leben in die Waagschale zu werfen, kam es (vorübergehend) nicht zur endgültigen Räumung. Die gewalttätigen Angriffe auf dem Oranienplatz haben vieles vergiftet, dass dies so nicht öffentlich benannt wurde, kommt einem Offenbarungseid gleich. Dass das dann als Ergebnis kolonialistischer Spaltungsstrategie verkauft wurde, erzählt viel darüber, wie weit wir davon entfernt sind, Menschen als Subjekte wahrzunehmen, die für ihr Handeln in allem verantwortlich sind.
Für einen bewussten Nihilismus
Das System ist seiner Selbst überdrüssig. Als Der Kommende Aufstand Ende 2009 auch auf deutsch erschien, geriet das Feuilleton in Verzückung. Zu lange hatte man den monotonen, sich wiederholenden Variationen einer totgeweihten Kultur gelauscht, die nichts wirklich Neues mehr hervorzubringen in der Lage war. Vor Langeweile war man geneigt, mit dem Umsturz zu liebäugeln, damit endlich ein bisschen Leben in die Bude kam. Entsprechend euphorisch wurde sich auf die Revolten in Nordafrika und Nahost gestürzt, der “Arabische Frühling” entdeckt und besungen. Zeitgleich entdeckte das Milieu Licht am Ende des Tunnels, die Krise wurde zur finalen Angelegenheit erklärt und das Ende des Kapitalismus verkündet. Jede Revolte der letzten Jahre war nun aber endgültig die Ouvertüre für den finalen Sturm. Die nicht mehr so taufrischen LeserInnen dieser Zeilen werden sich vielleicht noch an das alljährliche Interview mit dem trotzkistischen E. Mandel im Arbeiterkampf erinnern, in dem er geschickt zu erklären wusste, warum denn nun der Niedergang des Systems unmittelbar bevorstehe. Warum dies nun aber auch wirklich eintreten werde, auch wenn er Selbiges bereits schon im letzten Jahr behauptet habe, dies auch leider ausgeblieben sei, ja dass stimme, aber nun da er alles noch einmal überarbeitet habe, voila: es gebe keine andere Möglichkeit.
Jenseits des Kopfschüttelns bleiben wir mit der Frage zurück, was denn nun zu tun sei. Selbstverständlich haben auch wir darauf keine Antwort. Wir können nur vorschlagen, die Such-und Tastbewegungen der letzten Jahre genauer unter die Lupe zu nehmen, insbesondere um ihre Dynamiken und Begrenzungen zu verstehen. Der Aufstand gegen Mubarak sah Millionen auf den Straßen, die Moslembrüder wurden durch die Militär Junta abgelöst, die den Schwung erneuter Massenproteste mitnahm und gleichzeitig damit auch beendete. Philip Rizk schrieb erst kürzlich in seinem Beitrag 2011 ist nicht 1968: Ein offener Brief aus Ägypten (2) : “Es gab keine Ideologie außer der der Verzweiflung, das unerträgliche Gewicht der Heuchelei, und die Begrenztheit einer Bevölkerung, die in Ablehnung dazu lebte.” Wir denken, dass der Prozess in Ägypten beispielhaft für die derzeitige Epoche ist. Gerade, weil er nicht in einen Bürgerkrieg mündete und weil das Militär Regime, allen Konflikten mit den islamischen Fundamentalisten zum Trotz, scheinbar so fest im Sattel zu sitzen scheint. Der soziale Krieg, dem wir alle unterworfen sind, ruft Revolten hervor, die nicht mehr wie in früheren Jahren auf Provinzen und Regionen begrenzt sind, denen es allerdings auch nicht gelingt, die nationalstaatliche Verfasstheit zu überwinden. Und im Gegenteil auch noch tausendfach mit dem Wimpel des Terrains auf die Straßen und Plätze zieht. Dies war in Ägypten genauso der Fall wie auch während der Revolte in der Türkei. Wobei dies sich überwiegend nicht aus einer manifesten ideologischen Haltung speist, sondern eben gerade auf die weitgehende Abwesenheit von Ideologie verweist.
Das Hauptproblem der Linken mit der Epoche der Aufstände ist deren Diffusität und Widersprüchlichkeit. Der Aufstand der Jugend in den Banlieues 2005 fand ebensowenig Unterstützung aus den linken Milieus wie die Unruhen, die 2013 England erschütterten. Auch in Griechenland, in dem die Zeit für die Linke lange Zeit stehen geblieben zu sein schien (mit allen Vor- und Nachteilen), entstand etwas neues: “Der aktuelle Nihilismus der Jugendlichen erwächst nicht aus dem Nichts. Er ist eine Reflektion des totalen Versagens von Widerstand und Kapitalismus gleichermaßen. Viele sehen keine Alternative und wollen nichts anderes als die komplette Zerstörung der Bestie, die sie ernährt: die Stadt. Diese Ansichten zu unterstützen, ist sehr schwer. Für Menschen, die einen sozialen Wandel, eine radikale Umgestaltung oder einen drastischen Wechsel wollen, hört sich die Idee der totalen Zerstörung verrückt an. Dezember 2008 wurde wohl von bewussten Akteuren, die sich sorgfältig Ziele auswählten, unterstützt, aber der destruktive Antrieb von allen, die an den Aktionen teilnahmen, bestimmte die Aktionsform. Dieser Antrieb mag durch verschiedene Ideologien geformt oder kanalisiert worden sein als der Aufstand vorbei war, aber ihr Kern war unkontrollierbar.” (Uncontrollable – Contributions Towards a Conscious Nihilism) (3)
Der Wahnsinn an der ganzen Angelegenheit ist, das das treibenste Motiv sowohl für die überzeugten Anhänger wie für die bewussten linken Gegner des Systems im Kern identisch ist. Die Angst treibt beide Facetten des Widerspruches vor sich her. Die Propheten des historischen Materialismus kannten schon immer scheinbar die Gestalt der zukünftigen Gesellschaft, die den Kapitalismus ablösen werde, ja sie verfügten sogar über ein exklusives Wissen darüber, wie denn die Übergangsstadien sich gestalten würden. Nun, da dieser Tranquilizer gegen die allgegenwärtige Angst seine Wirkungsmächtigkeit verloren hat, weil niemand weiß, was kommen wird, liegt das Feld der Visionen brach. In der postmodernen Welt mit all ihren Atomkraftwerken, Bio Waffen, der immer weiter zunehmenden Abhängigkeit von der digitalen Realität, ist die Angst vor dem Unbekannten wirkungsmächtiger als jeder Wunsch danach, dass der Wahnsinn, der unsere Welt beherrscht, endlich aufhören solle. Die GenossInnen aus Frankreich vom Unsichtbaren Komitee sahen die Zukunft der Revolte jenseits der Auseinandersetzungen in den Zentren der Macht. Wir bezweifeln, ob dies angesichts der realen Konzentration an politischer und ökonomischer Macht, an formellen und informellen Schaltstellen an eben jenen Orten wirklich möglich ist, wenn man mehr als nur eine Haltung einnehmen will. Auch sind die Städte weiterhin meistens der Focus der Revolten, d.h. auch, hier treffen wir auf jene Subjekte, die, zumindest temporär, den allumfassenden Frieden aufkündigen.
In Wirklichkeit gibt es keine allgemeine Blaupause, für das, was kommen wird oder soll. Die Komplexität der Bedingungen, die wir alle vorfinden, machen es unmöglich, eine allumfassende Vision der Form zu entwickeln. Was uns bleibt, ist die Ebene der Beziehungen. Die Kultur des Individualismus, die sich bis weit in das linke Milieu eingegraben hat, muss dazu überwunden werden. Es gibt für all das, was uns tagtäglich bedrängt, keine individualisierte Lösung. Die Drogen, die Therapie, die Selbstverwirklichung, die Sehnsucht nach dem Ausstieg sind nur Krücken, mit denen wir uns durch das, was vom Leben noch übrig bleibt, humpelnd fortbewegen. Die Versuche, kollektive Strukturen aufzubauen, taugen nichts, wenn sie versuchen, sich nur in ein Außerhalb zu verorten, dass es garnicht gibt. Alles muss zerschlagen werden. Angesichts der Angst, die diese Vorstellung auslöst, gibt es nur eine Möglichkeit. Nur in der Revolte, im Aufstand, entstehen jene Beziehungen, jene sozialen Bezüge, die den Gedanken an eine Aufhebung überhaupt als Idee am Horizont ermöglichen. Dies ist im Übrigen genau jene Erfahrung, die all Jene schon gemacht haben, die schon einmal eine Revolte erlebt haben.
Wie durch einen Zauber erscheint inmitten all der Härte der notwendigen Konfrontation gegen den Feind jene Geschwisterlichkeit, die uns durch die Nacht trägt. Lösen sich all die nichtigen Differenzen auf, endet die Herrschaft der Konkurrenz. Entsteht jene Nähe und jenes nicht berechnende Vertrauen, das als einziges Mittel gegen die allgegenwärtige Angst wirkungsmächtig ist. Dazu braucht es den Mut, sich auf Ungewohntes einzulassen und nicht in der Überschaubarkeit des Milieus zu verharren. Von all dem reden wir, wenn wir von einem bewussten Nihilismus sprechen. Der nichts, das sei an dieser Stelle auch angemerkt, mit dem gemein hat, was als neue sektiererische anarchistische Tendenz mit Briefbomben und ähnlichem Schwachsinn sein trotziges, eigensinniges Süppchen kocht.
Liebe, Hoffnung, Krawall
Viele meinen in den Handelnden der Revolten und Aufstände der letzten Jahre neue Akteuren auszumachen. Verwundert wird registriert, wenn z.B. die Ultras bisher bis auf Blut verfeindeter Clubs in Ägypten oder der Türkei sich gegen die Bullen und den Staat verbünden und zu den wichtigsten militanten Kernen bei den Schlachten mit den Bullen werden. Dabei war es schon immer so. Nur ist die überlieferte linke Geschichtsschreibung in diesem Punkt kongruent mit den Erzählungen der bürgerlich Geschichtswissenschaft. Aufstände und Revolutionen werden meistens von (relevanten) Minderheiten veranstaltet, in denen die (organisierte) Linke im allgemeinen wiederum eine Minderheit ist. Da sich die Geschichte im allgemeinen vom Ergebnis her schreibt, bleibt die Darstellung des Anteils des Pöbels eher bescheiden, außerdem ist seine Rolle im Falle eines erfolgreichen Umsturzes eh nur die eines Steigbügelhalters für die neuen Machthaber. Die Verachtung für das Subproletariat zieht sich, mit wenigen Ausnahmen, durch die Geschichte der kommunistischen/sozialistischen Parteien und Gruppierungen. Dass Jene, die darum wissen, dass eine mögliche Transformation ihnen nur neue Herren bescheren wird, trotzdem umso entschlossener in die Auseinandersetzung eintreten, verweist auf den philosophische Kern jeder Revolte der Habenichtse. Sich der Absurdität ihrer Situation durchaus bewusst, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich trotzdem immer wieder für die Auseinandersetzung zu entscheiden, wenn sie Subjekt ihres eigenen Leben sein wollen.
Die Gründer der RAF wussten darum, als sie anfingen mit den Rebellen der Erziehungsheime zu arbeiten, bevor sie eine neomarxistische Kehrtwende vollzogen und sich jenseits der Praxis ideologisch nicht im wesentlichen von den diversen K Grüppchen unterschieden. Bevor auch all die Anderen entweder den Gang durch die Institutionen antraten oder eben in jenen K Grüppchen landeten, gab es eine rege subversive Praxis: “Diese Basisströmungen hatten viele Namen und operierten an vielen Orten: umherschweifende Haschrebellen in West-Berlin, Black Panther-Komitees im Raum Frankfurt, Weiße Rose und Deserteurgruppen im Raum Hamburg und Hannover, Sozialistisches Patientenkollektiv in Heidelberg. Genauso vielfältig waren ihre Aktionen: Transporte und Papierbeschaffung für desertierte GIs und Bundeswehrsoldaten, Sprengstoffanschläge auf Einrichtungen und Depots der Besatzungsmächte, Aktionen gegen Erziehungsheime und Knaste, Angriffe auf die psychiatrischen Krankenhäuser, Zerstörung von Rüstungsproduktion für die portugiesische Kolonialmacht, Ausräumen von Generalkonsulaten terroristischer Regimes, Klauen und Veröffentlichen von Geheimdokumenten, Lahmlegen des Fahndungsapparats der Polizei, Geldbeschaffung für Alternativprojeke. In diesen Jahren war die Subversionsmentalität noch allgemeiner Bestandteil der Bewegung, wenn auch nicht ihrer selbsternannten Studentenavantgarden: auch die einkommenslosen Studenten eigneten sich gemeinsam an, was sie brauchten; ihre Gegenkultur stimmte in vielem mit dem Verhalten der subproletarischen Jugend der Vorstädte überein. Das ‘Agit 883′ der ersten drei Redaktionen wurde durchaus auch von den Gangs und in den Jugendzentren der Trabantenstädte gelesen” (Die historische Bedeutung der RAF, Karl- Heinz Roth).
Auch in der Entstehungsphase der Autonomen, um auf den Anfang dieses Textes zurückzukommen, stießen all jene ausgesteuerten Jugendliche, die für sich keine Perspektive in der alltäglichen Schinderei sahen, zur Bewegung hinzu. (Der Vater von Klaus Jürgen Rattay, der von den Bullen am 22.09.1981 im Zuge der Räumung von acht besetzten Häusern in den fließenden Verkehr und damit in den Tod getrieben wurde, gab später in einem bewegenden Interview zu Protokoll, sein Sohn habe mit seinem Ausstieg aus dem Wahnsinn der vorprogrammierten Erwerbsbiografie alles richtig gemacht. Er selber habe sein ganzes Leben lang malocht und deshalb seine Familie kaum zu Gesicht bekommen oder sei zu erschöpft gewesen, um die Zeit mit ihr genießen zu können.) In Westberlin konnte damals jeder in irgendeinem besetzten Haus unterkommen, wenn er oder sie es wollte. Im (teilweise) kollektiven Alltag wurde geklaut und organisiert, Kohle aus kurzen Jobs oder vom Amt wurde zusammengeschmissen, Gebrauchsgegenstände wie Fahrräder oder Autos konnte von allen genutzt werden. So war auch das Verhältnis zum besetzten Haus: Ein Gegenstand, der nur dazu diente ein Dach über den Kopf zu haben und an den man sich nicht band. Heute wohnte man hier, in vier Wochen vielleicht schon woanders. In der Debatte über die Frage, ob und wie man mit dem Staat über die Häuser verhandeln solle und die dann ja auch zur Spaltung der Hausbesetzerbewegung in Westberlin führte, bildete sich im übrigen auch die Klassenherkunft ab. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind jene “Hausprojekte”, die sich nach entsprechenden Vertragsabschlüssen heute noch finden lassen, damals von Kindern der Ober-und Mittelschicht besetzt worden.
Das Problem, dass wir heute vorfinden, ist, das sich jene Ausgesteuerten, die vielleicht bereit wären, mit uns gemeinsam Die Nächte in Brand zu setzen, sich in dem, was die Linke initiiert, gar nicht wiederfinden, oder wenn sie nicht auf die Initiative der Linken warten, alleine gelassen werden. Und für diese Beobachtung muss man nicht nach Frankreich oder England schauen. Als sich im Sommer 2013 mehrere hundert (überwiegend) Jugendliche im Hamburg Altona gegen die ständigen Kontrollen der Bullen zu wehren begannen, waren praktisch keine Leute aus der so großartig vernetzten Hamburger Linken Vorort, ja etliche haben nicht einmal mitbekommen, was nur wenige hundert Meter von ihren Szenetreffpunkten entfernt vor sich ging. Aber es gibt auch löbliche Ausnahmen, wie die Zusammenarbeit mit den Freunden und der Familie von Denis, der in der Silvesternacht 2008 von den Bullen bei Berlin erschossen wurde. Gemeinsam wurden zahlreiche Veranstaltungen und Demos organisiert, neue Freundschaften entstanden und begleitet wurde das ganze von mehreren nächtlichen Angriffen auf Bullenstationen– und wagen.
Wenn wir also heute den Rückblick auf die Geschichte der Autonomen unternehmen, dann nicht um ein nostalgisches Bedürfnis zu befriedigen, sondern um daran zu erinnern, wie Kämpfe so geführt werden können, dass sich etwas jenseits der Szene ereignet, bzw. die Szene sich selber überflüssig macht, weil es dann weder ein reales Bedürfnis nach ihrer Existenz gibt, noch ihre starren Kategorien der Dynamik einer sozialen Bewegung oder Revolte gerecht werden. Wenn wir also von den Möglichkeiten sprechen, sprechen wir von den Orten, an denen diese Möglichkeiten denkbar sind. Ohne Zweifel ist einer dieser Orte nach wie vor die Straße. Nur hier kann die Konfrontation bewusst gesucht werden. Wobei es darum geht, nicht neue Ohnmacht zu produzieren, sondern sich unter den gegebenen taktischen Bedingungen Handlungsfähigkeit zu erkämpfen.
Der Frieden ist trügerisch, das wissen alle. Es ist nur die Frage, ob sich der Hass, der Ekel, über das, was wir vorfinden, sich gegen sich selbst richtet oder gegen die Zustände, die unzumutbar sind. Identitäre Codes sind dabei Teil des Problems, nicht der Lösung. Es muss zumutbar sein, gesellschaftliche Widersprüche nicht im konkreten scheinbar auflösen zu können, sondern in der Begegnung auf Augenhöhe die konkrete rassistische, sexistische und homophobe Scheiße konsequent und ohne moralische Überlegenheit zu benennen. Als in der Revolte 2013 in der Türkei die Ultras und die LGBT Szene im Gasnebel gemeinsame Tränen vergossen, war dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Um nicht weniger geht es. Sich finden – Organisieren – Aufstand.